Marie-Therese Sporer nimmt kräftig Anlauf.
Anlauf, um in ihrer Ski-Karriere wieder neu durchzustarten.
Die vergangene Weltcup-Saison verlief für die 26-jährige Tirolerin nach einer Schulterverletzung 2022 ganz und gar nicht nach Wunsch. Nur ein Mal – beim ersten Slalom in Levi (16.) – schaffte sie es in die Punkte. Der Winter war ein einziger Kampf, sowohl körperlich als auch mental.
Die Folge der ausgebliebenen Leistungen: Sporer verlor nach der Saison 2022/23 ihren ÖSV-Kader-Status.
"Sicher war es ein Paukenschlag, dass ich nicht mehr im Kader bin", sagt Sporer im Gespräch mit LAOLA1. "Aber für mich ist es nichts, was mich belastet. Ich sehe als eine neue Herausforderung und Chance, die nehme ich an und bin motiviert."
Viel wichtiger als ihr Kader-Status ist Sporer ohnehin ihre Gesundheit.
Kein Wunder, kennt man ihre Verletzungsgeschichte. Bereits früh in ihrer Karriere hatte die Zillertalerin mit Knieverletzungen zu kämpfen. "Mein 3. Kreuzbandriss feiert heuer das 10-jährige Jubiläum", erzählt die 26-Jährige.
Zuletzt lag sie Anfang Mai unterm Messer, die lädierte Schulter ("Es hat übel ausgeschaut in der Schulter") und das Knie wurden repariert. Es muss die Operation Nummer sieben oder acht in ihrer Karriere gewesen sein, schätzt Sporer.
"Es ist seit 14 Monaten das erste Mal, dass ich nicht geplagt bin von Schmerzen und Unwissen, ob ich den Arm jemals wieder bewegen kann. Jetzt merke ich kleine Schritte, es geht wieder in die richtige Richtung."
"Das hat mich aus der Bahn geworfen, physisch und psychisch"
Nach der Schulterverletzung im Jänner 2022 hat es Sporer im vergangenen Winter nie wirklich geschafft, ans Limit zu gehen. Ihr Körper habe sie unbewusst gebremst, von Schrecksekunden fernhalten wollen. Die Angst vor einem neuerlichen Sturz und einer Operation fuhr stets mit.
"Das Thema Depressionen wird totgeschwiegen, obwohl es einfach nur eine Krankheit ist."
"Wir haben in der Reha nach dem Sturz letztes Jahr alles probiert. Aber wenn du dich im Alltag schon nicht bewegungsbereit fühlst und im Krafttraining Übungen verändern musst, damit du überhaupt in Bewegungsspielräume rein kommst, ist das nicht leicht. Das ist aber auch keine Ausrede", sagt Sporer.
Letztlich sei es auch eine mentale Frage gewesen: "Die Schulter hat mich aus der Bahn geworfen, ganz klar, physisch und psychisch."
Sporer geht offen mit dem Thema mentale Gesundheit um, hat in der Vergangenheit bereits über Erschöpfungsdepressionen gesprochen.
"Das Thema Depressionen ist ein Thema, das totgeschwiegen wird, obwohl es einfach nur eine Krankheit ist. Seitdem ich das erste Mal damit in die Öffentlichkeit gegangen bin, dass es mental schwierige Zeiten gegeben hat, habe ich so viele Nachrichten bekommen oder Mädls sind auf der Skipiste zu mir gekommen und haben gesagt: Cool, dass du darüber sprichst, uns geht's ja genau gleich. Leute müssen tagtäglich mit Druck umgehen, egal ob das Leistungssportler oder Privatpersonen sind. Es gibt einfach schlechte Zeiten und man darf sich helfen lassen", sagt Sporer.
Vom ÖSV nie wirklich gesehen oder verstanden
Mehr Unterstützung in ihrer schwierigen Situation nach der Schulterverletzung hätte sich die Tirolerin auch vom ÖSV gewünscht. Sie habe sich vom neuem Trainer- und Betreuerteam im vergangenen Winter "nie wirklich gesehen oder verstanden gefühlt", erklärte Sporer in einem Instagram-Posting.
"Es ist immer schwierig in einem Verband wie Ski Austria, auf jeden einzelnen einzugehen. Da sind so viele junge Talente, da muss man manchmal einfach mit dem Haufen mitschwimmen. Wenn du dann aber auch noch verletzt bist und Zeit und mehr Verständnis von den Trainern bräuchtest, wenn du Schmerzen hast oder wenn du Sachen noch nicht machen kannst, ist es schwierig. Da sind sie manchmal noch nicht ganz so offen und kommunikativ", erklärt Sporer.
Bin ich einfach nicht besser?
Die 26-Jährige hat im vergangenen Winter "ganz oft" mit dem Gedanken gespielt, ihre Karriere zu beenden. So wie 2019, als sie nach einer Teilruptur des vorderen Kreuzbands und einem Bruch des Schienbeinkopfs einen (vorübergehenden) Schlussstrich zog, sogar alle ihre Ski-Sachen verkaufte, ehe sie 2020 zurückkehrte.
"Wenn du jedes Mal wieder über die Ziellinie kommst und der Balken ist nicht rot sondern dunkelrot, denkst du dir: War‘s das? Bin ich einfach nicht besser? Bin ich nicht schneller?", gibt Sporer Einblick in ihre Gedanken.
"Aber ich habe am Ende der Saison, als kein Druck mehr da war und es egal war, wie schnell ich bin, gespürt, dass es noch da ist. Da bin ich nur noch für mich gefahren, mit Leidenschaft und Herz. Da war für mich klar: Ich mache es jetzt auf meine Art und Weise."
Boxenstopp statt Neustart
Von einem Neustart will die Absolventin der Stamser Ski-Handelsschule jedoch nicht sprechen.
"Für mich war das Comeback nach meinem Rücktritt 2020 der Neustart. Seitdem arbeite ich am gleichen Ziel. Das war jetzt ein Boxenstopp mit der Verletzung und der schlechten Saison. Das gehört auch zu einer Karriere dazu", meint Sporer. "Wenn man mal einen Schritt zurück geht, ist das nichts schlechtes, dann kann man wieder Anlauf nehmen und neue Energie generieren. Das probiere ich jetzt."
Der neue Anlauf erfolgt nun auf eigene Faust, ohne Unterstützung von Ski Austria. Da sie keinen ÖSV-Kader-Status mehr besitzt, kann Sporer nicht mehr mit ihren ehemaligen Teamkolleginnen trainieren, muss die Vorbereitung auf die nächste Saison alleine stemmen, auch finanziell.
"Jeder denkt, dass es ohne Kader-Status nicht geht, aber es geht schon. Man muss es halt nur wollen."
"Ich bin auf Sponsoren, Gönner und Unterstützer angewiesen. Man muss sehr viel Geld in die Hand nehmen. Aber ich möchte unbedingt wieder den Anschluss finden, von dem her tut man's dann auch gerne", so die 26-Jährige, die sich gerade nach einem Trainingsteam für die Herbst-Vorbereitung umsieht.
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Sicher ist bereits, dass ihr Papa Helmut sie als Servicemann und mentale Stütze begleiten wird. "Für mich ist es wichtig, dass ich ein Umfeld schaffe, in dem ich mich wohl fühle und das meine Philosophie teilt", sagt die Junioren-WM-Silberne im Team von 2017.
Sporer will im September wieder auf Skiern stehen, das große Ziel der Technik-Spezialistin ist ein Start beim ersten Weltcup-Slalom der neuen Saison im finnischen Levi Anfang November. Dafür muss sie sich aber zuerst qualifizieren.
ÖSV-Coach Assinger: "Wenn sie schneller ist als ÖSV-Läuferinnen, soll sie fahren"
Die Möglichkeit dazu wird Sporer bekommen, wie ÖSV-Frauen-Cheftrainer Roland Assinger bestätigt. "Es wird jede ihre Chance bekommen, sich wieder ins Team zu fahren. Wenn sie schneller ist als ÖSV-Läuferinnen, soll sie fahren, dann hat sie es sich verdient."
Das neue Trainerteam bei Ski Austria sei keines, das einem Steine in den Weg legt, erkennt Sporer an. "Ich finde es mega cool und auch sehr fair, dass wir die Chance bekommen. Im Skisport geht‘s ja darum, wer die Schnellste ist - egal ob ich einen Kader-Status habe oder nicht."
Eine "Jetzt erst recht"-Mentalität wird sie daher nicht an den Tag legen. "Es ist nicht so, dass ich mit dem Mindset in die Saison starte, dass ich schneller als die ÖSV-Athletinnen sein muss. Es geht ja darum, das Beste aus mir herauszuholen, mich weiterzuentwickeln und schnelles Skifahren an den Tag zu legen. Ob es dann reicht, wird die Zeit zeigen", nimmt Sporer den sportlichen Wettbewerb an.
Dass sie keinen ÖSV-Kader-Status mehr hat, sieht die Zillertalerin auch als Chance. "Ich glaube, dass sich jetzt vieles positiv verändern wird, auch wenn die Situation neu ist. Jeder denkt, dass es ohne Kader-Status nicht geht, aber es geht schon. Man muss es halt nur wollen."
Und Sporer will, am besten bis ganz nach oben aufs Podest. "Man hat als Kind schon den Wunsch, im Weltcup nicht nur mitzufahren, sondern zu den Schnellsten der Welt zu gehören. Ich weiß, dass ich einen schnellen Schwung habe und mein Talent gegeben ist. Ob es dann für die Top 10 oder für ein Podium reicht, wird man sehen. Ich werde jedenfalls hart dafür arbeiten."
Marie-Therese Sporer nimmt kräftig Anlauf.