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ÖSV-Speed-Ass Ortlieb: "Treppensteigen ist die größte Hürde"

Nina Ortlieb hat über 20 OPs hinter sich, aufgeben ist keine Option. Wie es ist, wenn der Lebensmittelpunkt wegbricht und welches große Ziel sie antreibt:

ÖSV-Speed-Ass Ortlieb: Foto: © GEPA

Die Verletzungsakte von Nina Ortlieb sucht ihresgleichen. 

Über 20 Operationen hat die 28-jährige Vorarlbergerin schon hinter sich, immer wieder wurde sie in ihrer Karriere von schweren Verletzungen zurückgeworfen. Zuletzt im Dezember 2023, als sie sich beim Einfahren in St. Moritz einen Schien- und Wadenbeinbruch zuzog. 

Ein Jahr lang kämpfte sich Ortlieb mühsam zurück, Aufgeben war aber nie eine Option. Das große Ziel: Eine Medaille bei der Heim-WM in Saalbach-Hinterglemm im Februar. 

Während ihr Treppensteigen nach der Verletzung noch Probleme bereitet, stürzt sie sich wieder die Abfahrtspisten dieser Welt hinunter. "Ich habe nach wie vor fix den Glauben, dass ich den Weg ganz an die Spitze wieder schaffen kann", sagt die Abfahrts-Silberne der WM 2023. 

Wie Ortlieb damit umgeht, dass nicht mehr alle an ihr Comeback an der Weltspitze glauben, und wie es ist, wenn der Lebensmittelpunkt plötzlich wegbricht, erzählt sie im LAOLA1-Interview. 


LAOLA1: Die wichtigste Frage vorneweg: Wie geht es dir nach deiner Verletzung?

Nina Ortlieb: Ich merke es schon noch, muss ich sagen. Beim Skifahren Gott sei Dank kaum, aber im Alltag, Treppen abwärts gehen ist die größte Hürde. Mit Skischuhen gehen macht mir auch noch Probleme. Es ist noch nicht ganz ausgeheilt, das liegt auch daran, dass noch Metall im Bein ist. Das wird erst nach der Ski-Saison entfernt.

LAOLA1: Es waren zwar erst drei Rennen, aber wie zufrieden bist du bisher mit deiner Comeback-Saison? Hat sich der harte Weg zurück gelohnt?

Ortlieb: Auf jeden Fall, das hat es schon am ersten Skitag. Ich habe daran nie gezweifelt. Natürlich habe ich gewusst, dass es bei mir nicht der Fall sein wird, dass ich im Dezember schon in Höchstform bin. Das Speed-Training in Copper Mountain war ziemlich gut, da waren die Erwartungen vielleicht schon höher. Ich habe dann bei den Rennen aber gesehen, dass das letzte Vertrauen noch fehlt, vor allem wenn es anspruchsvoller wird. Es braucht vielleicht noch den einen oder anderen Trainingstag und vor allem das letzte Selbstvertrauen. Aber ich habe nach wie vor fix den Glauben, dass ich den Weg ganz an die Spitze wieder schaffen kann und das ist, was mich weiter antreibt und motiviert.

LAOLA1: Wie war es für dich, wieder nach St. Moritz zurückzukehren?

Ortlieb: St. Moritz ist prinzipiell ein Ort, den ich gerne mag, aber ich habe ihn letztes Jahr natürlich mit vielen negativen Emotionen verlassen. Es ist nie ein schönes Gefühl, an einen Ort zurückzukommen, von dem man eigentlich nie abgereist ist, sondern den man mit dem Hubschrauber verlassen hat.

"Viele verstehen nicht, wie viel Zeit so eine Rückkehr erfordert. Bis man körperlich wieder an dem Punkt ist, wieder Rennen fahren zu können. Das Loch, das man sich vielleicht vorstellt, gibt es nicht."

LAOLA1: Wie gefährlich der Abfahrtssport ist, hat man bei den Männern in Bormio gesehen, wo es vier Schwerverletzte gab. Wie geht's dir, wenn du solche Bilder siehst? Hast du manchmal Angst, dass dir wieder was passieren könnte?

Ortlieb: Man versucht das natürlich auszublenden. Nüchtern betrachtet weiß man, dass das Risiko da ist. Man bewegt sich am Limit, das ist einfach Teil des Sports. Bormio ist eine sehr fordernde Strecke, die wenig Platz für Fehler lässt. Für mich selbst ändern solche Ereignisse wie in Bormio aber nichts, wahrscheinlich weil der Ort für mich emotional weiter weg ist und wir dort noch nie Rennen hatten. Aber wir wissen alle, dass unser Sport sehr risikoreich ist und wir tragen dieses Risiko jeden Tag.

LAOLA1: Du musstest nach deiner Verletzung ein Jahr pausieren. Was macht das mit einem, wenn der Lebensmittelpunkt plötzlich wegbricht?

Ortlieb: Es wird einem vorübergehend die größte Leidenschaft und der Beruf genommen. Gleichzeitig wird es mit dem Zeitpunkt der Verletzung wieder sehr intensiv. Viele verstehen nicht, wie viel Zeit so eine Rückkehr erfordert. Bis man körperlich wieder an dem Punkt ist, wieder Rennen fahren zu können. Es gibt eigentlich nie eine Zeit, in der man nichts tut, sondern es geht sofort nach der Verletzung wieder los. Das Loch, das man sich vielleicht vorstellt, gibt es nicht.

LAOLA1: Du hast nach der Verletzung gesagt, aufgeben war für dich nie eine Option. Aber wie schafft man es, in so einer Situation nicht völlig zu verzweifeln und die Geduld zu verlieren?

Ortlieb: Das Wichtigste ist der Glaube daran, dass man es wieder schaffen kann. Das ist das, was mich tagtäglich motiviert und vorantreibt. Gleichzeitig braucht man kleine Ziele, die man nach und nach erreichen kann, damit man die Fortschritte sehen kann und das große Ziel wieder näher kommt.

"Das große Ziel ist, bei der WM um eine Medaille kämpfen zu können."

LAOLA1: War das große Ziel für dich jetzt wieder Skizufahren, wieder im Weltcup zu fahren oder ist es ein anderes, das noch in der Zukunft liegt?

Ortlieb: Das große Ziel ist, bei der WM um eine Medaille kämpfen zu können. Langfristig habe ich natürlich noch viele Saisonen und dementsprechend viele Ziele vor mir. Aber es braucht auch das Ziel, wieder Skifahren zu können, wieder im Weltcup fahren zu können, damit man den anderen Zielen näher kommt.

LAOLA1: Wie schätzt du deine Chancen ein, in Saalbach am Start stehen zu dürfen?

Ortlieb: Ich bin auf jeden Fall optimistisch, wir haben noch drei Speed-Wochen vor uns bis zur WM, da kann noch viel passieren. Ich bin fest davon überzeugt, dass ich das Können dazu habe. Darum heißt es weiter fleißig trainieren und bei den Rennen performen, damit ich dann bei der WM die Chance bekomme.

LAOLA1: Worauf bist du in deiner Karriere bisher am meisten stolz?

Ortlieb: Auf die Silbermedaille bei der WM 2023. Das war ein Comeback-Jahr, ich bin davor fast zwei Jahre kein Rennen gefahren und es hat viele gegeben, die nicht mehr daran geglaubt haben, dass ich den Weg zurück schaffen werde. Dass ich es trotzdem gemeistert habe, darauf bin ich am meisten stolz.

LAOLA1: Hat es nach deiner letzten Verletzung wieder Stimmen gegeben, die gemeint haben, du schaffst es nicht mehr?

Ortlieb: Direkt ist nie jemand an mich herangetreten, aber ich glaube, manche haben schon daran gezweifelt. Das war mir aber auch egal. Aus meinem engeren Umfeld sind die Stimmen nie gekommen, da war und ist immer Unterstützung da. Ich glaube, man lernt mit den Jahren, nicht zu viel nach links und rechts zu schauen, sondern sich auf die Leute zu konzentrieren, die hinter einem stehen. Es zählt nur das, woran man selber glaubt.

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