Österreich gegen Deutschland – ein Spiel, das bei der WM im Tampere nicht nur Eishockey-Freunde vor den Bildschirm locken wird.
Ein Blick auf den auch im Eishockey größeren Nachbarn, der nach dem gestrigen 6:4 gegen Dänemark wieder Richtung Viertelfinale schauen kann, von LAOLA1-Scout Bernd Freimüller.
Ein gutes Beispiel, den Personal-Unterschied zwischen den beiden Nationen darzustellen, ist das Angebot an Torhütern. Bei Österreich stellen sich Bernhard Starkbaum (37), David Kickert (29) und David Madlener (31) quasi von selbst auf, ernstzunehmende und jüngere Alternativen gibt es praktisch keine.
Dagegen in Deutschland:
NHL-Goalies: Philipp Grubauer (31), Thomas Greiss (37, nach Zerwürfnissen mit dem Verband kein Thema mehr)
Im WM-Kader: Dustin Strahlmeier (31), Mathias Niederberger (30), Maximilian Franzreb (26)
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Bereits mit WM-Erfahrung: Felix Brückmann (32), Niklas Treutle (31)
Erfahrenere DEL-Goalies: Markus Keller (33), Andreas Jenike (34), Danny aus den Birken (38), Dennis Endras (37). Aus den Birken und Endras sind in ihrem jetzigen Alter, Status und Karriereverlauf mit Starkbaum zu vergleichen, Keller und Jenike haben wohl eher kein internationales Niveau.
Ein Doppelstaatsbürger, der theoretisch für das Nationalteam auflaufen könnte, aber wirklich nicht gut genug ist: Oleg Shilin (32)
DEL-Starter oder mit großen Spielanteilen: Hannibal Weitzmann (27), Tobias Ancicka (22), Arno Tiefensee (21), Mirko Pantkowski (24), Florian Bugl (21), Kevin Reich (27), Cody Brenner (26), Leon Hungerecker (25) – alle noch unter 30 und vor allem Tiefensee, Pantkowski und Bugl sind interessante Aktien für die Zukunft, Ancicka trotz einer schwierigen Saison eigentlich auch.
Der etwas kleingeratene Hendrik Hane (22) und der länger verletzte Nikita Quapp (20, von den Carolina Hurricanes gedraftet) könnten sich auch noch in der DEL festsetzen.
Natürlich weist nicht jeder dieser Goalies gehobenes Niveau auf oder ist automatisch der rot-weiß-roten Troika vorzuziehen, nur: Man müsste blind sein, um nicht den Auswahlunterschied zu sehen. Und dieses Spiel kann man natürlich auch auf den anderen Positionen spielen, wo er allerdings nicht ganz so dramatisch ausfallen würde.
Viele Absagen - aber Seider macht das Team besser
Harold Kreis, der vom nunmehrigen Job-Hopper Toni Söderholm übernahm, musste bei seinem ersten Turnier als DEB-Coach unzählige Absagen hinnehmen.
Weder Grubauer noch Leon Draisaitl reisen nach den NHL-Playoffs nach, Tim Stützle und/oder die Ottawa Senators winkten ebenfalls ab, Lukas Reichel klinkte sich wegen einer angeblichen Verletzung aus. Mit Tobias Rieder und Tom Kühnhackl sagten auch zwei Stürmer aus der SHL ab.
Aus der DEL u. a. nicht dabei: Patrick Hager, Korbinian Holzer, Stefan Loibl, Marcel Brandt, Matthias Plachta. Yasin Ehliz verletzte sich im letzten Testspiel. Trotz dieser Absagenflut verzichtete Kreis auf Winger Dominik Bokk (mehr als ein Punkt pro Spiel in Frankfurt).
Ein paar Tage vor Turnierbeginn sah es kadermäßig sehr trübe aus, doch gerade die Defensive bekam noch einen kräftigen Vitaminstoß: Ich kenne kaum einen Spieler wie Moritz Seider, der alleine ein Team auf eine weit höhere Stufe heben kann. Er drehte seine ursprüngliche Absage um, spielt jetzt seine üblichen 25 Minuten in allen Situationen – wenn der Red-Wings-Mann nicht bereits jetzt zu den besten Defendern auf diesem Planeten gehört, wird das bald der Fall sein.
Kai Wissmann, der sein Nordamerika-Abenteuer nach einer Saison abbrechen wird und Leon Gawanke (nach vier AHL-Saisonen ebenfalls wieder vor einer Rückkehr in die DEL) reisten ebenfalls nach. Mit Seider, Wissmann und Gawanke stehen im Gegensatz zur Vorbereitung, wo der wackere Kapitän Moritz Müller noch in ungewohnter PP-Rolle ranmusste, gleich drei Mann fürs Powerplay und für Pucktransporte aus dem eigenen Drittel parat.
In der Offensive hängt viel von der Paradelinie um Dominik Kahun, Marcel Noebels und J.J. Peterka ab, die gegen die drei großen Gegner zu Turnierbeginn Teilerfolge einfahren konnten. Die drei Ein-Tore-Niederlagen waren durchaus ehrenvoll, aber führten zu der kuriosen (und trügerischen) Situation, dass Frankreich und Österreich bis gestern in der Tabelle vor den Deutschen lagen.
Die Favoritenrolle ist klarer zugeteilt, als es scheint
Niko Sturm (San Jose Sharks) gilt als der Faceoff-Spezialist im Team, die Linie mit Wojciech Stachowiak, Parker Tuomie und Justin Schütz (alles WM-Debütanten) kontert den Gegner mit unermüdlicher Laufarbeit. Trotz des 6-Tore-Breakouts gestern kann die Offensive nicht mit der Defensive mithalten, sollte aber gegen die jetzt folgenden schwächeren Gruppengegner (Österreich, Frankreich, Ungarn) sehr wohl für die nötigen Tore sorgen können.
Weiß Gott, das deutsche Eishockey hat auch seine Probleme (U18-Abstieg heuer in die B-Gruppe) und kann personalmäßig wiederum nicht mit den Top-Nationen mithalten. Doch selbst neun bis elf Legionäre (was ja in der ICE immer als alleiniges Übel angesehen wird) und unzählige Doppelstaatsbürger, die für das Nationalteam kein Thema sind, haben die DEB-Auswahl in den letzten Jahren nicht von Olympia-Silber und fünf Viertelfinal-Teilnahmen in den letzten sechs Turnieren abgehalten.
Das deutsche Eishockey liegt zwischen den europäischen Spitzennationen (Schweden, Finnland, Russland, Tschechien) und den schwächeren Verbänden (Dänemark, Lettland, Norwegen). Je nach Edition liegen die Teams ungefähr auf der Stufe der Schweiz und der Slowakei – diese drei Verbände nehmen auch in der Weltrangliste in enger Folge die Ränge 6-8 ein.
Österreich liegt in dieser Tabelle auf Rang 15 – das sollte schon klarmachen, wer im heutigen Spiel Favorit ist und mit welchem Abstand. Auch wenn heute (sportartfremd) wieder die Cordoba-Platte abgespielt werden wird, sollte die immer noch enge Tabellenlage nicht über die wahren Kräfteverhältnisse hinwegtäuschen...