Mit einem breiten Grinsen betritt Atle Lie McGrath den Raum in einem Hotel in der Kitzbüheler Innenstadt.
Er verteilt zuerst Snacks an seine Teamkollegen und setzt sich dann zum Interview mit LAOLA1 an den Tisch.
McGrath lebt den norwegischen Teamgeist wie kaum ein anderer. Dabei kamen dem 23-Jährigen zuletzt zwei seiner besten Freunde in der Mannschaft abhanden.
Im Oktober erklärte Lucas Braathen, mit dem McGrath skifahrerisch groß wurde, aus dem Nichts seinen Rücktritt. Vor zwei Wochen verletzte sich Aleksander Aamodt Kilde bei einem bösen Sturz in Wengen so schwer, dass er die Saison vorzeitig beenden musste.
McGrath weiß selbst nur zu gut, wie es Kilde gerade geht. 2021 musste er nach einem Sturz im Riesenslalom von Adelboden - wie Braathen - die Saison vorzeitig beenden. 2023 erlitt der Norweger im WM-Super-G in Courchevel einen Kreuzbandriss.
Im Interview spricht McGrath über seine starke Comeback-Saison im Slalom, die Liebe zu Manuel Feller, das Gefühl, wenn einen die ganze Ski-Welt vergisst und wie Braathens Rücktritt ihre Freundschaft veränderte.
LAOLA1: Es ist deine Comeback-Saison nach einem Kreuzbandriss und du fährst im Slalom ganz vorne mit. Wie ist das möglich?
Atle Lie McGrath: Ich habe Vertrauen in mein Skifahren. Das ist ein Gefühl, für das ich wirklich hart gearbeitet habe. Das Gefühl zu haben, dass man das Rennen gewinnen kann, ist Druck, aber auch ein schönes Gefühl. Daran will ich festhalten.
LAOLA1: In Adelboden und Wengen warst du jeweils Zweiter hinter Manuel Feller. Du bist auch Mitglied im norwegischen Feller-Fanclub.
McGrath: Es ist sehr cool, dass wir dieses Duell haben, aber man hat gesehen, dass es schnell gehen kann (Ausfall in Kitzbühel, Anm.). Es ist im Slalom alles sehr eng. Ich mag Manu als Mensch, er ist ein cooler Typ und wir haben eine gute Beziehung zueinander. Es ist nichts als Liebe. Aber diese paar Hundertstel haben schon genervt in Adelboden und Wengen (lacht).
LAOLA1: In Wengen war es ein herausforderndes Rennen für dich. Am Tag zuvor hat sich dein Teamkollege Aleksander Aamodt Kilde bei einem Sturz schwer verletzt. Du hast im Interview nach dem Rennen gesagt, du hast deshalb die halbe Nacht nicht geschlafen.
McGrath: Der Samstag in Wengen war schrecklich. Was mit Aleks passiert ist, hat mich sehr mitgenommen. Wir sind Teamkollegen und sehr gute Freunde. Er ist einer meiner besten Freunde im Team, wenn nicht sogar der beste. Ich habe nach seinem Sturz in der Nacht vor dem Slalom vielleicht eine oder zwei Stunden geschlafen, weil ich die ganze Nacht an Aleks gedacht habe.
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LAOLA1: Du weißt ja aus eigener Erfahrung, wie es ist, sich schwer zu verletzen.
McGrath: Im vergangenen Jahr war es umgekehrt. Ich habe mich bei der WM am Knie verletzt und Aleks hat seine erste Medaille geholt. Er war ganz oben und ich ganz unten. Jetzt sind die Rollen vertauscht. Ich weiß genau, wie es sich anfühlt, und das hat es in Wengen auch schwierig gemacht. Aleks' Verletzung hat alles an diesem Tag relativiert. Ich habe im zweiten Durchgang gedacht: Du bist gesund, du bist in Führung, genieße es. Fast hätte ich gewonnen. Der ganze Tag war speziell.
"Wenn du verletzt bist, realisierst du, dass dich die Leute, die ganze Ski-Welt, schnell vergisst. Es fühlt sich an, als ob alles einfach so weitergeht, als wäre nichts passiert."
LAOLA1: Wie geht man damit um, wenn sich einer der besten Freunde so schwer verletzt?
McGrath: Ich versuche, Aleks alles zurückzugeben, was er mir damals gegeben hat. Wenn du verletzt bist, realisierst du, dass dich die Leute, die ganze Ski-Welt, schnell vergisst. Es fühlt sich an, als ob alles einfach so weitergeht, als wäre nichts passiert. Ich habe in den ersten Wochen nach meiner Verletzung nicht so viel Unterstützung bekommen. Aleks war damals derjenige, der mir nach zwei Wochen, einem Monat, zwei Monaten immer noch regelmäßig Nachrichten schickte. Ich weiß, dass Aleks jetzt eine Menge Unterstützung bekommt, aber ich versuche, ihm regelmäßig zu texten, mit ihm zu FaceTimen und ihn zu unterstützen, ohne dass es zu viel wird. Ich hoffe, ich kann ihn bald sehen und persönlich mit sprechen, das wäre wirklich schön.
LAOLA1: Du sagst, man wird schnell vergessen, wenn man verletzt ist. Hattest du dieses Gefühl auch während der WM, als die anderen um Medaillen gefahren sind und du zu Hause gelegen bist?
McGrath: Ich hätte in der Kombination fast eine Medaille geholt und bin dann im Super-G gestürzt, noch vor meinen besten Disziplinen Riesentorlauf und Slalom. In der einen Woche fährst du um Medaillen mit, in der nächsten liegst du auf dem OP-Tisch, ich wurde während des zweiten Durchgangs des WM-Riesentorlaufs operiert. Man wird dann ziemlich schnell vergessen, das ist schon sehr hart. Aber es ist Teil des Spiels, so ist der Sport manchmal, es geht immer weiter und das ist auch gut so. Es hört ja nicht alles im Leben auf, nur weil man verletzt ist. Hin und wieder fühlte es sich aber ziemlich hoffnungslos an.
LAOLA1: Kann man etwas dagegen tun, sich vergessen zu fühlen?
McGrath: Ich glaube nicht, dass man etwas dagegen tun kann. Das Einzige, was man tun kann, ist, es zu akzeptieren. Man muss sich eingestehen, dass das der Tiefpunkt ist, denn genau so fühlt es sich an. Erst dann kann man weitermachen und sich weiterentwickeln. Es ist wie eine Achterbahn.
LAOLA1: Weißt du deine Erfolge jetzt mehr zu schätzen, als vor deinen Verletzungen?
McGrath: Ja, 100-prozentig! Man muss manchmal am Tiefpunkt sein, bevor man wirklich genießen kann, was man jetzt hat. Ich bin einfach froh, dass ich gesund bin und Skifahren darf. Das relativiert dann oft auch Ergebnisse. Ich versuche mich bei Rennen auch manchmal umzuschauen und sehen, wie privilegiert ich bin, dass ich das machen darf. Wenn man zu fokussiert auf das Rennen ist, kann man es nicht genießen.
"Ich wünsche mir, dass Lucas wieder zurück in den Weltcup kommt, denn niemand pusht mich beim Skifahren so sehr wie er."
LAOLA1: Du hast gesagt, Aleks ist einer deiner besten Freunde im Team. Lass uns auch über Lucas Braathen sprechen. Ihr wurdet oft als "Zwillinge" bezeichnet. Vermisst du ihn?
McGrath: Ich vermisse Lucas. Wir waren zwei Wochen vor seinem Rücktritt bei einem Trainingscamp in Norwegen und haben uns drei Stunden lang unterhalten. Es war ein allgemeines Gespräch über das Leben und da habe ich irgendwie gespürt, dass etwas wirklich nicht in Ordnung war. Als er mir dann erzählt hat, dass er aufhört, war ich wirklich traurig, aber ich habe es auch irgendwie verstanden. Es ist immer traurig, wenn sich jemand entscheidet, das Team zu verlassen, wir sind wie kleinen Familie. Aber ich habe ihn ja nicht als Freund verloren. Wir sprechen oder schreiben viel.
LAOLA1: Hat sich eure Beziehung seit Lucas Rücktritt verändert?
McGrath: Ja. Wir sehen uns natürlich nicht mehr so oft wie früher, aber die Dynamik ist noch immer da. Es ist immer schön, mit ihm zu sprechen. Wir haben in Wengen zwischen den Durchgängen telefoniert. Er hat mir Tipps gegeben und nach dem Rennen geschrieben, dass er stolz auf mich ist. Es fühlt sich so an, als hätte ich ihn noch immer bei mir. Er ist jetzt sowas wie mein größter Fan. Unsere Beziehung zueinander ist jetzt auf jeden Fall einfacher zu handhaben, denn wir sind sehr gute Freunde und waren früher gleichzeitig die größten Konkurrenten. Jetzt können wir einfach nur Freunde sein, was auch schön ist. Es ist ein bisschen entspannter geworden.
LAOLA1: Wie wichtig war eure Freundschaft, als ihr 2021 beide zur gleichen Zeit verletzt wart?
McGrath: Es ist schwer zu beschreiben, wie wichtig das war. Das war der größte Unterschied zwischen meiner ersten Verletzung und der im Vorjahr. Als Lucas und ich zur gleichen Zeit verletzt waren, haben wir uns jeden Tag gesehen. Wir haben uns gegenseitig gepusht, das war sehr wichtig. Wir sind beide sehr gewachsen in dieser Zeit. Letztes Jahr war es dann ganz anders, ich war verletzt und Lucas hat die Slalom-Kugel gewonnen. Das war für mich eine große mentale Herausforderung. Er hat mich natürlich sehr unterstützt, aber es war trotzdem sehr schwer für mich. Ich wünsche mir, dass Lucas wieder zurück in den Weltcup kommt, denn niemand pusht mich beim Skifahren so sehr wie er.
LAOLA1: Du musst es ja wissen: Kommt er zurück? Fährt er künftig für Brasilien?
McGrath (schmunzelt): Er liebt Skifahren, aber er liebt es auch, was er jetzt macht. Also lasse ich ihn machen, was er will.
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