In seiner aktiven Laufbahn holte Felix Gottwald sieben Medaillen bei Olympischen Spielen. Damit ist der Nordische Kombinierer der erfolgreichste Österreicher im Zeichen der fünf Ringe.
Bei Weltmeisterschaften eroberte er insgesamt elf Mal Edelmetall. Am kommenden Mittwoch stehen in Trondheim die nächsten Titelkämpfe für die Nordischen an. Gottwald beobachtet seinen Sport mittlerweile ganz bewusst mit gesundem Abstand, wie er im LAOLA1-Interview erklärt.
Seit seinem (zweiten) Karriereende 2011 hat sich viel getan. Die Kombination kämpft in Konkurrenz mit anderen Wintersportarten um Aufmerksamkeit, während die Kommerzialisierung weiter voranschreitet. "Das Angebot ist so mannigfaltig wie noch nie", betont Gottwald.
Gleichzeitig wird es immer schwieriger für junge Menschen, noch mit dem Wintersport in Kontakt zu kommen. Um weiter genug Kinder für den Sport gewinnen zu können, bedürfe es "zeitgemäßer, neuer und mutiger Ideen", fordert der Ex-Kombinierer - so etwa Skihalllen statt des nächsten Einkaufspalasts.
"Wenn wir das Kulturgut des Wintersports in Österreich erhalten wollen, werden wir den Schnee zu den Menschen in die Städte bringen müssen und nicht umgekehrt", so Gottwald.
Die 20 Nordischen Kombinierer mit den meisten Weltcup-Siegen
LAOLA1: Du hast deine Karriere 2011 beendet. Wie nah bist du noch an deinem Sport dran?
Felix Gottwald: Ganz bewusst mit einem guten Abstand. Ich habe mich bewusst dazu entschieden, nicht als Trainer, Experte oder in anderen dem Sport sehr nahen Funktionen zur Verfügung zu stehen. Ich bin durch meinen Freund David Kreiner, den ich damals als ORF-Experten vorgeschlagen habe, immer noch im Bilde. Ich höre ihm im Übrigen wirklich gerne zu. So kommt es, dass ich mich mit den Athleten mitfreue und mitfiebere. Die Vorfreude auf die Nordische WM in Trondheim steigt jedenfalls auch bei mir.
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LAOLA1: Wie unterscheidet sich die Nordische Kombination heute im Vergleich zu deiner Zeit?
Gottwald: Es wird viel ausprobiert. Es hängt immer dieses Damoklesschwert der Olympischen Spiele über der Sportart (das IOC entscheidet im Juni über den Verbleib im Programm, Anm.), was ich ehrlicherweise nicht nachvollziehen kann. Die Nachvollziehbarkeit ist aber wohl auch im IOC selbst keine Disziplin, die es in die Olympischen Sportarten schafft.
Was die Sportart selbst angeht: Die Athleten sind noch leichter geworden, der Fokus ist in den letzten Jahren noch mehr aufs Springen gelegt worden. Wenn ein Weltklasseathlet wie Jarl Magnus Riiber aufhört, kann sich das auch wieder ausbalancieren. Diese Wellenbewegungen hat die Nordische Kombination immer mitgemacht.
"Früher hast du den Fernseher eingeschalten und hast beispielsweise nur Nordische Kombination geschaut. Jetzt liegt ein Tablet und ein Handy daneben und es wird probiert, alles gleichzeitig zu bedienen"
LAOLA1: Das Zuschauerinteresse dagegen ist nicht mehr das, was es zu deiner Zeit war. Wo siehst du die Gründe dafür?
Gottwald: Da hat sich sehr viel verändert. Im Besonderen das Fernsehverhalten. Ich erwisch mich ja selbst dabei, dass ich die Highlights on demand nachschaue. Ich bin auch nicht der Fernsehsport-Junkie, sondern gehe lieber selbst raus zum Langlaufen oder mache eine Skitour und informiere mich danach, wie es ausgegangen ist. Das Konsumverhalten des Zuschauers hat sich massiv verändert. Das Angebot ist so mannigfaltig wie nie zuvor. In Österreich sind wir da noch gesegnet, weil die Leute gerne Sport schauen. Dafür betreiben sie ihn weniger. Früher hast du den Fernseher eingeschalten und hast beispielsweise nur Nordische Kombination geschaut. Jetzt liegt ein Tablet und ein Handy daneben und es wird probiert, alles gleichzeitig zu bedienen.
LAOLA1: Das ist ein guter Punkt. Früher bin ich selbst gespannt vor dem Bildschirm gehangen und habe mit euch mitgefiebert, ohne große Ablenkung. Da geht wohl auch vieles an Faszination verloren.
Gottwald: Ich liebe ja auch, das Single-Tasking: Das, was ich mache, tue ich ganz, und dann mache ich das Nächste. Aber es stimmt, es hat sich viel verändert, die Interessen sind andere. Es ist gefühlt noch schneller und lauter geworden. Die Zeit fliegt. Ich wäre ja auch fasziniert davon, Biathlon zu beobachten. Die Tatsache der jährlichen Flut an WM-Medaillen wirkt aber auf mich schon inflationär. Jedes Jahr eine Weltmeisterschaft ist für mich dann zu viel des Guten. Die gute Köchin, die immer ein bissi zu wenig kocht, schaut anders aus. Zugegeben wir sind im Biathlon aktuell auch meilenweit weg von der Weltspitze.
In der Nordischen Kombination wird so viel ausprobiert, um zu gefallen, dass selbst ich recherchieren muss: Welche Bewerbe gibt es derzeit? Was ist noch olympisch und was gibt es nur bei der WM? Es bedarf wirklichem Interesse, um da noch im Bilde zu sein. Darum hoffe ich bei der WM wieder auf David Kreiner und die ORF-Kommentatoren, dass sie uns da gut abholen (lacht).
LAOLA1: Es ist für den Zuschauer bestimmt nicht leicht, wenn schon du als Experte oder wir als Journalisten aufgrund der jährlichen Veränderungen da und dort genau nachlesen müssen.
Gottwald: Wir dürfen dabei auch eines nicht vergessen: Wenn ich, in der Ramsau am Fuße des Dachsteins lebend, vom Büro hinausschaue, ist der Winter allgegenwärtig. In Wien oder Graz kannst du niemandem böse sein, wenn er gar nicht mehr daran denkt, dass noch Winter ist. Vor drei Wochen war ich in Graz, da habe ich geglaubt, ich habe Ostern verpasst.
Die Alpine Ski-WM in Saalbach hat die Menschen vor Ort und vor den Bildschirmen in den Bann gezogen. Das wird bei den Nordischen Weltmeisterschaften in Norwegen noch einmal eine Steigerung erleben. Die Zuseher sind da gefühlt noch näher dran und die Athleten sind länger und öfter sichtbar. Gleichzeitig wird der Vermarktung alles untergeordnet. Jemand gewinnt immer. Hauptsache die Werbebanner, die Blowups und Sponsoren aller Art sind im Bilde. Die Athleten selbst dürfen sich dann zumindest mit Drinkszenen bei den Interviews vor dem Verdursten retten.
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LAOLA1: Du meinst, dass der Sport mittlerweile zu sehr in den Hintergrund gerückt ist?
Gottwald: Natürlich muss die Welt des Spitzensports auch wer bezahlen. Als Sportler selbst, bist du gut aufgestellt, wenn du dich auf das Wesentliche und den sportlichen Vergleich fokussierst. Die eigenen sozialen Kanäle zur Zufriedenheit der Follower und der persönlichen Partner zu bedienen, gehört heute dazu – mit all seinen Vor- und Nachteilen.
Dich weitgehend unabhängig von der Umgebung zu machen, hat mir schon immer geholfen, mein Leistungspotenzial abrufen zu können. Es sollte für dich als Athlet keinen Unterschied machen, ob die Weltmeisterschaft in Planica, Oberstdorf, Seefeld, Lahti, Falun, Val die Fiemme oder Oslo stattfindet. Die Anzahl der Zuschauer, darf im besten Fall keinen Einfluss auf deine Leistung haben.
LAOLA1: Apropos: In Sachen öffentliche Aufmerksamkeit ist bei der Frauen-Kombi sicher noch Luft nach oben, aus meiner Sicht geht es da eher schleppend voran. Wo siehst du die Gründe dafür?
Gottwald: Ich denke, dass es gar nicht so schleppend voran geht, weil es noch eine sehr junge Sportart ist. Im Fernsehen sieht man die Damen genauso, ich habe auch nicht das Gefühl, dass sie stiefmütterlich behandelt werden. Vielmehr wird versucht, sie wirklich paritätisch ins Bild zu rücken. Angebot und Nachfrage bestimmen eben auch hier den Preis. Heute ist es einerseits undenkbar, dass es noch eine Sportart ohne Damen gibt. Andererseits braucht Entwicklung Zeit. Auch Damen-Biathlon und Damen-Skispringen hat Zeit gebraucht. Die Tour de France der Damen ist auch nicht mit jener der Herren zu vergleichen. Zur selben Zeit erlebt das Rennradfahren bei den Damen einen Boom. Ich kann mich gut erinnern: Eva Ganster (Österreichs erste Skispringerin, Anm.) war wirklich eine Ausnahmeerscheinung und Pionierin. Wir Burschen hatten damals zu knabbern, wenn sie uns wieder davongesprungen ist. Heute ist Damen-Skispringen ganz normal.
Wir können nicht erwarten, dass jetzt in der Nordischen Kombination von einer Saison auf die andere ein komplettes Starterfeld aus dem Hut gezaubert wird. Die müssen sich alle erst entwickeln. Und es ist ja nicht so, dass die Mädchen für die Nordische Kombination Schlange stehen. Ich finde, da ist eine gute Aufbauarbeit im Gange. Die Verbände tun das ihrige dazu. Es ist immer auch eine Kostenfrage. Auch für die Veranstalter ist es nicht günstiger geworden, die Bewerbe der Damen mitzufinanzieren.
"Über kurz oder lang ist es auf jeden Fall eine Notwendigkeit, statt des nächsten Shoppingzentrums eine Skihalle bzw. eine Wintersport-Erlebniswelt zu bauen, die alle Stückerln spielt."
LAOLA1: Dass der Nachwuchs nicht Schlange steht, lässt sich für den heimischen Wintersport im Allgemeinen sagen. Inwiefern spielt für dich das Ost-West-Gefälle dabei eine Rolle? Vor allem, weil es im Osten kaum noch Schnee gibt.
Gottwald: Es ist kein Zufall, dass es in Oslo eine Skihalle gibt. Auch in Skandinavien wird versucht, den Menschen aus den Städten den Schnee nahezubringen. Über kurz oder lang ist es auf jeden Fall eine Notwendigkeit, statt des nächsten Shoppingzentrums eine Skihalle bzw. eine Wintersport-Erlebniswelt zu bauen, die alle Stückerln spielt. Ich verstehe, dass die Betreiber da im Wording sehr penibel sind. Eine Wintersport-Erlebniswelt löst in unseren Köpfen ein anderes Bild aus als eine Skihalle. Wenn wir das Kulturgut des Wintersports in Österreich erhalten wollen, werden wir den Schnee zu den Menschen in die Städte bringen müssen und nicht umgekehrt.
Es braucht zeitgemäße, neue und mutige Ideen. Ich weiß auch, dass hier Gespräche im Laufen sind. Die Frage ist, wie schnell sich solche Projekte realisieren lassen. Kinder sind fasziniert, wenn sie Schnee sehen, ihn angreifen können und sie ihn auf der Haut spüren. Winter und Schnee fasziniert Kinder im Speziellen. Jedes Kind in Österreich soll zumindest die Gelegenheit haben, mit dieser Faszination in Berührung zu kommen. Hierfür zeitgemäße Lösungen zu finden, würde ich als Bildungsauftrag und Kulturgut verbuchen.
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LAOLA1: Lass uns noch über die anstehende WM sprechen, die in unserem Gespräch bisher noch zu kurz gekommen ist. Was traust du den heimischen Athletinnen und Athleten zu?
Gottwald: Die Skispringer starten mit den gegenteiligen Vorzeichen zu unseren Alpinen in die WM. Sie haben die ganze Saison dominiert und ich wünsche ihnen, dass sie mit Freude Skispringen und sie nicht, nur weil es ein Großereignis ist, auf die Idee kommen, etwas anders zu machen. Unsere Skispringerinnen sind für eine Überraschung gut. Ich freue mich auch auf Mika (Vermeulen, Anm.) und Teresa (Stadlober, Anm.) sehr. Mika hat eine beeindruckende Entwicklung gemacht. Es ist faszinierend, welches Commitment er hat, diesen Sport zu leben. In der Kombination sind wir nicht die Gold-Favoriten, aber wir sind super dabei. Mit Jo (Lamparter, Anm.) und den Rettenegger-Brüdern & Co. sind wir gut aufgestellt. Bei den Kombiniererinnen gilt es weiterhin Erfahrung zu sammeln und sich die nächsten Entwicklungs-Schritte auch zuzutrauen.
LAOLA1: Für einen wird es die letzte WM sein: Jarl Magnus Riiber. Wie hast du seinen Rücktritt aufgenommen?
Gottwald: Das ist natürlich sehr schade, weil es kein freiwilliger Rücktritt ist, sondern die für ihn notwendige Konsequenz aus gesundheitlichen Problemen. Das muss extrem lästig sein, wenn du deine Sportart nicht mehr in dieser Konsequenz ausüben kannst, wie du das von dir gewöhnt bist, weil dein Körper nicht mehr mitmacht. Er ist der Größte seiner Zeit und einer der Größten, den diese Sportart je hatte. Das tut einer Sportart immer weh. Vielleicht erholt er sich gut. Man weiß nie, wie es sich entwickelt, wenn der Druck mal abfallen kann. So ganz in Stein gemeißelt ist ein Rücktritt ja nie, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Gleichzeitig kann ich ihn auch verstehen, dass die Zeit dann gekommen ist, wo du etwas anderes machen willst. Das Leben hat noch viele andere Facetten zu bieten.
LAOLA1: Wen siehst du in seine Fußstapfen treten? Gibt es da überhaupt den einen Athleten, der ähnlich dominant sein kann?
Gottwald: Das mit den Fußstapfen ist immer schwierig. Jede Zeit hat seine Protagonisten. Aber ich sehe schon die Chance, dass sich plötzlich durch einen Athleten, der wegfällt, die Prioritäten wieder ein wenig ausbalancieren können. In dem Moment, wo Riiber nicht mehr da ist, ist Vinzenz Geiger der, den es zu schlagen gilt. Den musst du in der Loipe auch erst einmal biegen. Die Athleten werden sich den geänderten Anforderungen anpassen. Die Parität zwischen Springen und Laufen wieder sich wohl eher wieder annähern.
(Text wird unterhalb fortgesetzt)
LAOLA1: Es ist ja die Zeit der großen Comebacks im Wintersport. Werden wir dich noch einmal aktiv im Wintersport sehen?
Gottwald: Aktiv auf jeden Fall. Heute Nachmittag auf der Loipe (lacht).
LAOLA1: Aber nicht mehr auf professioneller Ebene, oder?
Gottwald: Nein, ich bin jetzt 49. Das ist ein anderer Lebensabschnitt. Aber ich habe mir ja tatsächlich einmal einen Neustart gegönnt. Ich habe das nach zwei Jahren Pause nochmals für zwei Jahre professionell und durchaus erfolgreich betrieben. Aber dann war für mich auch klar: Jetzt ist tatsächlich Schluss. Bei jedem Comeback ist es wichtig zu wissen, dass dann wieder die Zeit nach dem Sport kommt. Da braucht es wieder eine Idee, wie wir ein erfülltes Leben leben.
Wenn diese Comebacks dazu dienen, dass hier Klarheit hineinkommt, ist das alles gut und die künftigen Athleten des Lebens sollen das machen, was sie am liebsten tun. Für mich waren es zwei wirklich lehrreiche und wertvolle Jahre, weil ich so noch einmal einen anderen Zugang und eine andere Perspektive von mir im Spitzensport erleben durfte. Es waren zwei besondere Jahre in meiner Karriere als Spitzensportler.
"Wenn du einen Langlaufschuh von heute mit einer Karbonschale an einem Fuß hast und einen Schuh von früher am anderen Fuß: Da glaubst, du stehst in einem Putzkübel drinnen"
LAOLA1: Gibt es Athleten, von denen du dir ein Comeback wünschen würdest oder die du gerne noch einmal sehen würdest?
Gottwald: Das ist eine schwierige Frage. Natürlich hatte man seine Vorbilder und Helden. Die Frage ist, wie weit man zurückgehen darf.
LAOLA1: Das steht dir frei.
Gottwald: Es hat jede Zeit etwas für sich. Während Athleten aufhören, bleibt der Zirkus nicht stehen. Die Entwicklung geht immer weiter. Mit der jetzigen Ausrüstung noch einmal bei den Olympischen Spielen in Lillehammer 1994 mit Kenji Ogiwara zu starten, wäre schon ein Spaß. Das Know-How von heute oder nur der Service-Truck würde schon reichen ... – aber so kann ich mich zu jener Generation zählen, die bei Olympischen Spielen noch selbst die Ski präpariert hat. Davon profitieren heute meine Mädels. Also alles gut.
LAOLA1: Das heißt, du möchtest es nicht direkt vergleichen.
Gottwald: Wir können das auch nicht direkt vergleichen. Es waren früher die Schanzen anders, es gab andere Anzüge, andere Ski, anderes Material. Es macht einen Unterschied beim Langlaufen, ob du in Sachen Steifigkeit mit neuen Stöcken läufst oder mit welchen, die schon zehn Jahre im Einsatz sind. Wenn du einen Langlaufschuh von heute mit einer Karbonschale an einem Fuß hast und einen Schuh von früher am anderen Fuß: Da glaubst, du stehst in einem Putzkübel drinnen.