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Der einzige Brasilianer, der weiß, was Schnee ist

Lucas Braathen ist zurück – als Brasilianer! Wie er im Land von Copacabana und Caipirinha erklärt hat, was Skifahren ist und wie er den Sport verändern will.

Der einzige Brasilianer, der weiß, was Schnee ist Foto: © True Color Films / Eric Scaggiante

27. Oktober 2023. Zimmer Nummer 44 in einem luxuriösen Hotel in Sölden. Draußen fallen die Regentropfen vom Himmel, drinnen kullern die Tränen über Lucas Braathens Gesicht. 

Der Norweger hatte soeben sein Karriereende bekanntgegeben. "Ich bin fertig", sagte er zwei Tage vor dem Beginn der Ski-Saison nach einem Streit mit dem norwegischen Verband.

Fast auf den Tag genau ein Jahr später ist Lucas Pinheiro Braathen zurück. Zurück in Sölden, zurück im Ski-Weltcup.

Nun vertritt der Doppelstaatsbürger Brasilien, das Land seiner Mutter. Blieb das Pinheiro in seinem Namen früher oft unerwähnt, streicht er es jetzt hervor.

"Es fühlt sich gar nicht an, als wäre ich weg gewesen", sagt der 24-Jährige vor dem Saison-Auftakt am Rettenbachferner (Sonntag, 10 Uhr im LIVE-Ticker).

"Es ist ernst"

Braathen zieht, egal wo er auftaucht, die Aufmerksamkeit auf sich, das hat sich nicht geändert. Sein Erscheinungsbild hingegen schon.

Beim Medientermin seines Ausrüsters Atomic erscheint er ganz in Schwarz gekleidet, fast unauffällig, nicht sehr brasilianisch. Keine Spur mehr von bunten Fingernägeln oder extravaganten Kleidungsstücken.

Why so serious, Lucas Braathen?
Foto: © GEPA

"Es ist ernst. Der Spaß ist vorbei", sagt Braathen. "Ich hatte mein Jahr, bin herumgelaufen wie ein Hippie, hatte lange Haare und Bart. Aber jetzt sind die Haare geschnitten, der Anzug sitzt, es ist Renn-Zeit. Aber eines kann ich versprechen: Ihr werdet mich auch wieder anders sehen."

Braathen wirkt im Allgemeinen gereift, trotz seiner erst 24 Jahre.

"Es war ein Jahr, in dem ich viel über mich selbst gelernt habe. Es fühlt sich an wie ein Semester in der Schule des Lebens", sagt Braathen.

Der Freigeist hat in seinem Sabbatjahr Mode designt und selbst gemodelt, als DJ aufgelegt, sich seiner Foundation für Ski-Nachwuchs gewidmet und in der Technologieabteilung seines Ausrüsters Atomic mitgearbeitet.

Und er hat viel Zeit in Brasilien verbracht. Im Heimatland seiner Mutter hat er seine Familie besucht und sich auch den brasilianischen Medien vorgestellt.

"Meine Großmutter wird das erste Mal verstehen, was ich mache, weil sie Skisport im Fernsehen sehen wird."

"Ich musste oft erklären, warum ich Skifahrer und nicht Fußballer geworden bin", erzählt Braathen, der seine Ski-Karriere vergleichsweise spät, mit neun Jahren, in Angriff genommen hat.

"Ich saß bei einem Pressetermin und habe ihnen beigebracht, was Skifahren ist. Ich habe erklärt, dass man zwischen Plastikstangen mit 140 km/h auf Schnee runterfährt."

"Auch meine Familie zu treffen war besonders. Meine Großmutter wird das erste Mal verstehen, was ich mache, weil sie Skisport im Fernsehen sehen wird. Es bedeutet mir sehr viel."

Dass man am Zuckerhut nicht viele Berührungspunkte mit dem Skifahren hat, ist selbstredend. Der bisher letzte Sambatänzer im Schnee war Jhonatan Longhi, der es zwischen 2008 und 2016 vergeblich versucht hat, auch Weltcuppunkte zu ergattern.

Ganz unbekannt ist Braathen in seiner zweiten Heimat aber nicht. "Der einzige Brasilianer, der weiß, was Schnee ist", bekam ein deutscher TV-Sender bei einer Umfrage zu Braathen an der berühmten Copacabana als Antwort.

Braathen und die Verantwortung für Veränderung

Geht es nach dem 24-Jährigen, sollen ihn bald noch mehr Brasilianer kennen. Er will eine Inspiration sein und den Sport verändern.

"Es ist eine Ehre für mich, diesen schönen Sport einem ganz anderen Publikum näherzubringen. Ich will den Menschen zeigen, dass man von überall her kommen kann, dass es keine Rolle spielt, wer man ist, wenn man etwas tut, das einen glücklich macht. Meine Geschichte kann inspirierend sein."

"In Brasilien geht es nur ums Gewinnen. Alles oder nichts."

Der ehemals beste Slalom-Läufer sieht im Skisport Raum für große Veränderungen. "Ich denke, es ist meine Verantwortung, diese Figur zu sein."

Der Verband in Brasilien erlaube ihm, "der Wandel zu sein. Das ist die coolste Ära meines Lebens", sagt Braathen.

Gleichsam sei die Sportkultur in Brasilien brutal. "In Brasilien geht es nur ums Gewinnen. Alles oder nichts. Aber wenn sie einen Star haben, den sie unterstützen können, ist es völlig egal, was du machst. Dann bekommst du eine Art von Unterstützung, die ich nirgends sonst je so gespürt habe. Diese Liebe war es, die ich einst in den Straßen von Sao Paulo erfahren habe, als ich Fußball spielte. Eine Zuneigung, die so anders war als alles davor. Da ist so viel Liebe für den Sport da. Deswegen ist meine Mission auch anders als die der Konkurrenz."

Um etwas zu bewirken, sagt Braathen, "musst du aber der Beste sein, man muss außergewöhnlich sein. Gewinnen ist außergewöhnlich."

"Ich bin hier für das Podium und Siege"

Sein Ziel ist demnach klar: "Ich will wieder ganz oben sein. Ich würde nicht zurückkehren ohne die Absicht, wieder der Beste zu sein. Ich bin nicht hier für den sechsten, fünften oder vierten Platz. Ich bin hier für das Podium und Siege."

Schon im Jänner traf Braathen die Entscheidung, in den Weltcup zurückzukehren. Ohne den großen norwegischen Verband im Rücken baute er gemeinsam mit seinem Vater ein multinationales, vor allem aber hochkarätiges Betreuerteam auf. Mike Pircher, der Ex-Trainer von Marcel Hirscher, und Kurt Kothbauer, zuletzt Konditionstrainer von Marco Odermatt, gehören dazu.

"Seit meiner Entscheidung im Jänner, zurückzukehren, ist dieses Projekt mein Leben. Ich bin der Schöpfer eines Teams, das sich nur aus Marketing-Einnahmen finanziert, auch wenn mir der Verband die Grundlage liefert. Ich musste eine Struktur schaffen, die es mir ermöglicht, Österreicher, Schweizer, Italiener, Norweger im Skirennsport zu schlagen. Ob mir das gelungen ist, werden wir in Sölden sehen."

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