Talent allein reicht oft nicht aus.
Diese Weisheit lässt sich auf so gut wie alle Sportarten ummünzen. Auch auf den alpinen Ski-Rennsport.
Spätestens seit der Ära Marcel Hirscher weiß man, welch große Rolle das Material spielen kann, wie viel man durch "Tüftelei" an Ski und Schuhen noch an Zeit herausholen kann. Das Gesamtpaket muss stimmen.
Die Beziehung zwischen Athlet und Arbeitsgerät ist oft eine innige, die über viele Jahre gereift ist. Nicht wenige bleiben ihr Leben lang einer Marke treu, von den ersten wackeligen Schwüngen bis in den Weltcup.
Auf welche Ski-Marke ein Rennläufer vertraut, ist längst keine Frage des Geschmacks mehr. Die Ausrüster-Firmen ködern potenzielle Talente bereits im Kindesalter und müssen spätestens auf Weltcup-Niveau nicht selten Abwerbe-Versuche der Konkurrenz abwehren.
Christian Höflehner, Rennchef bei Atomic, und Rainer Salzgeber, Rennsportleiter bei HEAD, geben bei LAOLA1 Einblick in das Scouting der Ski-Firmen.
"Ziel ist es, die Kinder möglichst früh auf unserem Material zu haben"
Das Scouting beginnt, wie etwa beim Fußball, schon im Kindes- und Jugendalter – je früher, desto besser. Spätestens wenn die ersten Rennen gefahren werden, klopfen die Ski-Firmen an.
"Das Ziel ist es natürlich, die Kinder möglichst früh auf unserem Material zu haben und sie dann den ganzen Weg nach oben zu begleiten", erklärt Höflehner.
Bei Head läuft es ähnlich: "Wir versuchen, die interessanten Athleten schon zu haben, bevor es Richtung FIS-Level geht", sagt Salzgeber.
Head unterstützt aktuell um die 150 Athleten, bei Atomic stehen international rund 100 Alpin-Sportler unter Vertrag.
"Den Pool mit Athleten zu füllen, die dann letztlich Weltcup-Standard haben, ist ein Prozess über Jahre."
Um Talente möglichst früh für sich gewinnen zu können, braucht es ein breites Netzwerk. Die großen Ski-Firmen verfügen in vielen Ländern über Scouts, die ihre Fühler nach angehenden Rennläufern ausstrecken.
Bei Atomic ist einer davon Jürgen Graller. Der ehemalige DSV-Frauen-Cheftrainer ist seit 2022 Manager Junior Racing für Deutschland und Österreich. "Er ist als Scout bei Junior-Rennen unterwegs", so Höflehner.
Auch Head hat vor allem für die Kernländer eigene Leute abgestellt. "Wir haben in Österreich, der Schweiz, Deutschland und Norwegen Programme, um die jungen Athleten zu betreuen. Da geht es schon im Kindesalter los", erzählt Salzgeber.
Doch auch außerhalb Europas wird ganz genau hingeschaut. "Es kann sein, dass ein Trainer aus Colorado anruft und sagt: Da ist ein 16-jähriger Bursch, der ist gut, schaut euch den mal an. Dann schickt er Videos, man führt Gespräche und so nimmt das dann seinen Lauf", schildert Höflehner.
"Wir versuchen, Athleten, von denen wir glauben, dass sie zu uns passen könnten, zu engagieren", sagt Salzgeber. Das gilt für Klein und Groß. "Den Pool mit Athleten zu füllen, die dann letztlich Weltcup-Standard haben, ist ein Prozess über Jahre."
"Hoppla, da ist eine Rakete unterwegs"
Jedoch werden nicht alle Talente, die den Weltcup aufmischen, schon im Kindesalter entdeckt.
Höflehner nennt den mittlerweile zurückgetretenen Lucas Braathen als Beispiel. "Da siehst du dann mit 18 Jahren: Hoppla, da ist jetzt eine volle Rakete unterwegs. Dann ist es meine Aufgabe, dort hinzugehen und zu sagen: Hey, wie schaut's aus?"
Ähnliches haben die Head-Verantwortlichen wohl einst zu James Crawford gesagt. Als Kanadier war der Super-G-Weltmeister von 2023 nicht unbedingt am unmittelbaren Radar der Ski-Firma.
"Wir haben vor einigen Jahren gesagt, wir wollen in den Markt in Kanada investieren, weil wir daran glauben, dass ein James Crawford oder Broderick Thompson das Zeug haben, an die Weltspitze zu kommen", erzählt Salzgeber. Im Fall von Crawford war das definitiv der richtige Riecher.
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"Klar werden Athleten geködert"
Neue Talente anzuwerben ist das eine, die Superstars zu halten das andere.
"Klar werden Athleten geködert", bestätigen sowohl Salzgeber als auch Höflehner.
"Es gibt natürlich Sportler, die sind für jede Ski-Firma interessant. Unser Job ist es, den Athleten bestmöglich zu betreuen, ihn mit gutem Material auszustatten und ihm so zu ermöglichen, Rennen zu gewinnen, Kugeln zu gewinnen. Wenn dann irgendwelche anderen Umstände, die wir nicht beeinflussen können, dazu führen, dass er wechselt, dann kann man es auch nicht verhindern. Aber wir kämpfen auf alle Fälle um diese Athleten", stellt Höflehner klar.
Im Werben um die Superstars zählen jedoch nicht nur die finanziell oft hochdotierten Verträge.
"Speziell wenn es etablierte Athleten sind, geht es primär um das Service. Wenn das Service passt, ist das die Basis für den Erfolg oder zumindest mal eine gute Voraussetzung, damit es erfolgreich sein kann", spricht Salzgeber den Servicemännern eine entscheidende Rolle zu.
Bei Atomic sind Mikaela Shiffrin, Aleksander Aamodt Kilde, Marco Schwarz und Manuel Feller die Aushängeschilder. In 90 Prozent der Fälle werden Zweijahres-Verträge zwischen der Ski-Firma und den Athleten abgeschlossen.
Im Fall von Shiffrin macht sich Höflehner keine Sorge, seinen Superstar an die Konkurrenz zu verlieren.
"Ich glaube nicht, dass Shiffrin von sich aus noch wo anders hingehen wird und auch für eine andere Ski-Firma ist es ein Risiko. Wenn sie dann nicht mehr gewinnt, geht es nach hinten los", gibt der Rennchef zu bedenken.
Die zweite Chance nach dem "Seitensprung"
Shiffrins Lebensgefährte Aleksander Aamodt Kilde hat sich in der Vergangenheit schon einen "Seitensprung" zur Konkurrenz erlaubt. Nach zwei Saisonen bei Head kehrte der Norweger 2019 wieder zu Atomic zurück – jener Marke, mit der er einst den Sprung in den Weltcup geschafft hat.
"Kilde hat den Versuch gewagt und ist zurückgekommen. Das ist für uns das Beste, das passieren konnte", sagt Höflehner mit einem leichten Schmunzeln.
Auch bei Head nimmt man Rückkehrer immer wieder gerne auf. So fanden vor der aktuellen Saison etwa die Schweizerin Camille Rast und der Franzose Mathieu Faivre den Weg zurück.
"Mathieu ist 2021 Weltmeister geworden, hat 2022 Olympia-Bronze geholt und war dann weg. Natürlich stellt man sich intern da die Frage: Nimmt man ihn wieder oder nicht. Ich bin da aber grundsätzlich so eingestellt: Jeder kann mal eine Entscheidung treffen, von der man hinterher sagt, es war ein Fehler", sagt Salzgeber. "Deshalb gibt es immer eine zweite Chance."