Tschechien, wir kommen!
Nach zwei Weltmeisterschaften in der Eishockey-Hauptstadt Europas darf Österreich 2024 nach reichlich Zittern wieder einmal eine A-WM in der Nähe der eigenen Heimat bestreiten. Vermutlich wird Prag das ÖEHV-Team beherbergen, ein Fan-Ansturm, wie es ihn schon 2019 in Bratislava gab, darf als garantiert angesehen werden.
Eine Garantie, dass der Mannschaft im Land des sechsfachen Weltmeisters der Klassenerhalt wieder gelingt, gibt es dagegen nicht.
Manche träumten heuer schon vom Viertelfinal-Einzug, stellten das Team mindestens auf eine Ebene mit Dänemark und Deutschland. Dass Thomas Raffl und Co. noch einiges auf diese Nationen fehlt, wollte sich nach den Niederlagen dann niemand eingestehen.
Naja, fast niemand. Nur Teamchef Roger Bader und seine Spieler wussten die Situation stets realistisch einzuschätzen, hielten die Erwartungshaltung bewusst niedrig und stellten sich von Beginn an auf ein Spiel um den Klassenerhalt gegen Ungarn ein.
Greift Bader nicht schon nach den Sternen?
Großen Anklang fanden die Worte des Schweizers im heimischen Fan-Lager jedoch nie, unbedingt neu ist das nicht. Permanent wird vom stoisch wirkenden 58-Jährigen verlangt, doch einmal nach den Sternen zu greifen.
Tut der Winterthurer das denn nicht bereits? Immerhin hat sich Bader auf die Agenda geschrieben, Österreich als Top-12-Nation zu etablieren. Also auch dann nicht in Abstiegsgefahr zu geraten, wenn Belarus und Russland irgendwann wieder für Weltmeisterschaften zugelassen werden.
Angesichts der Möglichkeiten, die ihm vorliegen, ist diese Mission eine große Herausforderung. Die augenscheinlichen Probleme sind hinlänglich bekannt und liegen nicht in Baders Hand, dass Österreich Anfang 2022 noch gar keine A-Nation war, haben die meisten außerhalb des Eishockey-Verbands schon wieder vergessen.
Geblendet wurden Fans und auch Medien bestimmt von den herausragenden Ergebnissen im Vorjahr, dass diese zur Normalität werden, erträumten sich nicht nur die kühnsten Optimisten.
Doch wie Bader selbst nach WM-Ende anmerkte, sind diese "Highlight-Spiele" gegen Tschechien und die USA nur absolute Ausnahmen gewesen. Ähnlich wie beim erst zweiten norwegischen Sieg in der WM-Historie am Montag gegen Kanada, muss in solchen Partien jeder klitzekleine Aspekt für den Außenseiter laufen.
Fehler sind menschlich - und spiegeln womöglich das tatsächliche Niveau wider
Dass Österreich solch ein Spiel diesmal verwehrt blieb, tut in der Nachbetrachtung überhaupt nicht weh. Die vielen Fehler, vorne wie hinten, dafür schon etwas. Zum Glück wurden diese nicht mit dem Abstieg bestraft, muss an dieser Stelle auch einfach einmal gesagt werden.
Doch sie spiegelten in gewisser Art und Weise das tatsächliche Leistungsniveau der Mannschaft wider. Freilich waren einige Patzer dabei, in denen einfach die nötige Konzentration und Übersicht fehlte. Doch wie entstehen Fehler normalerweise? Sie werden vom Gegenüber erzwungen.
Auch Leistungssportler sind genauso nur Menschen und keine Maschinen. Fehler können jedem passieren.
Das betonte auch Kapitän Thomas Raffl nach dem Ungarn-Spiel, der weiters richtig anmerkte: "Nach Niederlagen sitzt niemand in der Kabine und ist zufrieden. Wir machen das auch nicht extra. Wir sind positiv gestimmt, das sollte einfach so rübergebracht werden. Wir wollen gewinnen."
Diesen unbedingten Siegeswillen stellte die Mannschaft gegen Ungarn auch unter Beweis, ansonsten müsste jetzt über die Konsequenzen nach dem Abstieg gesprochen werden.
Manche träumen aber von warmen Eislutschern
Stattdessen muss der Realismus jedes österreichischen Eishockey-Beobachters eingefordert werden.
Viertelfinal-Einzug bei der WM? Völlig unrealistisch. Siege über Top-Nationen? Ebenfalls. Gegen Dänemark und Deutschland? An guten Tagen möglich, aber absolut kein Muss. Und wie sieht es mit Frankreich und Ungarn aus? Das sind die einzigen beiden Gegner, die in Österreichs Reichweite liegen bzw. gelegen sind.
Das war auch zu sehen. Roger Bader sprach angesichts des geschafften Klassenerhalts zurecht über eine Weiterentwicklung. Denn das ist, was wirklich zählt: Der erneute Verbleib in der Top-Division.
So kommt man dem Ziel näher, längerfristig in der A-Gruppe vertreten zu sein. Dass es dafür ein weitreichendes Umdenken bei den Vereinen im Umgang mit ihren einheimischen Cracks braucht, sollte jedem bewusst sein und betonte Bader ebenfalls nochmal.
Doch es sollte aufgehört werden, von warmen Eislutschern zu träumen. Die Nachwuchssituation in unserem Land ist kritisch, Kinder werden im ganz jungen Alter zu wenig gefördert und können dadurch in weiterer Folge nicht von einer möglichen Karriere als Eishockeyspieler überzeugt werden.
Außerdem ist die Infrastruktur in vielen Bereichen des Landes zu schlecht bzw. manchmal gar nicht vorhanden. Es gibt viel zu wenige, vor allem überdachte, Eishallen und somit nicht nur für Sprösslinge kaum Chancen, ganzjährig zu trainieren.
Daher darf es auch niemanden verwundern, wenn sich größere Talente früh für den Schritt ins Ausland entscheiden, um die bestmögliche Ausbildung zu erhalten. Nur so schafften es Marco Rossi, Marco Kasper oder David Reinbacher zu (potenziellen) Erstrunden-Wahlen für den NHL-Draft. Wären sie in Österreich geblieben, wäre dies wohl nicht möglich gewesen.
Kampf um den Klassenerhalt ist die Realität, alles andere nicht
Es ist bittere Realität, dass in anderen Ländern viel besser gearbeitet und der Eishockey-Sport unterstützt wird, als es bei uns der Fall ist. Daher sollte ein jeder zufrieden sein, wie sich das Nationalteam unter diesen Umständen bei Weltmeisterschaften präsentiert und sich in den letzten Monaten weiterentwickelt hat.
Immerhin kommt es nicht von ungefähr, dass Österreich erstmals seit 19 Jahren zweimal in Folge der Top-Division-Verbleib gelungen ist.
Einen großen Anteil daran hat Roger Bader, der sich von Ausnahmen nicht blenden lässt, das Maximum aus dem ihm verfügbaren Material herausholt und nebenbei als Sportdirektor dafür sorgt, dass sich Österreich während der Saison mit größeren Nationen messen darf.
Nur so kann das Nationalteam weiter wachsen und sich als A-Nation etablieren. Bis dorthin ist es aber noch ein weiter und steiniger Weg. Vom Kampf um den Klassenerhalt ist man 2024 in Tschechien und im Erfolgsfall auch in den Folgejahren nicht befreit.
Das sollte eigentlich jedem bewusst sein. Doch bis auf Roger Bader und seinem Team wissen das offenbar nur die allerwenigsten. Sonst würden Forderungen nach mehr als dem jährlichen Kampf um den Klassenerhalt nicht laut werden...