Wenn sich jemand im österreichischen Team als Gewinner der Junioren-WM bezeichnen kann, dann sicher Goalie Sebastian Wraneschitz.
Ein Blick auf die Leistungen des jungen Wieners und seine Zukunftsaussichten:
Es war schon vor dem Turnier klar: Die Torhüter der Aufsteiger können sich nie über Mangel an Arbeit beklagen, und damit die Niederlagen für Österreich in erträglichen Grenzen ausfallen würden, muss der Goalie überragende Leistungen bringen.
Das tat Wraneschitz auch vor allem gegen die USA und Schweden. Nach einer Erholungspause durfte er auch wieder im letzten Spiel gegen Tschechien ran, wo er das Team zumindest ein Drittel im Spiel hielt.
Sein Leistungsnachweis:
3 Spiele, Save Percentage .892, Gegentordurchschnitt 7.45.
Liest sich nicht gerade imposant, relativiert sich aber aufgrund der Unterlegenheit des österreichischen Teams. Wraneschitz sah sich mit 194 Schüssen konfrontiert. Das reicht normalerweise für das Zwei- bis Dreifache der tatsächlich absolvierten drei Spiele.
Was sahen die Fans, Scouts und Coaches vor den Bildschirmen? Einen ruhigen und stilsicheren Torhüter, der weder körperlich noch mental einknickte. Einzig in der Schlussphase gegen die USA musste er, von Krämpfen geplagt, Jakob Brandner Platz machen.
Trotz des Chaos vor und um ihn verfiel er nur selten in den "Scrambling Mode" und dann nur, wenn es angebracht war. Seine Rebound Control war stark, dazu kamen noch eine ausgezeichnete Fanghand und gute laterale bzw. Auf/Ab-Bewegungen. Leichte Abzüge würde ich bei seiner Stockarbeit bei Flachschüssen (siehe das erste Gegentor gegen die USA) sehen.
Gegen Tschechien musste er auch einige Gegentreffer bei Weitschüssen zulassen, die er im Vollbesitz seiner Kräfte vielleicht verhindert hätte. Hier tauchte die Frage über seine Größe auf (siehe unten). Doch nochmals: 194 Schüsse in 170 Minuten – ein derartiges Programm absolvieren viele Goalies nicht einmal im Training.
(Text wird unter dem Video fortgesetzt)
Seine Karriere:
Wraneschitz entstammt dem Nachwuchs der Vienna Capitals, die er nur in der Vorsaison verließ. Der Grund dafür: Beim Farmteam in der AlpsHL entstand ein Goalie-Flaschenhals. Neben dem stark agierenden Max Zimmermann war auch noch Matthias Lichtenecker (ein Jahr älter) da. Durch die Kontakte der Caps ersetzte Wraneschitz dann einen verletzten Goalie bei den Junioren von Skelleftea, ehe ihm Agent Bernd Brückler nach Weihnachten ein Engagement im finnischen Vantaa (beim Flughafen in Helsinki gelegen) verschaffte.
Nachdem sich Zimmermann heuer im Sommer verletzte (nicht zum ersten Mal), war Wraneschitz in Wien automatisch die Nr. 2 hinter Bernhard Starkbaum, Coach Dave Cameron setzte ihn bisher in sechs Spielen ein, bevor es ins WM-Camp ging.
International war Wraneschitz bei der U18-WM vor zwei Jahren die Nr. 2 hinter Felix Beck, spielte in Szekesfehervar ein Spiel. Bei der letztjährigen WM, die dann Corona zum Opfer fiel, wäre er als Nr. 1 gesetzt gewesen. Die Aufstiegs-U20-WM in Minsk sah er von der Tribüne aus – ihn und nicht Luca Egger als nicht spielenden Nr. 3-Goalie zu nominieren, ist jetzt im Rückspiegel eine noch unsinnigere Entscheidung als damals schon, hatte aber aufgrund der Leistungen von Ali Schmidt keine Auswirkungen auf das Turnier.
Wie geht es mit ihm weiter? Ist er ein Thema für den NHL-Draft?
Natürlich machte der Wiener schon aufgrund des unglaublichen Schussvolumens, dem er sich entgegenstemmen musste, Schlagzeilen. Und eines ist klar: So viele NHL-Scouts wie heuer haben noch nie bei einer WM zugesehen, auch wenn das nur vor dem TV war. Aufgrund der zu erwartenden Einseitigkeit der Österreich-Spiele hätten sich die Talentesucher sonst meist für die Parallelspiele entschieden. Durch die zeitmäßige Staffelung heuer konnten sie alle Spiele beobachten.
Noch wichtiger: Bei vielen NHL-Teams reden mittlerweile die Goalie-Coaches oder gar eigene Goalie-Scouts mit, wenn es um die Bewertung der Torhüter geht. Diese wären in Edmonton oder Red Deer vielleicht nicht vor Ort gewesen, vor dem Bildschirm aber sehr wohl.
Also: Über mangelnde Coverage kann sich der noch 18-jährige sicher nicht beschweren. Liegt seine Zukunft in Nordamerika? Nach meinem Rechtsempfinden hat er sich die College-Türe durch seine Einsätze in der ICE-HL (wenn nicht schon durch die in der AlpsHL) zugeschlagen, wobei ich mich gerne eines Besseren belehren ließe.
Major Junior wäre eine Möglichkeit, dort könnte er noch ein oder zwei Jahre (als Overager) spielen. Oder machen ihn die Caps in der nächsten Saison zu einem gleichwertigen oder gar dominierenden Teil eines Goalieduos?
Überragende WM-Goalies:
Wer bei der vielbeachteten Junioren-WM toll fängt, wird automatisch gedraftet. So denken viele Fans und auch Journalisten, aber die Realität sieht anders aus.
Der Schweizer Benjamin Conz hexte die Schweiz 2010 als Publikumsliebling bis in Halbfinale, spielte dann noch eine WM – für einen Draft reichte es nie. Denis Godla war 2015 mit seinen Leistungen für das letzte internationale Aufflackern der Slowakei (Bronze) hauptverantwortlich, wurden von den Fans und Medien für seine Leistungen hofiert. Die NHL-Scouts sahen ihn wie Conz als guten Junioren-Goalie, aber keineswegs NHL-Material und hatten damit in beiden Fällen recht.
Ein Beispiel aus der näheren Vergangenheit, wieder aus der Slowakei: Samuel Hlavaj spielte schon letztes Jahr – wie heuer - bei der WM und war dort zwar nicht überragend, aber auch nicht schlecht. Dazu kam ein beachtlicher Track Record bei Sherbrooke in der QMJHL (gewann 36 seiner 38 Spiele) und ein Gardemaß von 6.4 Feet. Sein Name wurde jedoch in den sieben Runden des Drafts im Oktober nicht aufgerufen.
Was Wraneschitz Conz und Godla voraushat, ist ein weit ruhigerer, weniger auf Gambling angelegter Stil, gegenüber Hlavaj fehlen aber einige Zentimeter.
Auf gebaut kummt´s net an – oder doch?
Wraneschitz muss sich einmal bei Roger Bader bedanken - der ließ vor WM-Beginn alle Spieler nochmals neu vermessen, denn die Größen- und Gewichtsangaben sind beim ÖEHV - wie auch bei vielen Vereinen - oft veraltet.
So wuchs der Goalie quasi über Nacht von 1,77 Metern und 73 Kilo auf 1,82 und 80 - Zahlen die so auch an Eliteprospects bzw. die IIHF übermittelt wurden. Zwar nehmen die NHL-Scouts nicht alle Maße als gegeben hin und schauen genauer hin, aber ein Torhüter, der mit 1,77 Metern gelistet wird, würde von Haus aus scheel angesehen werden, vor allem vom TV-Schirm weg, der viel verzerrt.
Warum das eine Rolle spielt? Kommt doch auf die Leistungen und nicht die Ausmaße an, oder? Ich bin kein großer Statistiker, habe mir aber die Goalies der letzten fünf Drafts angesehen. Von 110 Torhütern waren nur zehn genau sechs Fuß groß, einer (!) 5.11. Das war Dustin Wolf, der jetzt bei der WM für die USA Backupgoalie ist – für ihn wendeten die Calgary Flames 2019 gerade noch einen Letztrunden-Pick auf.
Die Zeiten, wo die NHL-Goalies vor allem an Godzillas interessiert waren - ganz egal wie beweglich diese waren - sind wieder vorbei, aber zwischen 6.1 und 6.5 sollten die Größen für Prospects bzw. NHL-Goalies schon liegen. Wraneschitz (derzeit eben mit 5.11/176 gelistet) bringt bestenfalls Durchschnittsgröße mit, auch wenn er noch etwas wachsen sollte. Ich bin kein großer Freund dieser Erbsenzählereien, ohne zu glauben, dass wirklich kleine Goalies je wieder eine Zukunft haben werden.
Ali Schmidt hätte etwa letztes Jahr bei der B-WM fünf Shutouts abliefern können und wäre kein Thema für Übersee geworden. Das Gleiche gilt natürlich auch für europäische Qualitätsligen wie die SHL, die aus einer Unzahl von großen und gleichzeitig athletischen Goalies wählen kann. Vom Augentest her ist und spielt Wraneschitz weder klein noch ausgesprochen groß.
Ich könnte mir vorstellen, dass einige NHL-Teams ihre tschechischen bzw. slowakischen Scouts dazu anhalten, Wraneschitz in Wien noch einmal zu beobachten. Ähnliches war bei den Caps schon vor sieben Jahren der Fall, als David Kickert eine tolle Junioren-B-WM hinlegte (ebenfalls in einer klar unterlegenen Truppe). Scouts mehrerer Organisationen beobachteten ihn dann in der EBEL bzw. Junioren-Liga, für einen Draft reichte es aber nicht. In einer Saison wie heuer, wo Scouts zuhause sitzen und Prospects vom Computer her beobachten müssen, traue ich mir eine Voraussage noch weniger zu als sonst.