41 Spiele und damit exakt die Hälfte des NHL-Grunddurchganges musste Michael Grabner zusehen - und das längste Zeit nur mit einem Auge.
Nach dem verhängnisvollen Stockschlag von Sammy Blais beim 6:1-Heimsieg der Arizona Coyotes über die St. Louis Blues am 1. Dezember war der Villacher bis 7. März außer Gefecht, ehe er beim 2:0 über die Calgary Flames das langersehnte Comeback feiern konnte und gleich 17:40 Minuten am Eis stand.
Und auch auf Scorerpunkte ließ der 31-Jährige nicht lang warten: Schon zwei Tage später glänzte der Flügelflitzer mit zwei Toren beim 4:2-Erfolg über die Los Angeles Kings.
Grabner also ganz der Alte, wenn nicht sogar besser als zuvor, so hat es den Anschein. Aber dem gingen drei Monate der Ungewissheit zuvor, ob und wie es mit der Karriere des ÖEHV-Legionärs überhaupt weitergehen könnte. Ungewissheit, die weiterhin anhält. Nach wie vor ist nicht abzusehen, ob die Verletzung wieder gänzlich verheilen wird.
Im Interview mit "The Athletic" spricht Grabner erstmals detailierter über die schwierige Zeit und wie es mit dem nach wie vor angeschlagenen, rechten Auge weitergeht.
Die Ungewissheit als schlimmster Faktor
"Es hat sich angefühlt, als wäre mein Augapfel in den Hinterkopf geschlagen worden. Mein erster Gedanke war gleich: 'Oh Nein, ich werde ein Glasauge brauchen!'. Dann kamen Schock und Schmerz gleichzeitig. Es war kein stechender Schmerz, wie wenn du dir etwas brichst. Der Druck im Auge war so hoch, dass mir schlecht wurde und ich nicht gehen konnte. Dieser Druck schießt einfach ein und setzt deinen ganzen Körper außer Gefecht", beschreibt Grabner den unschönen Moment.
Es hat sich angefühlt, als wäre mein Augapfel in den Hinterkopf geschlagen worden. Mein erster Gedanke war gleich: 'Oh Nein, ich werde ein Glasauge brauchen!'
Die Diagnose: Verletzungen an der Retina und dem Ziliarmuskel, dazu Flüssigkeit im Augapfel. Der optische Nerv wurde zu seinem Glück nicht in Mitleidenschaft gezogen, eine Operation war nicht notwendig. Damit endeten die guten Nachrichten.
Wie es weitergehen würde, stand und steht zu keinem Zeitpunkt fest.
"Es gibt viele Dinge, die an dieser Verletzung frustrierend sind, und eins davon ist die Ungewissheit. Niemand hat Antworten für dich, weil niemand mehr weiß. Zehn Menschen können diese Verletzung haben, zehnmal wird die Heilung unterschiedlich verlaufen und am Ende werden zehn verschiedene Dinge dabei herauskommen. Die Ärzte sagten mir, sie haben Fälle gesehen, die nicht so schlimm aussahen und sich schrecklich entwickelt haben und umgekehrt."
Der ganze Körper außer Gefecht
Grabner verbrachte viel Zeit daheim, seine Frau Heather muss ihm fünf verschiedene Augentropfen verabreichen. Auch für die Kinder Aidan und Olivia blieb mehr Zeit übrig, aber es gab Rückschläge zu verkraften. An einem Sonntag meldete sich die Verletzung mit einer Wucht, die den Moment des Unglücks sogar übertraf.
"Ich konnte mich nicht bewegen, nicht sprechen und nicht essen. Es fühlt sich an, als wäre der Druck auf deinem Gehirn. Es setzt wirklich alles im Körper außer Gefecht. Ich wollte nicht einmal mit dem Arzt sprechen, als ich ihm geschrieben habe. Er hat eine Nadel reingestochen und die Flüssigkeit abfließen lassen", erzählt "Grabs".
So lange ich da draußen etwas beitragen kann und keine Belastung bin, werde ich weiterspielen. Wir sehen, wie die Saison zu Ende geht, dann warten wir den Sommer ab und schauen weiter.
Irgendwann setzten Veränderungen im Blickfeld des Kärntners ein, von denen er allerdings nicht wusste, ob sie positiv sind. "Lange konnte ich gar nichts sehen, dann war es, als ob man durch rot getöntes Glas blickt. Alles war verschwommen, weil viel Blut im Auge war. Das ist immer noch der Fall, aber nicht mehr so schlimm. Du lernst, das auszublenden, auch das andere Auge kompensiert einen Teil."
Mit der Zeit kam die Fähigkeit zurück, Schatten und Umrisse zu erkennen, auch Farben ließen sich langsam wieder unterscheiden.
Kontaktlinsen haben nicht funktioniert
Trotz aller Fortschritte: Die Pupille im betroffenen rechten Auge ist deutlich geweitet, niemand kann Grabner sagen, ob sich dies jemals wieder ändern wird.
Dieser Tatsache blickt der ÖEHV-Crack mit stoischer Hinnahme in die Augen. "So ist es jetzt eben. Ich habe mir wohl etwas im Auge endgültig ruiniert. Normalerweise ist die Pupille nur einige Wochen geweitet, jetzt hält es schon Monate an. Ich habe aufgehört, die Medizin gegen diese Weitung zu nehmen", erzählt er.
Vor seinem Comeback wurde mit speziellen Kontaktlinsen experimentiert, etwa mit einem Modell, das jenes Licht aus dem Auge halten soll, das die erweiterte Pupille zuviel ins Auge lässt. "Das hat aber nicht funktioniert. Die Linse hat meine periphere Sicht eingeschränkt, das ist im Eishockey gar nicht gut."
Grabner werde nun einige Linsen ausprobieren, aber vorerst ohne spielen. Stattdessen setzt er auf einen getönten Sichtschutz (siehe Header-Bild), im Freien trägt er ständig eine Sonnenbrille. "Ich weiß sowieso nicht, ob die Pupille das Hauptproblem ist. Ich kann es nicht einmal dem Arzt beschreiben."
Er wollte einfach unbedingt vor dem Ende der Saison auf das Eis zurückkehren: "Wenn es nicht funktioniert hätte, hätte ich zumindest gewusst, wo ich stehe."
Weiterhin keine Entwarnung
Auch Angst um die Fortsetzung seiner Karriere war - und ist - Wegbegleiter in der Verletzungszeit. Grabner kann nicht bestätigen, dass diese Gefahr gebannt sei. "Aber wenn du zum Arzt gehst und er dir ständig sagt: 'Es heilt! Es heilt!', dann versuchst du, positiv zu bleiben. So lange ich da draußen etwas beitragen kann und keine Belastung bin, werde ich weiterspielen. Wir sehen, wie die Saison zu Ende geht, dann warten wir den Sommer ab und schauen weiter."
Der Typ ist ein verdammter Adonis. Er arbeitet wie ein Irrer und ist immer in Form. Aber die Sicht ist im Eishockey nunmal alles.
Von Coach Rick Tocchet gibt es ermutigende Worte: "Ich möchte nicht kitschig klingen, aber im Leben kann zu jedem Zeitpunkt etwas passieren. Menschen müssen mit vielen schwierigen Dingen umgehen. Wir hatten einen Baseball-Pitcher in der MLB mit nur einer Hand (Jim Abbott, Anm.), Bryan Berard (ehemaliger NHL-Spieler, Anm.) war auf einem Auge blind. Menschen überstehen Rückschläge, und 'Grabs' hat so eine Geschichte", erinnert er.
"Er ist ein fantastischer Typ und sehr gewissenhaft bezüglich seiner Fähigkeit zu spielen. Er will dem Team nicht schaden und würde verstehen, wenn ich gesagt hätte: 'Hey, es ist nicht der richtige Moment, wir kämpfen um die Playoffs'. Aber ich wollte ihn am Eis sehen. Mit allem, was er durchgemacht hat, wie hart er gearbeitet hat, hat er sich die Chance verdient."
An der Fitness würde es Grabner trotz drei Monaten Spielpause jedenfalls nicht mangeln: "Der Typ ist ein verdammter Adonis. Er arbeitet wie ein Irrer und ist immer in Form. Aber die Sicht ist im Eishockey nunmal alles. Worüber sprechen wir bei den besten Spielern der Welt? Über ihre Übersicht, ihre 'Augen im Hinterkopf'", sagt Tocchet.
Noch hat Arizona alle Chancen, die Saison zu einem guten Ende zu bringen: Neun Spiele vor dem Ende belegen die Coyotes den letzten Wild-Card-Platz im Westen und würden an den Playoffs teilnehmen. Mit Michael Grabner.