Der Weg der St. Louis Blues in dieser Saison war besonders - gar historisch.
Für den "Altmeister" unter den Erfolgslosen kein befremdliches Gefühl. In der Saison 1967/68 - also vor 52 Jahren - sind die Blues in die Liga eingestiegen, konnten seitdem aber nie den Stanley Cup in die Höhe stemmen - ebenfalls historisch. Dieses Schicksal teilen lediglich die Buffalo Sabres, Vancouver Canucks (beide 1970/71), San Jose Sharks (1991/92) und Vegas Golden Knights (2017/18) mit ihnen.
Für St. Louis könnte das Warten in der Nacht auf Montag (02:00 Uhr auf DAZN) jedoch das lang ersehnte Ende finden - mit einem Sieg im sechsten Finalspiel der "Best of seven"-Serie gegen die Boston Bruins (Stand: 3:2) vor heimischer Kulisse im Enterprise Center.
Dabei wird ein junger Labrador die Glücksfee spielen, ein Rookie im Rampenlicht stehen und die Fans werden zu einem 37 Jahre alten Hit von Laura Branigan ausflippen.
Doch alles der Reihe nach:
Völlig verpatzter Saisonstart
Nach dem hauchdünnen Verpassen der Playoffs in der Vorsaison - ein Punkt fehlte am Ende – handelte General Manager Doug Armstrong in der Off-Season. Ryan O’Reilly führte die Riege der Neuzugänge an, er kam von Buffalo via Trade und ist nun einer von drei Finalisten für die Selke Trophy (Stürmer mit bestem Defensivverhalten). David Perron, Patrick Maroon und Tyler Bozak wurden ebenfalls verpflichtet.
Dennoch verlief der Saisonstart enttäuschend. Nach nur 17 Punkten aus den ersten 19 Spielen wurde Head Coach Mike Yeo im November durch Craig Berube (als "Trainer des Jahres" nominiert) ersetzt. Der Trainereffekt blieb zunächst aus.
Am 3. Jänner hielten die Blues die Rote Laterne der NHL in Händen. Berube entfernte daraufhin die Tafel mit der Tabelle aus der Umkleide. "Wo wir derzeit stehen und wo wir hin müssen, das ist ein langer Prozess. Jeden Tag zu sehen, dass es sich nicht schnell genug ändert, hat einfach einen negativen Effekt", erklärte der Interims-Trainer damals.
Gloria und Binnington
Wenige Tage später sollte sich die Welt in St. Louis allerdings völlig auf den Kopf stellen. Am 7. Jänner gastierten die Blues in Philadelphia. Den Abend davor verbrachten einige Spieler im südlichen Stadtteil in einer Bar, um sich dort das NFL-Playoff-Spiel zwischen den Philadelphia Eagles und den Chicago Bears anzusehen. In den Werbepausen sorgte ein DJ für Stimmung und spielte unter anderem den Bar-Hit "Gloria" von Laura Branigan aus dem Jahr 1982.
VIDEO: Die Gloria-Ekstase in St. Louis aus Fan-Perspektive
Verteidiger Robert Bortuzzo beschrieb die Szenen an diesem Abend gegenüber "TSN" wie folgt: "Ein Typ schrie die ganze Zeit: 'Spiel Gloria!'. Ich erinnere mich, dass ich sofort Alex Steen angesehen habe und er sagte: 'Das ist unser Jam'." - Und es wurde ihr Jam.
Auch dank Jordan Binnington. "Jordan wem?", fragten sich zu dieser Zeit viele Leute zurecht. Der 25-Jährige Goalie startete gegen die Flyers, da Berube seinem Stammtorhüter Jake Allen nach 14 Einsätzen en suite eine Verschnaufpause gönnte.
Binnington kam zu seinem ersten Start in der NHL, seinem zweiten Einsatz überhaupt. Er überzeugte auf voller Linie, parierte alle 25 Schüsse von Michael Raffl und seinen Kollegen. In der Kabine feierten die Blues danach den Sieg zu den Klängen von Laura Branigan – die Legende von "Gloria" war geboren.
Zum ersten Mal seit 1997
Was folgte, war ein nicht für möglich gehaltener Erfolgslauf der St. Louis Blues. Mit dem Rückhalt von Jordan Binnington - als "Rookie des Jahres" nominiert - legten sie im Februar eine elf Spiele andauernde Siegesserie hin. Der langjährige AHL-Schlussmann stand in neun dieser Partien im Kasten und wehrte 94,7 Prozent der Schüsse auf sein Tor ab.
Am 29 März fixierten die Colorado Avalanche mit einem Sieg gegen Michael Grabners Arizona Coyotes den Playoff-Einzug der Blues. Ihnen gelang es damit als erstem Team seit den Ottawa Senators in der Saison 1996/97 ins Playoff einzuziehen, nachdem man nach dem Jahreswechsel noch auf dem letzten Platz in der Tabelle gestanden hatte.
Damit war das Ende der Fahnenstange aber noch lange nicht erreicht. In den Playoffs wurden nacheinander die Winnipeg Jets (Serie: 4:2), Dallas Stars (4:3) und San Jose Sharks (4:2) eliminiert. Die Folge: Die erste NHL-Finalteilnahme nach 49 Jahren. Insgesamt nach 1968, 1969 und 1970 die vierte Teilnahme an den Stanley Cup Finals. Zudem sind die Männer mit dem Notenblatt auf der Brust die ersten in der Expansions-Ära der NHL (ab 1967), die im Finale stehen, obwohl sie nach ihrem 20. Saisonspiel noch Letzter waren.
Ein junger Labrador...
Seit dem Umschwung hautnah dabei ist Labrador Barclay. Der damals drei Monate alte Welpe wurde im Dezember vom Klub adoptiert und wird nun für eine Non-Profit-Organisation als Servicehund ausgebildet.
Barclay sorgt auf und abseits des Eises für gute Laune - auch in den schwierigen Phasen. Die Schwester des "FOX"-Kommentators John Kelly hatte die Idee dazu. "Wir sind eine Organisation, die gerne 'all in' geht", hieß es von Vereinsseite damals.
Dass dies ein guter Schachzug war, beweist der Fakt, dass die New York Islanders, Ottawa Senators und Montreal Canadiens ebenfalls schon auf den Hund gekommen sind.
... für die gute Laune
Barclay wird 18 Monate bei den Blues bleiben, bevor er seinen Dienst als Assistenzhund für eine beeinträchtige Person oder bei Gericht als Beruhigung für misshandelte Kinder antritt.
Darum ist er auch bei vielen Spielen der Blues im Stadion, denn das hektische Umfeld während einer NHL-Partie ist der ultimative Härtetest für Barclays Nerven.
"Wann immer ich einen schlechten Tag habe, ist es wirklich schön, ihn zu sehen", beschreibt Stürmer Ivan Barbashev bei "ESPN" den positiven Einfluss des jungen Labradors. Der Russe wird das vielleicht entscheidende sechste Duell gegen die Boston Bruins wegen einer Ein-Spiel-Sperre übrigens von der Tribüne aus verfolgen müssen. Ob Barclay ihm dort Gesellschaft leisten wird, ist noch nicht klar.
Verdient hätte er es sich, vor allem wenn die Blues den Stanley Cup gewinnen. Dann würden die Cracks wohl mit ihrem vierbeinigen Glücksbringer auf dem Eis feiern - vielleicht ebenfalls historisch, sicher aber besonders.