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Hirscher: "Die werden sich denken: Der Opa ist auch da"

Marcel Hirscher spricht über sein Ski-Comeback, das aus seiner Sicht keines ist. Warum der einstige Dominator nicht dort weitermachen will, wo er aufgehört hat.

Hirscher: Foto: © GEPA

"Ich bin nervös", sagt Marcel Hirscher auf Holländisch.

Der achtfache Gesamtweltcup-Sieger lud am Mittwoch zu einem Medientermin in seine neue sportliche Heimat, die Niederlande. Anfangs noch mit Spickzetteln, hatte der Salzburger im Laufe der Pressekonferenz immer mehr Spaß am Austausch mit den zahlreichen Medienschaffenden aus den Niederlanden, der Heimat seiner Mutter. 

Hirscher sprach erstmals persönlich über sein Comeback im Ski-Rennsport. Wobei er das "C-Wort" ungern verwendet. 

"Ihr nennt es Comeback, ich nenne es ein Herzensprojekt, ein Leidenschaftsprojekt. Das Wort Comeback würde beinhalten, dass man dort weitermacht, wo man aufgehört hat. Das ist nicht meine Intention", stellt der Gewinner von 67 Weltcup-Rennen klar. "Ich will nicht dort weitermachen, wo ich aufgehört habe. Das ist nach der langen Zeit, die ich weg war, nicht möglich."

Vor fünf Jahren, im September 2019, verkündete Hirscher seinen Rücktritt nach sieben WM-Titeln und zwei Olympia-Goldenen. Er blieb dem Skisport aber erhalten und in all der Zeit eng verbunden. Der mittlerweile 35-Jährige ist an der Bekleidungsmarke "The Mountain Studio" beteiligt und gründete mit "Van Deer-Red Bull Sports" schließlich seine eigene Ski-Marke.

"The GOAT" is back: Die Karriere von Hirscher in Bildern


Beim Ski-Testen im März dieses Jahres kam Hirscher dann der Gedanke an eine Rückkehr in den aktiven Skisport.

"Ich habe hin und wieder Ski getestet, das hat mir wahnsinnig viel Spaß gemacht. Dann habe ich mir gedacht: Warum mache ich das eigentlich nicht öfter und nehme den Druck aber raus. Es geht nicht darum, dass ich da weitermache, wo ich vorher war. Ich will Spaß haben an dem, was ich mache und ab und zu fahre ich halt ein Rennen."

99 Prozent fürs Vaterland, ein Prozent fürs Mutterland

Nach guten Gesprächen mit dem Österreichischen Skiverband und dem niederländischen Verband entschied sich Hirscher dazu, im kommenden Winter für Oranje an den Start zu gehen.

"Im Hochleistungssystem ÖSV ist es unglaublich schwer, für mich Platz zu finden. Es wären mir alle Türen offengestanden, keine Frage. Aber ich wollte jungen Athleten keinen Platz wegnehmen und Ressourcen binden für ein Projekt, von dem ich nicht weiß, was rauskommt", erklärt Hirscher seine Entscheidung, für die Niederlande.

"Ich glaube, es ist legitim, wenn man 99 Prozent seiner Rennen fürs Vaterland gefahren ist, das eine Prozent fürs Mutterland zu fahren. Ich weiß, dass ich Holland wahnsinnig viel zurückgeben kann im Skisport-Bereich."

"Ich bin nicht mehr der Profi, der ich früher war"

Wenn Hirscher über sein Projekt spricht, spricht er nicht von Podestplätzen oder gar Siegen – zumindest nicht in der Öffentlichkeit. Der zweifache Familienvater startet seine zweite Karriere aus einer anderen Intention heraus.

"Früher hat das Leben zum Skifahren passen müssen, jetzt passt das Skifahren zum Leben. Das ist der große Unterschied. Das Skifahren ist nicht mehr Priorität Nummer eins in meinem Leben."

Marcel Hirscher

"Wir zählen keine FIS-Punkte, wir sammeln Erinnerungen", sagt Hirscher. Es ist die Leidenschaft für den Skisport, die ihn einmal mehr antreibt.

Der verbissene Perfektionist und Tüftler von einst will der Annaberger aber nicht mehr sein. "Früher hat das Leben zum Skifahren passen müssen, jetzt passt das Skifahren zum Leben. Das ist der große Unterschied. Das Skifahren ist nicht mehr Priorität Nummer eins in meinem Leben, es ist ein Teil meines Lebens, aber es geht nicht mehr nur um Hundertstelsekunden", sagt Hirscher.

"Ich bin nicht mehr der Profi, der ich früher war – mag ich auch gar nicht mehr sein. Das ist das Kapitel dahinter, jetzt ist es ein anderes Kapitel."

Hirscher, der Testfahrer

Auch körperlich könne man den Marcel Hirscher von heute nicht mit jenem von früher vergleichen.

"Es ist unglaublich, wie schnell sich der Körper umstellt. Es ist auch für mich eine Riesenherausforderung, körperlich wieder fit zu werden", gibt er zu, dass noch etwas an Muskelmasse fehlt. "Das Profi-Sein habe ich früher sehr ernst genommen, das tue ich heute natürlich auch noch. Aber ich schaue sicher nicht so aus wie früher."

Bei seinem "Herzensprojekt" sieht Hirscher seine Rolle ähnlich wie die eines Testfahrers in der MotoGP.

"Primär geht es darum, dass ich auch bei unserem Projekt (Van Deer; Anm.) mehr dazu beitragen kann. Ich möchte für unsere Athleten das Maximum herausholen und den Skisport auf ein nächstes Level bringen."

Gleichzeitig erfülle er sich einen Lebenstraum, in dem er mit seinen eigenen Skiern Rennen fährt.

"Opa" Hirscher und die Aufregung

Die ersten Rennen wird Hirscher in Neuseeland bestreiten. Am 9. August hebt der 35-Jährige mit einem kleinen, feinen Team Richtung Südwestpazifik ab. In drei Wochen sollen so viele Trainingstage wie möglich abgespult und die ersten Rennen absolviert werden. In Coronet Peak auf der Südinsel steigen von 15. bis 19. August je zwei FIS-Riesentorläufe und -Slaloms.

"Ich bin gespannt, wie es sich anfühlt, wenn ich wieder eine Startnummer anziehe. Es ist schon aufregend. Ich werde wahrscheinlich mit sehr jungen Athleten am Start stehen. Die werden sich denken: Der Opa ist auch da", meint der 35-Jährige.

Ob er beim Weltcup-Auftakt in Sölden Ende Oktober am Start stehen wird, will Hirscher nicht versprechen. Weltcup-Starts in der kommenden Saison sind dem achtfachen Gesamtweltcup-Sieger nur möglich, wenn er sich bezüglich seiner FIS-Punktezahl deutlich weiter nach vorne arbeitet. In der zweiten Juli-Liste rangiert er im Slalom auf Platz 300 und im Riesentorlauf auf 693.

"Jetzt heute zu sagen, was in vier, fünf Monaten ist, ist sehr, sehr schwer. Natürlich habe ich Vorstellungen, aber das Wichtigste ist jetzt einmal, in Neuseeland zum Trainieren zu kommen. Dann wird man sehen, wo ich stehe. Ob das Sinn macht, ob ich mich halbwegs entwickeln kann und wie viele Punkte ich sammle", sagt Hirscher. "Es ist schon sehr spannend, wie das Projekt starten wird."

Seine Niederländisch-Kenntnisse will Hirscher übrigens noch weiter verbessern. "Ich muss meine Oma und meine Tante um Hilfe bitten."


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