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Tim Stützle: Die wahre Nummer eins des Drafts 2020?

LAOLA1-Experte Bernd Freimüller blickt auf die bisherige Karriere des jungen Deutschen zurück und erklärt, warum Stützle nun wohl der Nummer-1-Pick wäre.

Tim Stützle: Die wahre Nummer eins des Drafts 2020? Foto: © getty

Hiobsbotschaft für die Ottawa Senators: Tim Stützle verletzte sich beim 3:0-Sieg gegen die Anaheim Ducks.

Zumindest eine Woche fällt er mit einer "Oberkörperverletzung", damit wird der 20-jährige Deutsche das LAOLA1-LIVE-Spiel am Sonntag, um 20 Uhr, zwischen den Minnesota Wild und den "Sens" verpassen. Hier geht's zum LIVE-Stream >>>

Nichtsdestotrotz blickt LAOLA1-Experte Bernd Freimüller auf seine bisherige Karriere:

Seine Nachwuchsauftritte

Auch wenn sich der gebürtige Viersener erst in seinem Draftjahr 2018/19 so richtig ins Licht der Öffentlichkeit und der Scouts spielte, war sein Potential schon weit früher erkennbar.

Ich erinnere mich an ein U16-Turnier im August 2017, als er die Scheibe im höchsten Speed über die Eisfläche trug, dabei mehrere Gegner umkurvte und diese Sololäufe auch mit Toren abschloss. Auch gegen schwächere Gegner keine Alltäglichkeit und dieser Auftritt charakterisierte dann auch sein späteres Spiel. Stützle ist ein Forward mit Top-Speed selbst auf NHL-Niveau, der Plays in höchstem Tempo machen kann.

Spätestens durch starke Auftritte bei den Mannheimer Adlern und bei der Junioren-WM in seinem Draftjahr war klar, dass er zu den Topleuten des NHL-Drafts 2020 gehören würde.

Die Ottawa Senators zogen ihn dann auch als Nr. 3. Vor ihm: Alexis Lafreniere (New York Rangers) und Quinton Byfield (LA Kings) – eine Reihung, die Stand heute wohl nicht Bestand hätte. Lafreniere produziert offensiv weniger als erwartet, Byfield wird in Los Angeles als Bottom-6-Player verwendet.

Aber wohlgemerkt – das ist der Stand von heute, wo bei allen drei noch nicht einmal die Entry-Level-Deals ausgelaufen sind. Zu frühe Beurteilungen können oft zu später peinlichen Korrekturen führen, wie dieser Tage etwa Tage Thompson in Buffalo beweist.

Stützles NHL-Karriere

Die Senators – wegen Misserfolgen und dem exzentrischen Eigentümer Eugene Melnyk über Jahre die Lachnummer die Liga – nahmen Stützle nicht nur sofort unter Vertrag, sondern setzten ihn auch umgehend in der NHL ein. Auch mit ihm gelang aber keine Wende zum Besseren, von einem Playoff-Einzug war und ist man weit entfernt.

Stützle bekam sofort eine offensive Rolle zugeteilt, erst als Winger, dann im Laufe der letzten Saison als Center. Seit dem Februar letzten Jahres punktete er auf dieser Position mit einem Punkt pro Spiel konstant, sollte heuer mit Josh Norris die Mittelachse bilden. Doch Norris verletzte sich Ende Oktober an der Schulter und wird erst nach Weihnachten zurückerwartet.

Stützles offensive Fähigkeiten, kombiniert mit seiner Top-Beinarbeit, sind auch in der NHL Ligaspitze. Nach dem Ausfall von Norris centert er die Toplinie der Senators mit Brady Tkachuk und Neuzugang Claude Giroux, die auch an der Spitze der internen Scorerliste steht.

Auch wenn Analytiker die Plus/Minus-Statistik schon seit langem als obsolet und irrelevant einstufen, sticht sie bei Stützle doch ins Auge: -18/-27/-9 ergibt einen Gesamtwert von – 54 in 160 Spielen!

Nicht gerade vertrauenserweckend, erklärt auch, warum die Senators tabellarisch einfach nicht vom Fleck kommen. 42 Prozent von Stützles Punkten (48 von 114) entsprangen aus Powerplays, was diese Zahlen auch erklärt.

Sein Gehaltszettel

Der NHL-Draft 2020 fand pandemiebedingt verspätet am 6. und 7. Oktober 2020 statt, Stützle unterschrieb seinen Entry-Level-Deal am 27. Dezember, ehe die Saison mit drei Monaten Verspätung am 13. Jänner 2021 begann. Natürlich verdient Stützle die Höchstgrenze von 925.000 Dollar pro Jahr.

Doch die Senators hatten es mit einer Verlängerung eilig. Kaum war es laut CBA möglich, legten sie dem Deutschen einen neuen Vertrag vor und den über die maximal mögliche Dauer von acht Jahren. Beginnend mit nächster Saison (bis dahin läuft noch sein ELD), verdient er für diese Zeit 66,8 Millionen US-Dollar, also 8,35 Mio. pro Jahr.

Das ist der am höchsten dotierte Vertrag in der Geschichte der Senators – Josh Norris, ebenfalls über acht Jahre festgezurrt, verdient "nur" 7,95 Millionen pro Saison.

Der Vorteil für die Senators: Sollte Stützle wirklich zum Superstar werden, wie von GM Pierre Dorion erhofft, ist er beim erwarteten Anstieg der Salary Cap über Jahre zu einem guten Preis unter Vertrag. Der Vertrag erkaufte den Senators ein Jahr als Restricted Free Agent, drei weitere RFA-Jahre, in denen Stützle Arbitration-Rechte hätte, sowie vier Jahre als Unrestricted Free Agent.

Der Vorteil für den Center: Egal ob Verletzungen, mangelnde Leistung oder ähnliches – das Geld ist garantiert. Bis 2027 kann er aber ohne weiteres getradet werden, erst danach verfügt er über eine No-Trade-Clause, wo er bei zehn Destinationen sein Veto einlegen kann.

Stützles Bedeutung für das deutsche Eishockey

Er gehörte zum "Annus Mirabilis" des Drafts 2020, das mit ihm und Lukas Reichel (#17, Chicago Blackhawks) gleich zwei deutsche Erstrundenpicks hervorbrachte. JJ Peterka (#34, Buffalo Sabres) beweist mit seinen heurigen Leistungen, dass er unter Wert gehandelt wurde und auch in die erste Runde gehört hätte.

Im Rückspiegel kann hier für Deutschland nur das Jahr 2001 verglichen werden. Zwar war dort nur Marcel Goc (#20, San Jose Sharks) ein Erstrundenpick, doch die Karrieren von ihm (636 NHL-Spiele), Christian Ehrhoff (789), Dennis Seidenberg (859) und auch Christoph Schubert (315) zeugten von einer Dauerhaftigkeit, an die die 2002er-Generation erst einmal herankommen muss.

Deutschland gehört zu den Ländern, die nicht Jahr für Jahr wie etwa Finnland und Schweden mit einer konstanten Zahl von NHL-Picks aufwarten können. In den 19 Jahren zwischen diesen beiden Drafts verging zwar kein Jahr ohne deutschen Pick, allerdings mit unterschiedlichen Erfolgen.

Von langjährigen NHLern (Thomas Greiss, Philipp Grubauer, Tobias Rieder) über Cracks mit Karrieren zwischen AHL und NHL (Alexander Sulzer, Korbinian Holzer, Stanley-Cup-Sieger Tom Kühnhackl) bis zu zwei (potentiellen) Superstars. Über den Status von Leon Draisaitl in der NHL muss man kein Wort verlieren, er wird wohl als bester deutscher Spieler aller Zeiten in die DEB-Ruhmeshalle eingehen.

Moritz Seider wurde ein Jahr vor Stützle und Konsorten gedraftet (#6, Detroit Red Wings). Stand heute: Würde ich ihn 1:1 gegen Stützle traden? Die Antwort: Nein. Ich war immer der Meinung, dass Seider die nächsten 15 Jahre ein Top-NHL-Verteidiger sein wird und seine bisherigen Leistungen in Detroit bestätigen das auch.

Wie Stützle hat er natürlich das Pech, bei einer noch schwachen bis durchschnittlichen Mannschaft zu agieren (sonst wären die beiden auch nicht so hoch gezogen worden). Doch ich glaube, dass Seider nicht nur jetzt, sondern auch über die Jahre robuster und defensivstärker als Stützle auftreten wird, sodass er für mich die Frage (Top-Defender oder Top-Center – wer ist wichtiger?) für sich entscheiden könnte.

Alles nur hypothetische Spielereien natürlich – Stützle, Seider, Reichel, Peterka, aber auch Leute wie Leon Gawanke, Luca Münzenberger oder der hochtalentierte Dominik Bokk, der nach Jahren der Stagnation heuer starke Lebenszeichen von sich gibt, sollten auf Jahre hinaus das Rückgrat des DEB-Teams darstellen.

Tim Stützle ist aber – egal ob in der NHL oder bei einer WM – durch seine dynamische Spielweise wohl der Mann, der auch bei Eishockeylaien am ehesten als Zugmaschine taugt.


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