Sechs Medaillen hat Norwegen bei dieser WM im Skispringen schon geholt, davon drei in gold.
Vor dem abschließenden Einzel-Bewerb der Männer auf der Großschanze werden plötzlich massive Manipulations-Vorwürfe gegen die WM-Gastgeber laut.
Anlass dafür sind von einem polnischen Journalisten Freitagnacht in Trondheim aufgenommene Videos. Darauf zu sehen: Der norwegische Skisprung-Trainer Magnus Brevig und eine weitere Person, die einen von der FIS gechippten, also abgenommenen Sprunganzug mit der Nähmaschine bearbeitet.
Einen Anzug größer oder kleiner zu "schneidern" ist im Skispringen nicht unüblich. Ihn fast komplett auseinanderzunehmen und wieder zusammenzunähen wie auf den Videos zu sehen hingegen schon.
Österreich legt Protest ein
Einige Experten sehen darin einen klaren Regelverstoß. Auch die FIS zog ihre Gremien vor Ort zu Beratungen zusammen.
Österreich hat gemeinsam mit Slowenien und Polen offiziell Protest gegen die Starterlaubnis der norwegischen Springer beim Großschanzen-Bewerb am Samstag eingelegt. Dieser wurde abgewiesen.
"Man sieht auf den Videos ganz klar, dass ein Anzug nach dem Chippen manipuliert wurde und auch neue Anzugteile mit Chips ohne Nahtrückstände. Das ist eindeutig, dass diese Anzüge nach dem regelkonformen Chippen manipuliert wurden. Deshalb kann man nicht mehr gewährleisten, dass die Anzüge, die jetzt gesprungen wurden und werden, noch regelkonform sind", sagt Florian Liegl, Sportlicher Leiter der Nordischen im ÖSV, in der Pause zwischen den Durchgängen im ORF.
FIS-Material-Kontrolleur: "Es gibt dafür kein Regulativ"
FIS-Material-Kontrolleur Christian Kathol nimmt im ORF zu den Videos und Vorwürfen Stellung.
Dass Anzüge geöffnet und wieder vernäht werden sei "an und für sich ein normaler Prozess, weil Anzüge der täglichen Körpergröße angepasst werden müssen", erklärt der Österreicher.
Ob es erlaubt sei, Anzüge komplett auseinanderzunehmen, nachdem sie von der FIS kontrolliert wurden? "Es gibt dafür kein Regulativ", sagt Kathol. "Sie dürfen sie öffnen und wieder vernähen. Das ist ein normaler Vorgang. Dass sie ganz auseinandergenommen werden, ist eher nicht üblich. Es ist offenbar gemacht worden, weil sie Vorlagen für neue Anzüge gebraucht haben", gibt der Material-Kontrolleur die Erklärung der Norweger wider.
"Was ich nicht ganz verstehe, ist die Art und Weise, wie diese Videos entstanden sind. Das hat schon was - ich will nicht sagen kriminelles - aber Agenten-mäßiges an sich."
Außerdem brisant: Beobachter wollen auf den Videos neue Stoffteile mit einem FIS-Chip - quasi ein Prüfpickerl für das Arbeitsgewand der Skispringer - erspäht haben.
"Ich würde mich nicht trauen zu behaupten, dass das ein nagelneues Stoffteil ist. Ich habe die Anzüge vor dem Bewerb kontrolliert. Die Chips, die ich rein gemacht habe, sind alle noch vorhanden und in Ordnung", erklärt Kathol. Chips ließen sich theoretisch mit chemischen Lösungsmitteln von einem Anzug entfernen, jedoch würde dabei etwas zerstört werden und der sekundäre Sicherheitsmechanismus dadurch aktiviert.
Stand jetzt sieht der FIS-Material-Kontrolleur also keinen Regelbruch der Norweger. "Was ich aber nicht ganz verstehe, ist die Art und Weise, wie diese Videos entstanden sind. Das hat schon was - ich will nicht sagen kriminelles - aber Agenten-mäßiges an sich."
Immer wieder Vorwürfe! "Man wird quasi zum Schummeln gezwungen"
Die Sprunganzüge stehen bei den Skispringern schon seit Saisonbeginn im Fokus. Bei der für Rot-Weiß-Rot so erfolgreichen Vierschanzen-Tournee wurden Schummel-Vorwürfe aus Deutschland und Norwegen gegenüber den Österreichern laut.
Bei der WM gerieten dann zunächst die Deutschen in den Fokus. Nach der Silbermedaille von Andreas Wellinger auf der Normalschanze meldete sich Skisprung-Legende Adam Malysz, Präsident des polnischen Verbandes, zu Wort.
"Entweder haben wir immer noch Schlupflöcher im Reglement und einige Leute wissen, wie man die Regeln umgeht, oder ich weiß einfach nicht, was hier los ist. Irgendetwas stimmt nicht, das ist mit bloßem Auge erkennbar", sagte Malysz gegenüber der polnischen Zeitung "Przeglad Sportowy".
Für eine andere Legende, Sven Hannawald - mittlerweile ARD-Experte - war hingegen der Anzug der Norwegerin Anna Odine Ström besonders auffällig, die mit dem Mixed-Team Gold holte.
"Während einer Saison den Sprung auf andere Anzüge umstellen, geht nicht einfach mal so. Mich nervt das so extrem. Man wird quasi zum Schummeln gezwungen, wenn man vorn dabei sein möchte", sagte Hannawald der "Bild".
Goldberger: "Jeder patzt den anderen an"
Sowohl Hannawald als auch Malysz sprechen von "Schlupflöchern" im Anzug-Bereich, die ausgenutzt würden.
"Es ist einfach nur traurig, wie weit es gekommen ist. Die Nationen untereinander beschimpfen sich gegenseitig. Das kann doch nicht wahr sein. Es herrscht pures Misstrauen im Zirkus. Und warum? Weil die Verantwortlichen keine klare Linie haben", so Hannawald.
Auch Andreas Goldberger sieht die Entwicklung im ORF kritisch: "Es geht immer wieder ums Material. Jeder patzt den anderen an. Es tut dem Sport nicht gut."