Er ist eine Ski-Ikone. Bode Miller ist eine der schillerndsten Persönlichkeiten in der Geschichte des Sports.
Der US-Amerikaner gehörte in seiner aktiven Zeit zur Sorte "Draufgänger" und war einer der wenigen Allrounder im Ski-Zirkus. Sein Stil - einmalig. Sein Einsatz - immer 110 Prozent.
Miller hat fast alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt: Er ist Olympiasieger, viermaliger Weltmeister, zweifacher Gesamtweltcup-Sieger und hat insgesamt 33 Weltcup-Rennen gewonnen.
2017 beendete der mittlerweile 46-Jährige seine aktive Karriere. Heute lebt Miller mit seiner Familie in den USA, mit dem Skisport ist er nach wie vor eng verbunden. Der Kombinations-Olympiasieger von 2010 produziert sogar seine eigenen Skier.
LAOLA1 bat Bode Miller im Rahmen des Ski-Weltcup-Auftakts in Sölden zum Interview. Dabei spricht der US-Amerikaner darüber, wie Rennläufern der Spaß am Skifahren genommen wird, warum die Sportler so wenig Gehör finden und wie es um die Zukunft des Skisports bestellt ist.
LAOLA1: Wie intensiv verfolgst du den Ski-Weltcup noch?
Bode Miller: Ich schaue, ehrlich gesagt, nicht mehr so viele Rennen live. In den USA ist es schwierig, einerseits wegen der Zeitverschiebung, andererseits laufen die Rennen nicht live im TV. Ich schaue mir einige an, wenn sie zur richtigen Zeit ausgestrahlt werden, oder die Wiederholungen.
LAOLA1: Klingt, als hätte sich der Stellenwert des Skisports in den USA nicht merklich geändert – trotz der großen Erfolge von Mikaela Shiffrin.
Miller: Nein, es ist noch immer fast so wie zu meiner aktiven Zeit. Es hat sich nicht viel geändert. Mikaela ist ein Superstar, aber in den USA ist das anders. Ich glaube, den Amerikanern gefällt es, dass die beste Skifahrerin aller Zeiten aus den USA kommt, das ist gut für ihr Ego. Aber im Gegensatz zu den anderen Sportarten ist Skifahren immer noch ein Randthema. Es gibt einfach nicht genug Platz dafür im Fernsehen und niemand ergreift die Initiative, um dem Thema wirklich Priorität einzuräumen. Ich denke, die Leute in den USA würden sich Skirennen ansehen, wenn sie im TV laufen würden, aber das ist nicht der Fall.
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"Skifahren an sich ist toll, aber als Rennläufer wird dir der Spaß daran genommen."
LAOLA1: Interessieren sich deine Kinder fürs Skifahren?
Miller: Ja, sie fahren alle Ski und lieben es. Aber sie haben keinen Druck von mir, Skifahren zu müssen. Es ist ein wirklich harter Sport, es ist teuer und es ist ein großer Aufwand für die Eltern. Aber sie machen es wirklich gerne.
LAOLA1: Denkst du, deine Kinder könnten auch einmal Rennen fahren?
Miller: Ich weiß es nicht, aber ich denke eher nicht. Denn ganz ehrlich: Es ist scheiße. Skifahren an sich ist toll, aber als Rennläufer wird dir der Spaß daran genommen. Es gibt so viele Leute in dem Business, die nur nehmen, nehmen, nehmen, bis es wirklich keinen Spaß mehr macht. Und es ist schwer, erfolgreich zu sein, wenn du keine Freude am Sport hast.
LAOLA1: Ähnliches hat Lucas Braathen gesagt, als er seinen Rücktritt verkündet hat.
Miller: Ich kenne Lucas nicht gut. Er war noch ein kleines Kind, als ich Rennen gefahren bin. Aber ich finde es schade, weil er ein Star in diesem Sport ist. Sein Rücktritt ist schlecht für alle. Lucas verliert, das norwegische Team verliert, der Skisport verliert, die Fans verlieren. Ich denke, letztendlich brauchen die Athleten - wir reden seit Jahren darüber - ein bisschen mehr Einfluss, mehr Kontrolle. Es gibt im Skisport bestimmte Instanzen, die alles kontrollieren. Aber es sind die Athleten, die Verletzungen oder sogar den Tod riskieren, um das tun zu können, was sie gerne machen. Wenn alles von bestimmten Leuten gesteuert wird, kann man keinen Einfluss nehmen. Lucas ist jung und hat leider zu viel Druck gemacht. Wenn man zu sehr drängt, dann sagen sie "tschüss" zu dir und man hat keine andere Wahl. Das sind die negativen Aspekte der Struktur des Skirennsports. Es ist eine Schande.
LAOLA1: Siehst du eine Chance, dass diese Strukturen aufgebrochen werden können?
Miller: Die Rennläufer haben seit langem mit den gleichen Problemen zu kämpfen: Kein Mitspracherecht und keine Möglichkeit, etwas zu ändern. Alle Veränderungen, alle Entscheidungen werden nicht von den Athleten getroffen. Das ist meiner Meinung nach falsch. In jeder anderen Sportart auf der Welt gibt es so etwas wie Athleten-Gewerkschaften. Sie haben eine Stimme und können sagen, was für sie wichtig ist. Im Skisport haben die Athleten überhaupt keine Stimme. Das war schon immer ein Problem. Du erinnerst dich vielleicht daran, dass ich während meiner aktiven Karriere auch laut war. Es hat schon immer Sportler gegeben, die ihre Stimme erhoben haben. Aber im Endeffekt hat es keinen Unterschied gemacht. Es hat keinen Einfluss auf die tatsächlichen Entscheidungen. Die Athleten haben auch genug andere Dinge zu tun. Sie haben zu wenig Zeit und Energie, um eine politische Debatte zu führen. Oder sie müssten mit dem Skifahren aufhören.
"Wenn Mikaela Ski fährt, ist es wie Magie. Sie hat neun Slaloms hintereinander gewonnen. Ich kann mich nicht daran erinnern, überhaupt einmal neun Rennen in Folge ins Ziel gekommen zu sein."
LAOLA1: Der Skisport hat aktuell noch mit anderen Problemen wie etwa den Auswirkungen der Klimakrise zu kämpfen. Wie siehst du die Zukunft des Sports?
Miller: Ich glaube nicht, dass der Skisport bedroht ist. Skifahren wird es immer geben, es wird nur in bestimmten Gebieten und zu bestimmten Zeiten schwieriger werden. Das Klima wird eine Veränderung im Skisport erzwingen. Es wird Änderungen beim Rennkalender geben und in der Art und Weise, wie Rennen geplant werden. Ich finde, FIS-Präsident Johan Eliasch ist ein kluger Mann. Ich glaube, er hat ein moderneres Verständnis davon, wo wir hin müssen. Aber es ist immer noch eine große Herausforderung, weil alle auf ihr eigenes Wohl bedacht sind. Manchmal sind sie bereit, eine Entscheidung, die im Interesse aller wäre, nicht zu treffen, weil es zum Vorteil einer kleinen Gruppe ist. Das führt dazu, dass sich alles nur sehr langsam ändert. Es gibt Dinge, die hätten schon längst geändert werden sollen. Aber solange es keinen zwingenden Faktor gibt, passiert nichts. Es ist alles reaktiv.
LAOLA1: Was würdest du verbessern?
Miller: Ein Beispiel: Es gibt keine andere Sportart auf der Welt, die eine zweistündige "Halbzeitpause" hat. Wenn bei einem Fußballspiel in der Pause alle Spieler ins Hotel gehen würden, dort zu Mittag essen und danach noch ein Nickerchen machen, bevor sie zurück zum Spiel kommen, wäre kein Mensch mehr im Stadion. Es ist verrückt, dass man das beim Skifahren nicht schon längst geändert hat.
LAOLA1: Mit Mikaela Shiffrin und Marco Odermatt gibt es aktuell zwei absolute Superstars. Wie wichtig sind sie für den Skisport?
Miller: Wenn Mikaela Ski fährt, ist es wie Magie. Sie hat, glaube ich, neun Slaloms hintereinander gewonnen. Ich kann mich nicht daran erinnern, überhaupt einmal neun Rennen in Folge ins Ziel gekommen zu sein. Mikaela ist außerirdisch. Es ist das selbe wie bei Marcel Hirscher, er war ein Wunder. So etwas habe ich noch nie gesehen. Ich war zwar auch erfolgreich, aber auf eine ganz andere Art und Weise. Es ist fast wie ein anderer Sport. Auch Marco Odermatt beim Skifahren zuzusehen, ist beeindruckend. Es ist wie bei Hirscher oder Hermann Maier, als er in Bestform war. Er ist einfach besser als alle anderen. Er ist stärker, seine Ausrüstung funktioniert gut, seine Taktik ist gut und seine Technik ist wirklich solide. Aber ehrlich gesagt macht es das weniger spannend, weil sie so viel besser als die anderen sind. Für mich ist der Skirennsport nicht so spannend, wenn jeder nur 80 Prozent gibt. Ich möchte sehen, dass jemand 100 Prozent oder mehr gibt - das habe ich immer getan. Auch wenn es nicht schön anzusehen war, konnte man die Energie und die Anstrengung erkennen. Das ist es, was die Leute sehen wollen.