Aufatmen in der Eishockey-Welt: Der Spielbetrieb in der National Hockey League (NHL) ist für die nächsten drei Jahre garantiert.
Weder die Liga selbst, noch die Spielergewerkschaft nahmen ihr Recht wahr, den derzeitigen Rahmen-Tarifvertrag ("Collective Bargaining Agreement" - CBA) mit Ende der anstehenden Saison zu stornieren.
Das bedeutet aber nicht, dass der Frieden langfristig gesichert ist. Das CBA bleibt ein Streitpunkt, für den in den nächsten drei Jahren eine Lösung gefunden werden muss.
LAOLA1-Experte Bernd Freimüller wirft einen Blick auf die Konsequenzen aus dem weiteren Vertrauen in das aktuelle CBA und einige Vertrags-Tricks, die bei den weiteren Verhandlungen sicher abgestellt werden.
Seit dem 16. September ist es fix: Das derzeitige CBA hat weiter Bestand, die Spielergewerkschaft verzichtete auf ihr "Opt-Out"-Recht. Gleiches galt für die Liga mit Stichtag 1. September. Hätte eine der beiden Parteien ihr Recht wahrgenommen, wäre das CBA mit 15. September 2020 ausgelaufen. Allerdings nur, wenn beide Seiten bis dahin keine Einigung über einen neuen Vertrag gefunden hätten.
Die Nachricht, dass also ein fixer Lockout abgewendet wurde, ist natürlich ebenso Schwachsinn wie die abermalige Vermischung von "Lockouts" und "Streiks".
Nebeneffekte dieses Burgfriedens: Seattle kann 2021 ohne Probleme in die Liga einsteigen, ein eventueller World Cup im Jahre 2021 kann ebenso geplant werden wie die Verhandlungen mit neuen TV-Partnern für den US-Markt im Jahr 2021.
Was sind mögliche Szenarien für die nächsten Jahre?
Beide Seiten finden eine Einigung über ein komplett neues CBA, das jeweils mit 15. September in die Tat umgesetzt werden kann, spätestens aber mit 15. September 2022.
Beide Seiten nehmen das bisherige CBA als Grundlage, ändern aber einige Punkte darin. Auch das kann jederzeit passieren.
Beide Seiten lassen das bisherige CBA – so wie er besteht – auch nach 2022 weiterlaufen (unwahrscheinlich).
Beide Seiten bekommen sich ob einiger Details in die Haare, finden keine Einigung und die Eigentümer schließen die Spieler mit 15. September 2022 vom Trainings- und Spielbetrieb aus (=Lockout).
Im Gegensatz zu früher (Salary Cap, Aufteilung der Einnahmen) gibt es keine unüberbrückbaren Standpunkte, natürlich aber Streitpunkte: Die Spieler sind weiter mit dem Escrow (Einbehaltung von Gehältern, in DIESEM Beitrag näher erläutert>>>) unzufrieden, auch eine eventuelle Teilnahme an Olympia 2022 in Peking muss verhandelt werden.
Die Teams wiederum wollen natürlich einige Sachen abschaffen, zu denen sie sich über die Jahre genötigt fühlten bzw. womit einige von ihnen gegen den Geist des CBA verstießen.
Dazu gehören etwa die "Signing Boni" (In DIESEM Beitrag näher erläutert>>>) sowie "Front-Loaded-Contracts" – langfristige Verträge also, wo der Löwenanteil der Gehälter in den ersten Jahren ausbezahlt wird, die Gehälter dann aber mit ansteigendem Alter krass abfallen, um den Spieler leichter zu dealen bzw. in die Pension schicken zu können.
In den letzten Wochen kamen zwei weitere Verträge dazu, wo Teams bzw. Agenten Löcher im CBA fanden. Sie verstoßen also nicht gegen die Regeln, aber gegen den Sinn dahinter und werden daher sicher eliminiert.
Dickes Ende oder Gegenteil eines Front-Loaded Contracts
Timo Meier unterschrieb am 1. Juli einen neuen Vertrag in San Jose. 24 Millionen US-Dollar für vier Jahre, der Cap Hit pro Saison beträgt sechs Millionen. Eigentlich kleines Geld für den Schweizer nach seiner Breakout-Saison.
Der Teufel steckt aber im Detail: Meier bekommt in seinen ersten zwei Jahren jeweils vier Millionen (inklusive Signing Boni), dann sechs, bevor im letzten Jahr sein Gehalt auf zehn Millionen springt.
Der Grund dafür: Der 22-jährige Center wäre bei Auslauf seines Arbeitspapiers im Jahre 2023 immer noch ein "Restricted Free Agent", damit also weiter an die Sharks gebunden. Nur: Um dieses Recht aufrecht zu erhalten, muss ihm sein Team per CBA 100 Prozent seines letzten Gehalts anbieten. Das fällt bei zehn Millionen natürlich alles andere als leicht.
Erledigt dies San Jose mit spätestens Ende Juni 2023 nicht und hat bis dahin auch so keine Einigung gefunden, ist Meier ein "Unrestricted Free Agent" und das zwei Jahre vor dem eigentlichen Datum dafür.
Auch bei Toronto-Youngster Mitch Marner wurde ein ähnliches Szenario diskutiert. Er unterzeichnete dann aber für sechs Jahre, wird nach Ablauf dieser Periode ganz regulär zum UFA.
Nach dem gleichen Muster wie bei Meier fielen die Verträge von Zach Werenski (Columbus, 7 Mio. im letzten Jahr), Brock Boeser (Vancouver, 7,5 Mio.) und Charlie McAvoy (Boston, 7,3 Mio.) aus. Nicht nur GMs, sondern auch Agenten schreiben gerne voneinander ab.
Ich erwarte weitere Verträge wie bei Meier in nächster Zeit, die Liga wird aber darauf drängen, bei langfristigen Verträgen geringere oder gar keine Gehaltsschwankungen zuzulassen, was das Ende der "Front-" oder "Back-Loaded-Contracts" bedeuten würde.
"Adieu!" und "Willkommen zurück!" - zwei Paychecks von einem Team
Payouts gehören zum NHL-Business – Teams können sich so aus unliebsam gewordenen Verträgen lösen, die Spieler wiederum kassieren noch einen Teil des ihnen zustehenden Gehalts, während sie schon lange bei einem neuen Team unter Vertrag stehen.
Auch Thomas Vanek kam schon in den (zweifelhaften) Genuss einer solchen Maßnahme: Minnesota cancelte 2016 das letzte Jahr seines Dreijahres-Vertrags. Von den ihm ursprünglich noch zustehenden 7,5 Mio. blieben ihm die üblichen zwei Drittel (5 Mio.) über, die ihm auf die nächsten zwei Jahre aufgeteilt ausbezahlt wurden. 2016/17 verdiente er dann 2,6 Mio. bei Detroit, mit der Wild-Mitgift kam er dadurch sogar geringfügig über sein Ursprungsgehalt.
So weit, so gut, nichts Ungewöhnliches dabei. Was aber heuer in Calgary passierte, kann Gary Bettman so gar nicht schmecken.
Die Flames teilten ihrem Verteidiger Michael Stone am 2. August mit, dass sie das letzte Jahr seines Vertrags auskaufen würden. Calgary-GM Brad Treliving steckte in Cap-Trouble, hatte noch dazu einige UFAs unter Vertrag zu nehmen. Dem 29-jährigen Defender standen noch 3,5 Mio. zu, er bekommt davon zwei Drittel. Viel wichtiger als die Real-Ersparnis für Treliving: Statt 3,5 Mio. beträgt der Cap Hit nach dem komplizierten Berechnungsschema heuer nur 1,67 Mio, der gleiche Betrag fällt aber auch in der übernächsten Saison nochmals an.
Stone musste also auf Vereinssuche gehen, hatte aber immerhin die Mitgift von 2,3 Mio sicher. Anfang September klingelte auch bei seinem Agenten das Telefon: Ein NHL-Team war an Stone interessiert. Das Team? Die Calgary Flames – das Team also, das Stone noch vor einem Monat auf die Reise geschickt hatte.
Was war passiert? Treliving hatte seinen Kader inzwischen zusammengestellt, die Cap-Probleme eingermaßen in den Griff bekommen. Allerdings verletzte sich die finnische Jung-Hoffnung Juuso Valimäki im Sommer schwer am Knie (Kreuzband) und fällt für die ganze Saison aus.
Ein rechtsschießender Defender musste her und das ist Stone. Er unterschrieb für ein Jahr über 700.000 Dollar, verliert damit zwar in Summe knapp 500.000 Dollar für die ganze Saison, kann aber die Umzugskisten wieder ausräumen. Jedes Monat werden also zwei Paychecks auf seinem Konto eintrudeln – beide vom selben Team!
Wohlgemerkt, diese kleine Kuriosität war nur möglich, weil Stone kein "Compliance Buyout" war (nur bis Ende Juni möglich), sondern erst ausgekauft wurde, nachdem er allen Teams via Waivers angeboten wurde. Stone braucht nicht zu übersiedeln, die Flames reduzierten seinen Cap Hit von 3,5 Mio. auf knapp 1,9 Mio. (Buyout und neuer Kontrakt) – alle sind also happy? Das kann ich mir nicht vorstellen, denn auch wenn dieses Manöver nicht gegen die Regeln verstößt, dann aber sicher gegen den Sinn dahinter – ich erwarte also, dass so etwas im neuen CBA nicht mehr möglich ist.
Doch die Geschichte hat gelehrt: Vor allem die Agenten sind der NHL im Finden von Loopholes immer einen Schritt voraus – das wird auch beim nächsten CBA so sein. Doch so viel Finger können Bettman und seine Anwälte gar nicht haben, um die Löcher zu stopfen, die immer wieder gefunden werden...