Wir schreiben den 25. Mai 2017: Chris Kunitz avanciert in der zweiten Overtime des siebten Easten-Conference-Finalspiels zum Machwinner für die Pittsburgh Penguins und verhindert so die sensationelle Stanley-Cup-Finalteilnahme der Ottawa Senators, denen vor dieser Saison viele nicht einmal den Einzug ins Playoff zugetraut hätten.
Rund 16 Monate später ist in Ottawa alles anders und nichts mehr von einer Euphorie zu spüren. Die Senators zerfallen momentan regelrecht in ihre Einzelteile und befinden sich in einem der drastischsten Rebuilds eines NHL-Teams in den letzten Jahren.
Die Kanadier rasselten von 98 Punkten in der Saison 2016/17 auf 67 in der vergangenen Spielzeit hinunter – ließen ligaweit lediglich die desaströsen Buffalo Sabres, deren Zukunft allerdings alleine schon durch Supertalent Rasmus Dahlin um einiges rosiger aussieht, hinter sich.
Das konnte auch der im November per Trade geholte Matt Duchene nicht verhindern.
Zu viele "off-ice issues"
Doch der katastrophalen sportlichen Situation nicht genug, schrieben in der Off-Season mehrere Mitglieder der Senators unrühmliche Schlagzeilen.
Assistant General Manager Randy Lee wurde im Mai in Buffalo festgenommen, nachdem er im Zuge des NHL Combine einen 19-jährigen Shuttlebus-Fahrer sexuell belästigt haben soll. Lee wurde daraufhin von den Senators suspendiert und legte sein Amt im August offiziell nieder.
Doch auch auf dem Spielersektor gab es abseits des Eises Unruhen, die die Stars Erik Karlsson und Mike Hoffman bzw. deren Lebensgefährtinnen betrafen.
Karlssons Frau Melinda wollte Anfang Juni um ein gerichtliches Kontaktverbot gegen Monika Caryk, die Verlobte von Hoffman, ansuchen. Der schockierende Grund: Caryk soll Melinda Karlsson online tyrannisiert haben, bis hin zu Todeswünschen gegenüber ihrem ungeborenen Baby.
Tragischerweise kam Axel Karlsson, das erste Kind des Ehepaares, im März tatsächlich tot zur Welt.
Caryk dreht Spieß um
Die Causa ist übrigens noch nicht abgeschlossen, Mitte September drehte Caryk den Spieß um und reichte beim Gericht in Toronto einen Antrag – die sogenannte „Norwich Order“ – ein, mittels derer Melinda Karlsson dazu aufgefordert wird, alle Informationen, die ihre Anschuldigungen betreffen, offen zu legen.
Sie wolle Karlsson, die bereits genug gelitten hat, nicht verklagen oder andere rechtliche Schritte einleiten. Lediglich Beweise sollen erbracht werden, damit sie ihren Ruf durch ein Nicht-Vorhandensein ebenjener wieder reparieren könne.
"WOW-Effekt" blieb aus
Karlsson und Hoffman müssen sich über diesen Konflikt auf zwischenmenschlicher Ebene übrigens nicht mehr den Kopf zerbrechen – beide haben mittlerweile neue Arbeitgeber.
Diesen wurden aufgrund der zerfahrenen Situation in Kanadas Hauptstadt bei den Trades nicht allzu große Opfer abverlangt. Vor allem die San Jose Sharks, die sich beide Spieler im Abstand von wenigen Wochen schnappten, Hoffman allerdings gleich weiter zu den Florida Panthers transferierten, werden sich die Hände reiben.
Im Front Office der Senators werden hingegen eher die Köpfe rauchen, wie es überhaupt so weit kommen konnte und wie man sich die letzten Wochen und Monate irgendwie schönreden kann. Vor allem der Return für Franchise-Verteidiger Erik Karlsson lässt viele in der Eishockeywelt mit Staunen zurück.
Mit Chris Tierney und Dylan DeMelo bekam man zwei Tiefenspieler für den Kader, dazu die Prospects Josh Norris und Rudolfs Balcers und einige Draftpicks. Zusätzlich fix den Erstrunden-Pick der Sharks 2020, der angesichts deren jetzigen Kaders aber ziemlich sicher am Ende der Runde liegen wird, und bedingungsgeknüpft einen Pick 2021 (2. Runde: Bei einer Vertragsverlängerung von Karlsson in San Jose/1. Runde: Wenn zusätzlich das Stanley-Cup-Finale erreicht wird) bzw. einen weiteren Erstrunden-Pick sollten die Sharks Karlsson während der kommenden Saison an ein Team der Eastern Conference abgeben.
Sollten alle Bedingungen eintreffen, könnten die Senators damit sicher gut leben und etwas bewirken. Dennoch stehen hinter einigen Teilen dieses Returns noch zu viele Fragezeichen und der "WOW-Effekt", den sich vor allem die Fans bei einem Abgang Karlsson erwartet hätten, blieb definitiv aus.
Interne Kommunikation inexistent
Zudem sorgt das Verhalten der Verantwortlichen gegenüber Superstar Karlsson für Kopfschütteln. Bei seinem ersten Medientermin als San Jose Shark verriet der Schwede, dass General Manager Pierre Dorion und Co. seit November(!) des letzten Jahres nicht mehr mit ihm gesprochen hätten.
Damals ging es um Karlssons No-Trade-Liste, die er den Ottawa-Bossen vorlegen sollte.
Apropros Pierre Dorion: Der GM offenbarte die prekäre Situation seiner Franchise im Vorfeld eines Pre-Season-Spiels gegen die Toronto Maple Leafs auf gnadenlose Weise, ohne dabei allzu viele Worte zu verlieren.
Auf die Frage eines Reporters, was ihn denn trotzdem optimistisch stimme, überlegte er gefühlt eine halbe Ewigkeit, um dann mit Verzweiflung im Ausdruck zu antworten: „Wir sind ein Team.“
Eine halbgare Antwort, deren Glaubwürdigkeit angesichts der weiteren mannschaftsinternen Entwicklungen (siehe Mark Stone und Zack Smith etwas weiter unten im Text) durchaus in Frage gestellt werden darf.
Das Leiden der Ottawa Senators in dieser Off-Season war mit dem Abschluss der Causa „Erik Karlsson“ also noch lange nicht beendet.
Leistungsträger wünscht Wechsel
Das Pre-Season-Camp hatte noch kaum begonnen, gab es die nächste Hiobsbotschaft für die Hauptstädter. Jean-Gabriel Pageau, als Center der zweiten Linie vorgesehen, riss sich die Achillessehne im rechten Fuß und fällt somit bis zu einem halben Jahr aus.
Düstere Aussichten also, die auch an den verbliebenen Cracks nicht spurlos vorübergehen.
Flügel Mark Stone, trotz 24 verpasster Spiele mit 62 Punkten bester Scorer der Sens in der vergangenen Saison, kommunizierte vor kurzem öffentlich, dass er nicht länger in Ottawa spielen wolle.
Da der Vertrag des 26-Jährigen nach dieser Saison ausläuft und eine Verlängerung angesichts dessen als höchst unwahrscheinlich gilt, wird Stone wohl der nächste Leistungsträger sein, der Ottawa abhandenkommt.
In der Endabrechnung der diesjährigen Spielzeit wird die An- oder Abwesenheit von Stone wohl keinen großen Unterschied machen, zu dünn und schwach ist der Sens-Kader im Vergleich zur Konkurrenz.
Unmut im Team nach Waiver-Move
Ebenfalls weiters im Kader ist Zack Smith, der zwar am 25. September auf die Waiver-Liste gesetzt, allerdings nicht ins Farmteam abgeschoben wurde. Smith ist der längstdienende Senator im aktuellen Kader mit insgesamt 542 Spielen in elf Jahren.
Vor allem aber ist er innerhalb der Mannschaft hochgeschätzt. „Ich bin ehrlich, es ist ein Schlag in die Magengrube für uns, denn wir lieben ‚Smitty‘. Er ist ein großartiger Anführer und ein toller Spieler“, machte Duchene seinem Unmut über den Waiver-Move kurz danach Luft.
Ob der Perspektivlosigkeit für die Senators in dieser Saison und der Rolle von Smith innerhalb des Teams ist es nur verständlich, dass der 30-Jährige nicht ins Farmteam geschickt wird. Zumal Head Coach Guy Boucher betonte, dass der Move nicht seinem Wunsch entsprach. Dennoch muss die Frage erlaubt sein, ob diese weitere von oben herbeigeführte Unruhestiftung unbedingt notwendig war?
"Sens" gaben möglichen First-Overall-Pick ab
Doch nicht nur im Hier und Jetzt ziehen dunkle Wolken über Ottawa, auch ein Blick auf die nähere Zukunft offenbart nicht allzu viele Gründe für überschwänglichen Optimismus. Der aktuelle Kader weist im Vergleich zu anderen Teams - die es aber nicht so nötig hätten wie die Sens - relativ wenig junge Hoffnungsträger auf, die Ottawa besser früher als später wieder zu alten Glanzzeiten zurückführen könnten.
Die Draufgabe kommt allerdings noch: Die Sens gaben ihren Erstrunden-Pick 2019 im Duchene-Trade an die Colorado Avalanche ab und können sich den möglichen First-Overall-Pick damit wohl in die Haare schmieren.
Auch die arrivierten Cracks weisen unzählige Fragezeichen auf: In der Offensive spiegelt die Verfassung der drei nominellen Stars Matt Duchene, der sich vor der Saison in Zweckoptimismus übt, Mark Stone, dessen Willen an einer weiteren Senators-Karriere bekanntlich enden wollend ist und Bobby Ryan, schon lange ein Schatten seiner selbst, die momentane Situation in Ottawa auf paradoxe Weise wieder. Hinter diesem Trio wird das Line-up bereits sehr dünn, lediglich auf den diesjährigen Erstrunden-Pick, Brady Tkachuk, darf man gespannt sein.
Von den anderen Prospects darf wohl den Stürmern Logan Brown und Colin White der Sprung ins Line-up zugetraut werden. Alle könnten aber bereits mehr Last auf ihre Schultern gelegt bekommen, als eigentlich gut für derart junge Spieler ist. Im besten Fall würde sich die Verantwortung aber positiv auf ihre Entwicklung auswirken.
Verteidigung nicht ligatauglich
In der Defensive sieht es nicht minder bieder aus. Die Verteidigung war bereits mit Karlsson sehr dünn, nach seinem Abgang ist sie eigentlich nicht mehr ligatauglich. Thomas Chabot wird mit seinen zarten 21 Jahren in die Rolle des „Go-to-Guys“ gedrängt, daneben besitzt nur noch Cody Ceci sofortiges Top-4-Kaliber und wird ebenfalls über seinen eigentlichen Möglichkeiten eingesetzt werden.
Auch hinten werden junge Cracks in Rollen schlüpfen müssen, denen sie vielleicht noch nicht gewachsen sind. Rookie Christian Wolanin und der 23-jährige Ben Harpur sind solche Kandidaten.
Im Tor setzt man mit Craig Anderson auf einen Mann, dessen Karriereende mit großen Schritten näher kommt, Backup Mike Condon nimmt diese Rolle mit seinen bereits 28 Jahren nicht ohne Grund ein.
Die Ottawa Senators befinden sich momentan also in einem Radikal-Umbruch, dessen Ende noch nicht absehbar ist. Eine wahrhaft außergewöhnliche Leidensgeschichte, wenn man sich noch einmal den 25. Mai 2017 in Erinnerung ruft.
On May 25, 2017, the Ottawa Senators lost in G7 of the Eastern Final to Pittsburgh. Here was their roster: pic.twitter.com/rFFTnxGCy3
— John Shannon (@JSportsnet) 26. September 2018