Mit dem Overtime-Triumph von Kanada im Finale gegen Finnland ist die A-WM am Sonntag zu Ende gegangen – ein Turnier ohne großen Namen oder auch große Leistungen, daher auch mit mehr Sensationen als sonst.
LAOLA1-Scout Bernd Freimüller wirft einen Blick auf die Leistungsstufen der 16 Teams:
Die Dominatoren
Kanada (letzte fünf WM-Turniere: 1-2-4-2-1/Weltrangliste: 1.)
Der Viertelfinaleinzug hing heuer zwar von der Schützenhilfe Deutschlands ab, in der K.O.-Phase war das Team aber wieder da. Selbst eine Mannschaft ohne Stars kann bei einer WM auftrumpfen, der Spielerbestand ist so groß wie in keiner anderen Nation, außer vielleicht auf der Goalie-Position.
Finnland (2-1-Viertelfinale-4-2/2.)
Die Finnen haben sich in den letzten beiden Turnieren völlig von großen Namen unabhängig gemacht – eine Auswahl von Spielern aus Europa reichte für zwei Finaleinzüge. Ein strikt durchgezogenes Defensivkonzept, starke Goalies und Sisu stellen die Gegner vor fast unlösbare Probleme.
Die Verfolger
Russland (VF-3-VF-3-3/3.)
Eine Orchidee in der Vorrunde, eine Distel in den entscheidenden Spielen. Im Gegensatz zu Finnland traut man den Spielern der eigenen Liga nicht ganz über den Weg – die Luftbrücke von NHL-Legionären während der Turniere war nur selten von Erfolg gekrönt. Die letzte Finalteilnahme liegt jetzt sechs Jahre zurück.
Schweden (Vorrundenausscheiden-VF-1-1-VF/7.)
Nach sieben Spielen nicht die Top-4 einer WM-Gruppe zu schaffen, ist für mich eine größere Blamage als die Niederlage gegen Belarus bei Olympia 2002. Im Gegensatz zum ewigen Rivalen Finnland tritt das Team oft nicht wie die Summe der (brillanten) einzelnen Teile auf, das ist seit Jahren vor allem im Juniorenbereich zu sehen. Fehlt es einfach an Siegermentalität und strengen Coaches mit gutem Bankmanagement? Das Abrutschen in der IIHF-Weltrangliste auf Platz sieben sollte die Alarmglocken schrillen lassen…
Das Warten auf den großen Coup
USA (3-VF-3-VF-4/4.)
Die USA schaffen es auf WM-Niveau nie, die Früchte ihres Juniorenprogramms zu ernten. Allerdings stehen die Spieler der früheren U18-Nationalteams auch immer nur punktuell zur Verfügung. Dass es nie auch nur für einen Finaleinzug reichte, ist aber ein Kuriosum, das Erreichen des Viertelfinales gelingt stets ohne Probleme.
Tschechische Republik (VF-4-VF-VF-VF/6.)
Business as usual, im Viertelfinale war Schluss – etwas das auch bei den Juniorenteams mittlerweile so üblich ist (siebenmal bei den letzten acht U20-WMs). Gegenüber Kanada oder Russland fehlt es an Klasse und Breite, gegenüber Finnland an der Hingabe zum Teamkonzept. Es geht seit Jahren weder rauf noch runter, irgendwie schmort die traditionelle Eishockeynation schon seit langem im eigenen Saft.
Schweiz (VF-VF-2-VF-VA/8.)
Das Viertelfinale kann mittlerweile vorausgesetzt werden – die Mischung aus Spielern aus der eigenen Liga und punktuellen NHL-Verstärkungen reicht dafür, aber nicht für mehr. Die Niederlage gegen Deutschland heuer könnte aber beispielgebend für die nächsten Jahre sein.
Deutschland (4-VF-VA-VF-VF/5.)
Draisaitl, Stützle, Grubauer, Rieder, Kahun, Seider, Sturm, Gawanke – so die Spitzenkräfte der letzten und kommenden Jahre, die bei Verfügbarkeit das Team in höhere Sphären tragen können. Dazu kommen noch weitere starke Goalies und verlässliche Teamplayer aus der eigenen Liga sowie herausragende Talente (Peterka, Reichel). Qualität und Quantität sollten das deutsche Team zu einem steten Viertelfinalanwärter machen. Ab und zu fehlt noch ein starker Scorer. Aber der Sprung auf Rang fünf (!) in der Weltrangliste (vor Tschechien und Schweden) beweist, dass es für Deutschland immer mehr nach oben geht. Das DEB-Team könnte sich bald an die Spitze dieser Verfolger-Gruppe setzen, schließlich sind alle Ausnahmekönner noch jung.
Viertelfinale als Ausnahme
Slowakei (VF-VA-VA-VA-VA/9.)
Das erste Viertelfinale seit acht Jahren – das sagt alles über das slowakische Eishockey aus. Die Schweiz und Deutschland sind schon lange an ihnen vorbeigezogen und das könnte auch noch einige Zeit so bleiben. Allerdings zeichnet sich doch ein (noch etwas ferner) Lichtstrahl am Horizont ab: Die Jahrgänge 2004 (Nemec und Slafkovsky waren heuer schon dabei) und 2005 sind die besten seit Jahrzehnten. Nach dem Erreichen des Viertelfinales heuer war die Luft draußen, 13 Gegentore in den nächsten beiden Spielen weisen darauf hin, dass das Ausbooten von Schweden eher einmalig war.
Lettland (VA-VA-VF-VA-VA/10.)
Wie bei der Slowakei ist das Erreichen des Viertelfinales mittlerweile eine kleine Sensation. Und im Gegensatz zu den Slowaken ist keine Besserung in Sicht, das Team wird von Jahr zu Jahr älter. Einige einstige Stars (Darzins, Daugavins, Karsums) sind nah an ihrem Ablaufdatum oder haben dieses schon überschritten. Vor Teams wie Norwegen, Belarus und Kazachstan sollte man aber weiter bleiben. Im Gegensatz zu diesen Nationne hat man bessere Goalies und mit Teddy Blugers und Rudolfs Balcers auch interessante NHL-Stürmer.
Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel
Dänemark (VA-VA-VA-VA-VF/12.)
Ein Viertelfinaleinzug in zehn Jahren – Dänemark gehört zu den Teams, die nicht (mehr) nach oben schielen dürfen, aber vom Abstieg auch weit entfernt scheinen. Wie der jährliche Österreich-Cup und Junioren-WMs beweisen – viel Qualität kommt da nicht mehr nach. Ohne NHL-Profis wie Lars Eller, Oliver Bjorkstrand oder Nikolaj Ehlers wird die offensive Suppe schnell dünn.
Norwegen (VA-VA-VA-VA-VA/11.)
Auch wenn sie in der Weltrangliste vor Dänemark liegen – ich halte das norwegische Eishockey noch für etwas schwächer. Stützen wie Jonas Holos, Tobias Lindström und die beiden Olimbs werden bald wegbrechen, einziges nachstrebendes Ausnahmetalent ist Emilio Pettersen. Auch die letzten Ergebnisse im Juniorenbereich verheißen nichts Gutes. Die Goalie-Position ist ebenfalls meist suboptimal besetzt.
Abstiegskandidaten und Fahrstuhlteams
Kazachstan (VA-1A-1A-1A-Absteiger/13.)
Für mich die größte Sensation neben dem Abschneiden der Schweden: Nach drei Jahren der Zweitklassigkeit wäre fast der Viertelfinaleinzug gelungen. Einbürgerungen helfen natürlich, dazu kam mit Nikita Boyarkin endlich ein brauchbarer Goalie. Ich sehe das Turnier noch nicht als Hoffnung auf eklatant bessere Zeiten an, aber ein Team wie Belarus (wesentlich älter) könnte man hinter sich lassen. Auch im Nachwuchsbereich zuletzt mit einem Aufwärtstrend (U20 von der C- in die A-Gruppe).
Belarus (letzter Gruppenplatz-1A-Absteiger-VA-VA/14.)
Nur die Sistierung des Abstiegs verhinderte die Rückkehr in die Zweitklassigkeit. Geht ein Team, das immer noch den übergewichtigen ICE-Legionär Sergej Kostitsyn aufbieten muss, wirklich besseren Zeiten entgegen? Wie Kazachstan bürgern auch die Weißrussen gerne und leicht ein, das Team wird dadurch aber noch älter. Weiter ein Problem: Die Goalie-Position. Immerhin: Mit Yegor Sharangovich, aber auch Alexei Protas wachsen zwei Leaderfiguren heran. Trotzdem: Belarus künstlich großzureden kann für Österreich bei der Olympia-Qualifikation kein gangbarer Weg sein.
Großbritannien (VA-VA-1A-1B-1B/15.)
Die Briten hätten auch heuer wieder den Klassenerhalt geschafft. In den entscheidenden Spielen (letztes Jahr gegen Frankreich, heuer gegen Belarus) ist das Team immer da. Eigentlich unglaublich: Das frühere C-WM-Team hat sich für das dritte Jahr bei einer A-WM qualifiziert. Die Briten sind auch ein Beispiel dafür, dass die Länge der Vorbereitung mit dem Turnier-Abschneiden nicht korrelieren muss. Auch, aber nicht nur, Corona geschuldet: Großbritannien liegt in der Weltrangliste nun vor Österreich…
Italien (letzter Gruppenplatz-VA-1A-Absteiger-1A/16.)
Das konnte nicht anders kommen: Ein dünn aufgestelltes Team muss nach einer Corona-Welle noch auf etliche Stammspieler und den Headcoach verzichten, null Punkte waren die logische Konsequenz. Ob es unter anderen Umständen zum einen oder anderen Punkt gereicht hätte? Norwegen (acht Punkte) als Vorletzter der Gruppe wäre auf jeden Fall ein anderes Kaliber für den Klassenerhalt gewesen als Österreich ein Jahr vorher…