Es war ein Drahtseilakt, den Österreich erneut in Tampere hinlegte.
Schon im Vorjahr stand das ÖEHV-Team im letzten Gruppenspiel gegen Großbritannien, welches wie auch heuer das Duell um den Klassenerhalt war, mit dem Rücken zur Wand. 1:3 hieß es damals nach 47 Minuten, gegen Ungarn war derselbe Spielstand bereits nach 25 Minuten Realität.
Dass die Bader-Truppe generell ein Faible dafür hat, es besonders dramatisch zu machen, sollte dem eingefleischten ÖEHV-Fan schon längst bekannt sein. Während manch einer seine Nerven vor dem Fernseher oder Laptop bestimmt davonschwitzte, blieben Thomas Raffl und Co. ruhig, wenn auch trotzdem eine gewisse Anspannung zu spüren war.
Das KAC-Duo Steven Strong und Lukas Haudum besorgte noch im Mittelabschnitt den 3:3-Ausgleich, da sowohl im Schlussdrittel als auch in der Overtime (Bernhard Starkbaum sei Dank) keine Entscheidung fiel, musste der Absteiger wie schon 2019 gegen Italien im Shootout ermittelt werden.
Ganahl: "Wir sind schon an diesem Punkt gestanden"
Ein mit viel Mühe verdrängtes Trauma war plötzlich wieder präsent, damals in Bratislava war das ÖEHV-Team ebenfalls die dominante Mannschaft, doch am Ende wurden bittere Tränen vergossen. Die vielen Rückschläge, die einige Cracks im Team schon mitmachen mussten, haben eben jene aber gestählt.
So ist es nicht verwunderlich, dass mit Manuel Ganahl und Dominique Heinrich zwei absolute Routiniers ihre Penalty-Versuche verwandelten, während Bernhard Starkbaum sein Tor regelrecht verriegelte und ebenso zum vielumjubelten Matchwinner wurde. Das 4:3 n.P. und der Verbleib in der Top-Division waren Realität. Tabelle der Gruppe A >>>
"Wir sind bei A-Weltmeisterschaften schon an diesem Punkt gestanden, dieses Mal haben die Nerven gehalten. Wir haben auf der Bank eine gute Ruhe gehabt, eine brutale Selbstbewahrung. Wir haben gemerkt, heute ist unser Tag", sagt Ganahl im "ORF".
Österreich schafft damit erstmals seit 19 Jahren zweimal in Folge den Klassenerhalt und löst das Ticket für die A-WM 2024 in Tschechien. Die Erleichterung im knapp 2.000 entfernt gelegenen Tampere war bis in die Heimat zu vernehmen.
"Es war ein spannendes Spiel, Ungarn war ein guter Gegner. Es war nicht so, dass wir gegen einen Jausengegner spielten", meint Heinrich. Ganahl ergänzt: "Es war ein harter Kampf bis auf den letzten Zentimeter."
Siebtes Spiel, zum siebten Mal in Rückstand geraten
Dass es überhaupt so weit kam, lag zum wiederholten Male während des Turnier-Verlaufs an einfachen Fehlern in der Defensive. Der Start in die Partie verlief aus österreichischer Sicht gut, Ungarn wurde mit aggressivem Forechecking in Schach gehalten, erste Torchancen selbst erspielt.
Doch mit der ersten Drangperiode der Magyaren wuchs die Verunsicherung in der Mannschaft, innerhalb weniger Augenblicke wurde gleich dreimal auf den Gegenspieler im (hohen) Slot vergessen. Die Folge: Der in Rumänien tätige Istvan Sofron überwand Starkbaum bereits in der fünften Minuten zum 1:0 der Ungarn.
Wieder sollte Österreich das erste Tor einer Partie kassieren, während der gesamten WM lag die ÖEHV-Auswahl kein einziges Mal in Führung. "Zum siebten Mal in sieben Spielen mit 0:1 in Rückstand zu sein, hilft natürlich nicht", weiß Teamchef Roger Bader.
Das Team wirkte etwas geschockt, ein zweiter ungarischer Treffer lag in der Luft, ehe Österreich das zweite Powerplay des Spiels zugesprochen bekam. Nach einer Zonenklärung nahm Marco Rossi, der sich stets von Spiel zu Spiel steigerte, Anlauf und vollendete ein unwiderstehliches Coast-to-Coast-Solo zum Ausgleich.
"Ich habe einfach eine Lücke gesehen und bin durchgefahren", erklärt Rossi, der gar nicht gesehen hatte, "dass die Scheibe drinnen war. Ich dachte, der Goalie hat sie. Ich habe nur die Mitspieler gesehen, wie sie sich gefreut haben."
Nach lauter Kabinenansprache lief es rund
Das 1:1 gab Auftrieb, Österreich fand wieder zu seinem Spiel und stellte Ungarn unter Druck. Kurz vor der ersten Drittelpause kassierte Kapitän Raffl eine Strafe, das bis zu diesem Zeitpunkt der WM völlig farblose Powerplay der Magyaren (null Tore aus elf Versuchen) durfte sich zeigen.
Und natürlich kam es, wie es kommen musste: Sofron fälschte ein Zuspiel von Balazs Sebök perfekt in die Maschen ab, nachdem er völlig frei vor Starkbaum zur Deflection kam. Die ÖEHV-Abwehr war unsortiert, die Kommunikation zwischen Ganahl und Bernd Wolf funktionierte in diesem Moment nicht.
In der folgenden Pause wurde es in Österreichs Kabine laut. Warum? "Weil ich nicht zufrieden war, dass die Ungarn die Initiative im ersten Drittel übernehmen konnten", erklärt Bader. "Ich habe verlangt, dass wir das mit mehr Körperspiel und Forecheck ändern, damit wir das Zepter in die Hand nehmen können."
Der rauere Ton zahlte sich aus, die Mannschaft wirkte fokussiert und kam mit viel Elan aus den Katakomben - kassierte aber trotzdem das 1:3 durch Milan Horvath.
Doch die Körpersprache änderte sich nicht, wurde sogar noch besser, als Steven Strong den Puck über die Linie stocherte - ein "ugly goal", welches zu keinem besseren Zeitpunkt hätte fallen können. "Mit dem Zwei-Tore-Rückstand war es wichtig, dass die vierte Linie das zweite Tor erkämpft hat und ab diesem Moment sah ich uns deutlich besser", so Bader.
Daraufhin hatte seine Mannschaft das Heft des Handelns in der Hand, bestimmte das Spiel. Einzelne Nadelstiche konnten die Magyaren dennoch setzen, wie bei einem 2-auf-0-Konter. Ein weiterer Powerplay-Treffer von Jubilar Lukas Haudum, der sein 100. ÖEHV-Spiel bestritt, sorgte jedoch für den Spielstand von 3:3 zur zweiten Pause.
Das erhoffte Glück war den Österreichern hold
Im Schlussdrittel war beiden Teams die Nervosität anzumerken, Fehler wollten unbedingt vermieden werden.
So ging es auch in die Overtime, mit der sowohl Österreich als auch Ungarn bei dieser WM ihre Erfahrungen gemacht haben. Das ÖEHV-Team verlor das Auftaktspiel gegen Frankreich mit 1:2 n.OT, in eben jener Verlängerung und ebenfalls gegen die Franzosen fuhr Ungarn mit 3:2 den einzigen Sieg ein.
Dass Österreich nach 60 Minuten noch nicht gerettet war, fand Bader aus ungarischer Sicht "schmeichelhaft, weil wir doch deutlich mehr Schüsse und Chancen hatten." Bei 3-gegen-3 hätte dies jedoch beinahe nichts gebracht, nur Bernhard Starkbaum konnte mit einer großartigen Parade den Triplepack von Sofron verhindern.
"In der Overtime haben wir ein paar Chancen hergegeben, wo es wirklich knapp war", weiß Heinrich, dass auch etwas Glück dabei war. Weil ein Schlagschuss von Thomas Raffl nur an der Maske von Ungarns Tormann Bence Balizs landete, fand das "Grande Finale" um den Klassenerhalt im Shootout statt.
"Irgendjemand hat mir ein gelbes Kaltgetränk versprochen. Mal schauen, ob das eingehalten wird."
Dort war das bereits zuvor angesprochene - und bei der WM bis dorthin kaum vorhandene - Glück dem ÖEHV-Team wieder hold, auch weil Bader auf die richtigen Cracks setzte.
"Man hat gewisse Erfahrungen", erklärt der Schweizer die Wahl der Penalty-Schützen und führt aus: "Manuel Ganahl hat schon viele Penaltys geschossen, ich wusste, dass er das kann. Dasselbe gilt für Dominique Heinrich. Peter Schneider und Marco Rossi sind auch sichere Schützen, heute hat es nicht geklappt. Der fünfte wäre Lukas Haudum gewesen."
Entscheidend sei jedoch gewesen, "dass Bernhard Starkbaum vier Penaltys gehalten hat. Das freut mich ganz besonders für ihn."
Lange Party-Nacht steht bevor
Somit spielt es für die heimischen Cracks auch keine Rolle, dass man den Klassenerhalt nur mit Hängen und Würgen geschafft hat.
"Im Endeffekt ist das alles egal, wir haben uns durchgesetzt und spielen nächstes Jahr wieder bei der A-WM", jubelt Heinrich. Ganahl meint ebenfalls: "Wichtig ist nur der Sieg."
Das Ticket für Tschechien ist gebucht, doch die Gedanken beschränkten sich vorerst auf die anstehende Party-Nacht. Wielange diese andauern wird, wollte Ganahl nicht festlegen.
Der Vorarlberger verriet nur soviel: "Irgendjemand hat mir ein gelbes Kaltgetränk versprochen. Mal schauen, ob das eingehalten wird."