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Unerwartete NHL-Stars: Warum der Draft manchmal danebenliegt

Jason Robertson: Erst in der 2. Runde gedraftet, jetzt ein NHL-Superstar. Wieso werden spätere Leistungsträger im Draft hin und wieder nicht als solche erkannt?

Unerwartete NHL-Stars: Warum der Draft manchmal danebenliegt Foto: © getty

17, 41 und heuer in 42 Spielen bereits 29 Tore: Jason Robertson ist bei den Dallas Stars nicht zu stoppen.

Da fragen sich viele NHL-Fans: Wieso schaffte es der Kalifornier in seinem Draftjahr nicht einmal in die erste Runde? Waren die Scouts überall blind?

Ein Versuch der Erklärung von LAOLA1-Scout Bernd Freimüller:

Ein beliebtes Spiel: Jahre nach dem eigentlichen Draft ordnen Fans oder Journalisten die jeweilige Reihenfolge um, die neue Hackordnung sieht dann natürlich anders aus. Man liest das Buch also von hinten, etwas, dass sich Scouts natürlich auch gerne wünschen würden. Wie kommt es also zu zu hohen oder niedrigen Draft-Rankings?

 

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17- und 18-Jährige im Draftjahr

Über Jahre tauchten immer wieder Gerüchte auf, dass das Draftalter um ein oder zwei Jahre nach oben gesetzt würde, was aber nie passierte. Wohl kein Scout hätte etwas dagegen, denn es macht schon einen Riesenunterschied, ob man 17- oder 19-jährige Spieler beobachten muss.

In Europa etwa versuchen sich viele von ihnen erstmals unter den Erwachsenen – während der eine oder andere durchaus gleich überzeugen kann, geht es bei anderen ums blanke Überleben. Dazu kommt noch oft mangelnde Eiszeit – wie willst du einen Spieler wirklich aufgrund von sieben Minuten Eiszeit in der vierten Linie (ohne Special-Team-Einsätze) beurteilen?

In Nordamerika spielt man altersmäßig wenigstens unter sich, doch auch hier bleiben immer wieder die gleichen Fragen bestehen: Wie entwickelt sich der Spieler körperlich weiter? Kann er sein Eislaufen auf NHL-Niveau bringen oder werden seine Probleme immer technischer Natur bleiben? Hat er den Drive zu einer großen Karriere oder – wie ein Spruch geht – spielt er einfach nur Eishockey, weil er gut darin ist?

Diese Fragen zu beantworten, gehört natürlich zum Tagesgeschäft eines Scouts, doch wie gesagt: Ein oder zwei Jahre mehr an Informationen würden da schon einen Riesenunterschied machen. Statt vielleicht einer U18-WM als Underager und einer im Draftjahr würden hier auch schon – zumindest bei den Spitzenspielern – ein oder zwei U20-WMs als Grundlage dienen. Dazu kämen in Europa ein oder zwei volle Saisonen bei der Ersten, der Übergang vom Springer zum Stammspieler wäre schon geschafft.

Vor allem im körperlichen Bereich machen die zwei Jahre in dieser Altersstufe einen Riesenunterschied. Einige Spieler sind mit 17 schon ausgewachsen, andere legen noch zu. Der NHL-Job bedingt natürlich auch danach Ganzjahres-Training, aber mit 19 ist eher abzusehen, was die Grundlagen sind. Und auch in puncto Ernsthaftigkeit ist in diesen zwei Jahren ein größerer Sprung zu erwarten als etwa zwischen 24 und 26.

Ein langjähriger Scout hat das ganze Dilemma einmal so zusammengefasst: "Wir stehen vor der gleichen Aufgabe wie jemand, der in einer Maturaklasse vorbeischaut und sich dann festlegen soll: Der wird ein CEO, der neben ihm ein Lebenskünstler, das Mädchen neben den beiden eine brave Beamte."

Der innere Drive

Auch wenn du im Mannschaftstraining natürlich gefordert und während der Saison betreut wirst – ohne Eigeninitiative geht gar nichts.

Vor allem in der Off-Season – und die kann vor allem in Nordamerika sehr lange dauern – ist der Spieler gefordert: Arbeitet er an seinem Körper? Macht er das ausgeklügelt oder aufs Geratewohl? Wie oft steht er am Eis? Robertson etwa, dem Skating-Probleme ein höheres Draftranking kosteten, arbeitete hart an seinem Antritt, sodass dieser heute zwar nicht das größte Asset, aber auch kein Problem mehr darstellt.

 

(Text wird unterhalb fortgesetzt)

Die Anzahl von Camps und individuellen Skating-Coaches sind in den letzten Jahren aus dem Boden geschossen, wer will, kann den ganzen Sommer auf dem Eis stehen. Das kostet natürlich, bei den Spitzenleuten kommt die Agentur eventuell dafür auf, ansonsten musst du selbst in die Tasche greifen. Einige Spieler merken die Fortschritte und nehmen solche Hilfe gerne an, andere geben schneller auf.

Nicht jeder kann natürlich Zdeno Chara sein, der im Sommer mit dem Rad halb Europa abfuhr und sich so seine körperlichen Grundlagen schaffte, aber ohne Eigeninitiative geht in Richtung NHL nichts. Doch das Leben kann natürlich auch hier ungerecht sein: Ein Spieler ohne Talent kann wohl auch rund um die Uhr arbeiten, ohne eine Karriere hinlegen zu können. Umgekehrt leben Spieler wie Kevin Fiala oder Patrick Kane zu einem guten Teil von ihrem gottgegebenen Talent.

Äußere Umstände

Wie reagiert ein Spieler auf seinen ersten größeren Paycheck – gibt er sich damit zufrieden oder dient er ihm als Ansporn? Wie beeinflusst ihn seine neue Freundin – unterstützt sie ihn in seiner Karriere oder lenkt sie ihn ab? Wie geht er mit seiner Abschiebung ins Farmteam um? Professionell oder denkt er gleich an eine Rückkehr nach Europa, wo er etwa in der Schweiz mit wenig Aufwand viel Geld machen kann?

Alles Fragen, die kaum im Voraus zu beantworten sind. Mir sind über die Jahre Schüchtis mit 17 untergekommen, die Jahre später echte Leader waren. Andere Spieler wiederum blieben über die Jahre dieselben, einige wenige entwickelten sich sogar in die falsche Richtung.

Dazu kommt natürlich noch Coaching von außen: Ich habe in seinem Draftjahr den späteren Washington-Star Niklas Backström gleich zu Beginn der Saison interviewt. Damals war er ehrlich, aber sehr nervös, hat sich nicht unbedingt in seiner Haut wohl gefühlt. Unser Staff hat ihn dann Monate später beim Combine nochmals befragt: Da war er schon gecoacht, hat die Antworten aalglatt-routiniert runtergespult. Ein Spieler wie Ladislav Smid – elf Saisonen in der NHL – beeindruckte mich in meinem Gespräch ungemein: Ein 30-jähriger im Körper eines 17-jährigen, professionell aber ehrlich, in sich ruhend.

Ein gewisses Grundtalent muss jeder NHL-Spieler mitbringen – aber die persönliche Reifung vorauszusagen, ist ein heikles Thema für jeden Scout. Ob der vermehrte Einsatz von Psychologen bei den Interviews da hilft, kann ich nicht beurteilen.

Die Hilfen durch die Organisation

Pavel Brendl - an vierter Stelle gedraftet - spielte dann nie für die Rangers
Foto: © getty

Vor allem zu Beginn meiner NHL-Zeit (um die Jahrtausendwende) war es noch so, dass ein Spieler gedraftet wurde, einen Vertrag bekam und dann beim Farmteam sich selbst überlassen war. Einige der AHL-Teams waren mehr an Talenteförderung interessiert als andere, unseres – die Chicago Wolves – dagegen vor allem am Gewinnen von Meisterschaften. Ich beklage mich nicht darüber, habe heute noch zwei AHL Champions-Ringe im Tresor, aber den Spielern half das nicht unbedingt weiter.

Das hat sich in den letzten Jahrzehnten kategorisch geändert, man braucht nur auf die Stäbe der NHL-Organisationen schauen. Da wimmelt es nur so von "Conditioning Coaches", "Directors of Player Development”, "Directors of Player Personnel” oder "Player Coordinators”. Die stehen im steten Austausch mit den Coaches und Spielern, die auch noch mit Videos überhäuft werden. Vor 20 Jahren schon technisch gar nicht möglich.

Die Gefahr, dass gute Cracks gedraftet werden, aber dann in der Organisation untergehen, hat sich so stark reduziert – die Teams wissen, dass die Spieler ihr Kapital sind. Aber mehr als zur Tränke führen kann man sie halt auch nicht...

Das Scouting, aber auch das interne Entwickeln der Prospects haben sich über die letzten Jahre sehr zum Positiven gewandelt, dadurch reduzieren sich natürlich auch die Fehleinschätzungen. Eine Situation wie bei den New York Rangers, die den tschechischen Winger Pavel Brendl 1999 an vierter Stelle drafteten, knapp drei Monate später beim Camp ihren Fehler schon vor Augen geführt bekamen, ist heute kaum mehr vorstellbar.

Das Scouting bleibt aber weiter eine ungenaue Wissenschaft, in der man es halt mit dem menschlichen Element zu tun bekommt, das im Profisport – im Gegensatz zum normalen Berufsleben – auch noch Verletzungen ausgesetzt ist.

Die Robertsons – oder aus dem selben Draft ein Flop wie Kristian Veselainen (15 Plätze vor Robertson gedraftet) – wird es weiterhin geben, allerdings im geringeren Ausmaß als früher. Frühere Drafts nochmals aufzudröseln, kann lustig sein, Scouts wissen aber selbst am besten über ihre Fehlbarkeit Bescheid...

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