Die Eishockey-Weltmeisterschaft ist für Österreich vorüber, das ÖEHV-Nationalteam hat den Klassenerhalt geschafft. Wäre dieser auch ohne Michael Raffl möglich gewesen?
Der Stürmer der Philadelphia Flyers stieß mit Verspätung zur Truppe und legte einen bravourösen Kaltstart hin, wurde trotz zweier Spiele weniger bester Scorer.
LAOLA1-Experte Bernd Freimüller wirft einen Blick auf den Wert des NHL-Legionärs für das Team von Roger Bader und zieht einen Vergleich mit anderen Übersee-Cracks bei der WM:
Mein Fazit war schon vor dem gestrigen Abschlussspiel gegen Tschechien: "Raffl spielte ein besseres Turnier als vor drei Jahren in Prag und hatte gewaltigen Anteil am Klassenverbleib für das österreichische Team."
Mit den zwei Toren beim 3:4 gegen Tschechien fettete er seine persönliche Statistik dann nochmals auf (vier Tore und ein Assist in 5 Spielen, +3) – doch sein Wert für das ÖEHV-Team ging weit über statistische Werte hinaus.
Körperliche Präsenz
Raffl brachte Größe und Kraft ins Line-up eines sicher nicht großen Teams, auch wenn es im heutigen Eishockey nicht vordringlich um körperliche Kraft geht. Ein erstaunlicher Vergleich dazu: Die Durchschnittswerte von Österreich (1,83m/86kg) und den USA (1,83m/87kg) unterschieden sich kaum. Aber: Reichweite und ein gewisses Durchsetzungsvermögen an der Bande sind bei aller Konzentration auf eisläuferische und technische Qualitäten immer noch gefragte Tugenden.
Raffl ist keineswegs ein "Banger" oder aggressiv physischer Spieler wie etwa Patrick Spannring, teilt aber Checks ebenso gut aus, wie er sie aufnimmt. Doch er war mit Abstand der beste Österreicher, wenn es darum ging, Gegner zu binden. Das bestätigte sich schon bei seinem ersten WM-Spiel. Ich erinnere mich an eine Szene gegen die Slowakei, als er mit der Scheibe am Stock auf zwei Defender zufuhr ("tries to split the D"). Diese machten die Tür zwar zu, hatten dabei aber alle Hände voll zu tun, das Gerangel dauerte mehrere Sekunden. Leider sprang der Puck nicht zu Fabio Hofer, der im Stile einer chinesischen Ehefrau das Ganze von hinten mit Respektabstand verfolgte. Die Aktion versiegte schließlich, aber zwei Gegenspieler zu binden, gelang sonst kaum einem Österreicher und brachte dem Team eine bis dahin vermisste Dimension. Überhaupt wirkten einige seine Teammates durch seine Präsenz größer und mutiger als zuvor.
Klar, ein Connor McDavid oder Sebastian Aho wären in einer solchen Situation vielleicht sogar durchgekommen, ein Leon Draisaitl mit seiner Riesenreichweite hätte hier vielleicht noch die Scheibe zu Hofer poken können. Aber das sind ja auch NHL-Stars und absolute Weltklasse-Spieler. Raffl – und das ist natürlich nicht annähernd eine Abwertung – agiert nicht in dieser Kategorie (und hatte auch schwächere Mitspieler), bewies aber in jeder Phase, warum er seit Jahren ein fixer Bestandteil des Flyers-Line-ups ist.
Ruhe an der Scheibe
Eine große Stärke des Villachers, auch dem täglichen NHL-Betrieb gestundet: Er kann unter Druck die Scheibe behaupten. Es gab mehrere Szenen, wo er vor allem hinter dem Tor die Scheibe behauptete, ein oder zwei Gegenspieler auf sich zog, mit Sidesteps wertvolle Sekunden und Raum gewann und den Puck dann zu einem Mitspieler weiterleitete. Eine Gabe, die andere rot-weiß-rote Cracks eben nicht hatten, sie hatten zu viel mit dem Gegenspieler zu tun und stocherten die Scheibe dann vielleicht schnell weg. Die Puckbehaltszeit von Raffl (mit positivem Ausgang) war wahrscheinlich die höchste im Team, ohne dass er auch nur annähernd eigensinnig agierte hätte.
Der Passgeber
Wenn man auf die Cy-Young-ähnlichen Statistiken schaut, könnte man glauben, dass Raffl eher als Goal-Scorer denn als -Vorbereiter agierte. Doch das trügt sehr: Ich hatte ihn bei diesem Turnier zumindest vor dem letzten Spiel eher als Passgeber in Erinnerung. So kreierte er etwa im letzten Drittel gegen Frankreich eine Unzahl von Chancen, ich erinnere mich etwa an einen perfekten Pass zu Thomas Hundertpfund, der an Florian Hardy scheiterte. Raffls Hände sind – auf NHL-Niveau – gut genug, um das Cycling Game am Leben zu erhalten, gute und saubere Handoffs zu produzieren und genaue, kurze Pässe zu machen, während er sich selbst in eine neue Position rotiert. Als Playmaker per se würde ich ihn nicht bezeichnen, sein Passing Game ist jedoch sehr gut.
Der Torjäger
Raffl erzielte vier Treffer bei dieser WM. Vor allem die Tore gegen Tschechien zeugten von großer Klasse: Beim 2:4 nahm er einen weiten Pass an, deutete gegenüber Defender David Sklenicka an, dass er eigentlich auf einen Mitspieler wartete, ehe er die Jets anwarf, über die Außenbahn zum Tor zog und von seinem Off-Wing so abschloss, das Goalie Pavel Francouz keine Chance auf einen Pokecheck hatte und das lange Eck meterweit erschienen ließ. Eigentlich ein Weltklasse-Tor! Das 3:4 war dann ein End-to-end-rush, wo er im eigenen Drittel Fahrt aufnahm, Defender Jakub Krejcik wie einen Schulbuben aussehen ließ und Francouz, der den Winkel eigentlich gut abschnitt, keine Chance ließ. Ein weiterer spektakulärer Treffer!
Im Entscheidungsspiel gegen Belarus fälschte er einen Schuss von Konstantin Komarek im Slot zum 3:0 ab, beim 2:0 nahm er aus ähnlicher Position dem Goalie die Sicht. Beides Powerplay-Tore, bei denen er hinter und dann vor dem Tor agierte. Keineswegs als purer Rammbock (wie etwa Antonin Manavian bei Frankreich), aber als mobile "Drive-by"-Variante, in der er auch seine Größe und Reichweite gut ausnutzte. Ich bin aber überzeugt, dass er auch von der Halfwall seinen Wert gehabt hätte.
Auch der Treffer zum 2:2 gegen Frankreich war ein Powerplay-Tor, er stocherte einen von Hardy schlecht gefangenen Puck nach einem Schuss von Dominique Heinrich ins Tor – auch hier bewies er Ruhe unter Druck.
Vier Tore, davon drei in Überzahl – Raffl war ein wichtiger Faktor des heuer gut auftretenden ÖEHV-Powerplays und seine Tore waren ein Beweis dafür, dass seine Abschlussqualitäten doch größer sind, als er heuer in Philadelphia zeigen konnte.
Der Speed
Raffl wird mit 6 Fuß und 188 Pfund gelistet, mir kommt er fast größer und schwerer vor. Aber er ist auf jeden Fall ein "Heavy Player" – das heißt nicht übergewichtig, sondern stark auf seinen Eisen. Es gibt in der NHL natürlich noch viele größere und stärkere Spieler, aber im österreichischen Vergleich wirkt er weit über dem Durchschnitt. Bei aller Kraft: Ich bin bei der Beurteilung seines Speeds hin- und hergerissen gewesen – ist der auf NHL-Niveau durchschnittlich oder darüber? Raffl ist kein Spieler, der über das Eis glüht, hat aber eine heute unerlässliche Stärke: Er kann sich auf kleinstem Raum Platz verschaffen, seine Agilität und Quickness sind gut. Auf die Langstrecke gibt es vielleicht schnellere Spieler, aber er hat sicher "Deceptive Speed" und nimmt vor allem auch aus dem Stillstand schnell Fahrt auf.
Das Defensiv-Verhalten
Er weiß natürlich, wo er sich auf beiden Seiten des Pucks zu platzieren hat. Raffl ist vielleicht der österreichische Spieler, der seit seiner Jugendzeit sein Spiel am meisten umgestellt hat.
Begabt war er immer, aber in seinen Junioren-Tagen verließ er sich sehr auf seine offensiven Skills und sein Overall Game war alles andere als ausgereift. Ich hätte ihm ehrlich gesagt aufgrund seiner oft frustrierenden Junioren-WMs keine große Karriere zugetraut, im Gegensatz etwa zu Greg Holst, der sich lange für ihn als Fürsprecher verwendet hat. Aber Raffl wandelte sich in Schweden von einem inkonstanten Offensivspieler zu einer Zwei-Weg-Waffe.
Auch bei der WM war sein Defensiv-Verhalten ohne Tadel, lediglich die Endphase gegen Frankreich verlief etwas chaotisch. Mit zusätzlicher Eiszeit und einem Rückstand konfrontiert, nahm er einige Shortcuts und verließ das eigene Drittel öfters vorzeitig. Doch wie gesagt – dies war den besonderen Umständen geschuldet und er kreierte dadurch auch zusätzliche Offensive...
"Plug-and-Play"
Was die Coaches in Philadelphia an Raffl so schätzen: Er ist ein "Plug-and-Play"-Spieler, das heißt, er kann ohne Vorlaufzeit jede Aufgabe erfüllen und ist im Line-up vertikal und horizontal vielseitig verwendbar.
Bei der WM hatte er mehr mit der Center-Position als mit dem unterschiedlichen Spielstil in Europa zu kämpfen. In Roger Baders System hat der Center defensiv viel zu tun, vor allem in der Offensivzone soll er die Verteidiger in einer Dreierkette unterstützen. Das nach einer Saison als Flügel ohne Vorbereitung schnell zu verinnerlichen, war vielleicht etwas viel verlangt. Nach zwei Dritteln gegen die Slowakei ging Raffl wieder auf den Flügel, von wo er wesentlich effektiver agierte.
Baders Idee war keineswegs weit hergeholt oder exotisch – einen großen Center kann Österreicher immer brauchen und der Villacher spielte diese Position auch zeitweise in Philadelphia. Das Problem war wie gesagt eher die nicht vorhandene Zeit zum Umgewöhnen. Im Vergleich schneidet der Flügel Raffl besser als der Center ab, trotzdem muss die Pivot-Position im ÖEHV-Team für ihn nicht ein für allemal zu den Akten gelegt werden. Die Umstellung von einem Rollenspieler zu einem Leader gelang dem Villacher aber erwartungsgemäß ohne Probleme...
Sein NHL-Status
Nicht jeder NHL-Spieler bei der WM ist ein Star und trumpfte auch demgemäß auf. Auf die Sebastian Ahos, Connor McDavids und David Pastrnaks kommen natürlich auch Cracks wie Tomas Jurco (Slowakei), Radek Faksa (Tschechien) oder Magnus Paajarvi (Schweden), die zwar mitunter aufzeigen, aber keineswegs dominieren. Raffl fällt in der NHL irgendwo zwischen diese beiden Gruppen – mit fünf Jahren Dienstzeit und 345 Spielen ist er alles andere als ein "Flash in the pan", hat sich in der Liga etabliert. Ein Rollenspieler mit meist überschaubarem Offensivpotenzial (bis auf seine 21 Tore vor drei Saisonen), vielseitig verwendbar und verlässlich.
Die Flyers schätzen ihn – wie sehr, wird die nächste Saison zeigen. Kommt ein Angebot zur Vertragsverlängerung? Wird er vor der Deadline getradet? Sollte er seinen UFA-Status nicht ausnutzen und schauen, was der Markt so für ihn in petto hat? Ist ein Team an ihm interessiert, das ihm vielleicht sogar eine größere Rolle zutraut?
Alles interessante Fragen, die nächste (Off-)Season wird für den 29-Jährigen sicher richtungsweisend bezüglich seiner weiteren NHL-Zukunft sein. Aus eigennützigen Motiven muss Teamchef Roger Bader hoffen, dass er bei den Flyers unterschreibt - und das schon vorzeitig. Raffl gehört zwar zu den wenigen Spielern, die ihrem verbalen Bekenntnis zum ÖEHV-Team immer auch Taten folgen lassen, doch als Free Agent zur nächsten WM zu kommen, wäre wohl zu viel verlangt...