Die Nordische Ski-WM in Trondheim endet wohl mit einem Knall: Ausgerechnet die Gastgebernation Norwegen soll geschummelt haben.
Konkret geht es um die Sprunganzüge, an denen herummanipuliert worden sein soll. Ein polnischer Journalist hat Videos veröffentlicht, auf denen zu sehen ist, wie im Beisein des norwegischen Cheftrainers Magnus Breivig an bereits gechippten und daher von FIS-Materialkontrolleur Christian Kathol abgenommenen Anzügen herumhantiert wird (HIER nachlesen>>>).
Der ÖSV legte gemeinsam mit Slowenien und Polen Protest ein, dieser wurde zunächst abgelehnt. Nach dem Bewerb wurden aber der vermeintliche Silbermedaillengewinner Marius Lindvik sowie Teamkollege Johann Andre Forfang (5.) wegen nicht regelkonformer Anzüge disqualifiziert.
Österreichs Sportlicher Leiter für den Nordischen Skisport, Florian Liegl, will auf den Videos einen klaren Regelverstoß erkannt haben. Eine (regelwidrige) Manipulation sei offensichtlich, sagte er im "ORF".
Hat sich Norwegen einen "Wunderanzug" geschustert?
Der kolportierte Vorwurf der Kontrahenten aus den diversen anderen Nationen lautet: Neue Anzugteile sollen den bereits abgenommenen hinzugefügt worden sein. Wie FIS-Renndirektor Sandro Pertile erklärte, sei im Zuge der Kontrolle nach dem Bewerb "anderes Material, das mehr Spannung im Anzug erzeugt hat", festgestellt worden sein.
Auch die Nähte unterhalb des Schritts seien manipuliert worden, wie das norwegische "TV2" berichtet. Die abgenommenen Nähte sollen durch eine "steife Naht" ersetzt worden sein. Gegenüber dem norwegischen TV bestätigte Pertile auch, die besagten Videos des polnischen Journalisten begutachtet zu haben.
Thurnbichler: "Ähnlich wie Doping"
ÖSV-Cheftrainer Andreas Widhölzl gab einen konkreteren Einblick: "Sie haben anscheinend vom Knie weg bis zum Schritt rauf auf der Innenseite ein steifes Band eingenäht. Das ist nicht erlaubt und bewirkt, dass es steifer wird und dass du, wenn du die Füße auseinanderziehst, den Schritt runterziehst", sagte er.
"Es ist ähnlich wie bei einem Wingsuit", ergänzte Polens Chefcoach Thomas Thurnbichler, der ebenso verärgert war. "Es ist für mich eine Verarschung. Es ist eine klare Manipulation und klarer Sportbetrug, ähnlich wie Doping. Es tut mir echt leid um ein paar Leute, die hier vielleicht eine Medaille gewonnen hätten, wenn diese Kontrollen früher passiert wären", sagte der Tiroler.
"Chip war nicht das Problem"
Gerüchte über manipulierte Chips in den Anzügen wies Pertile zurück. "Der Chip war nicht das Problem, sondern die Naht. Das hat nichts mit dem Chip zu tun. Mit dem Chip sind wir sehr zufrieden, der hat funktioniert", erklärte der Italiener, der sich freilich über den Betrugsfall mit weitreichenden Konsequenzen in der Skisprungfamilie ärgerte.
"Es ist für uns eine Motivation, in Zukunft besser zu sein", sagte er. Ob Sperren oder andere Strafen drohen, konnte er noch nicht beantworten. "Wir müssen die Situation in Ruhe klären. Das wird ein Thema für die ganze Skisprungfamilie, nicht nur für eine Mannschaft. Wir müssen alle zusammen über das Thema reden."
Norwegen-Sportdirektor: Athleten tragen keine Schuld
Die norwegischen Verantwortlichen gaben sich vorerst wenig überraschend bedeckt. Sportdirektor Jan-Erik Aalbu stellte sich schützend vor seine Springer: "Es ist sehr wichtig für mich, jetzt die Verantwortung zu übernehmen als Leiter der Nationalmannschaft. Die Athleten haben keine Schuld. Für uns war es wichtig, in Gesprächen mit Sandro (Pertile, Anm.) in der FIS einen Überblick zu bekommen, und den haben wir jetzt."
Cheftrainer Breivig bemühte sich, betont optimistisch zu kommunizieren: "Wir müssen genau herausfinden, was passiert ist und warum der Anzug nicht elastisch genug war, und ich denke, das wird in Zukunft einfach zu machen sein."
So einfach, wie er hofft, dürfte es aber nicht werden. Die Causa könnte weitreichenden Konsequenzen haben, sollte sich herausstellen, dass das Vorgehen System hat. Noch könne man dazu nichts sagen, erklärte Pertile. Dass es rückwirkende Konsequenzen geben könnte, glaube er "im Prinzip nicht", denn "wir haben ein System. Wenn die Kontrolle fertig ist, ist der Wettkampf fertig."
"Schlechter Tag für das Skispringen"
Die Erhebungen laufen bereits. Sind mehrere Bewerbe betroffen, könnte die an sich so gut organisierte WM, die eine grandiose Kulisse bot, ein ganz bitteres Ende nehmen. Schon jetzt liegt ein Schatten über den so begeisternden Titelkämpfen.
"Es tut uns sehr leid, dass eine WM, die für das norwegische Skispringen so erfolgreich war, so zu Ende geht", gab ein zerknirschter Aalbu zu Protokoll.
Pertile brachte es noch besser auf den Punkt und sprach damit wohl vielen Fans, Expert:innen und Sportler:innen aus dem Herzen: "Das ist ein schlechter Tag für das Skispringen."
Am Sonntag geht die WM mit dem Langlaufbewerb der Frauen über 50 Kilometer zu Ende. Das "Anzug-Gate" wird den Nordischen Skisport aber womöglich weit darüber hinaus beschäftigen.