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Schütter: "Wen interessiert bei einer Hungersnot Skifahren?"

Skiprofi & Aktivist Julian Schütter erklärt, warum er seine Karriere trotz Klima-Krise nicht beendet hat und welchen Denkfehler seine Kritiker haben. Interview:

Schütter: Foto: © GEPA

20. Jänner 2023, Kitzbühel-Abfahrt. 

Julian Schütter ist bei seinem ersten Weltcup-Antritt auf der Streif mit Startnummer 49 und starken Zwischenzeiten auf dem Weg zu einem Topergebnis, wird nach dem schweren Sturz eines Läufers vor ihm aber abgewunken. Der Steirer darf sich ein zweites Mal die Streif hinunterstürzen und belegt Rang 48. 

21. Jänner 2023, Hahnenkamm-Abfahrt. 

Julian Schütter leistet sich bei der zweiten Abfahrt in Kitzbühel einen zunächst harmlos aussehenden Ausrutscher ins Fangnetz. Die fatalen Folgen: Kreuzbandriss und Meniskusverletzung. 

12. Februar 2023, Ski-WM in Courchevel. 

Julian Schütter hat sich auf Krücken nach Frankreich aufgemacht, um der FIS einen offenen Athleten-Brief zu übergeben. Der Inhalt: Die Forderung nach konkreten Klimaschutz-Maßnahmen des Ski-Weltverbandes. Mittlerweile haben 500 Wintersportler seine Petition unterschrieben, bis hin zu Superstars wie Mikaela Shiffrin

Schütter ist bekennender Klima-Aktivist - und Skirennfahrer. Eine Mischung, die für viele nicht zusammenpasst. "Wieso sollte ich mich nicht für das Überleben meiner Sportart einsetzen dürfen", entgegnet der 25-Jährige seinen Kritikern. 

Warum die meisten Kritiker, die ihm Doppelmoral vorwerfen, einen Denkfehler haben und warum er seine Ski-Karriere trotz der Klima-Krise noch nicht beendet hat, erklärt Schütter im LAOLA1-Interview.

Außerdem malt der Abfahrer Szenarien für die Zukunft des Skisports und erzählt, warum er jetzt einer von jenen Skifahrern ist, zu denen er früher aufgeschaut hat. 

"Ich habe kein Problem damit, dass ich mehr als Klimaaktivist denn als Skifahrer bekannt bin."

Julian Schütter

LAOLA1: Wie geht es dir nach deinem Kreuzbandriss im Jänner?

Julian Schütter: Ganz gut, ich mache gute Fortschritte im Kondi-Training. Es ist noch nicht 100 Prozent so wie vorher, aber für die Zeit, die jetzt vergangen ist, stehe ich ganz gut da.

LAOLA1: Wann willst du wieder auf Ski stehen?

Schütter: Ich werde wahrscheinlich in drei Wochen das erste Mal auf Schnee gehen, aber erst einmal nur rutschen. Wenn es gut läuft, wäre der Plan, dass ich Anfang November nach Amerika gehe und dort das Trainingscamp in Copper Mountain mitmache. Wenn es gut geht, werde ich dann vielleicht in Beaver Creek die Quali fahren. Ich bin optimistisch, dass die Saison gut werden kann.

LAOLA1: Optimismus ist ein gutes Stichwort. Es war deine erste Saison im Weltcup und dann gleich die Verletzung. Wie schwer war das zu verdauen?

Schütter: Es ist das erste Mal, dass ich so eine langwierige Verletzung habe. Die Sachen davor waren meistens so nach vier bis sechs Wochen erledigt, jetzt dauert es schon fast acht Monate. Aber ich habe es eigentlich von Anfang an ganz gut weggesteckt und mich gut darauf eingestellt, dass ich mehr Zeit mit Reha und Kondi-Training verbringen werde. Ich habe jetzt nicht das Gefühl, dass ich gerade einen großen Leidensweg gehe. Ich bin gerne in der Kraftkammer, gehe gern Radfahren. Das mache ich gerade hauptsächlich. Mittlerweile ist es ein normaler Kraft-Aufbau, den man jedes Jahr im Sommer macht.

LAOLA1: Du hast zuletzt ganz stolz deinen Rennanzug mit deinem Namen darauf gezeigt. Warum bedeutet dir das so viel?

Schütter: Das ist ein bisschen ein Symbol für mich. Daran sehe ich, dass ich in den letzten Jahren schon etwas richtig gemacht habe, dass ich gar nicht so schlecht bin. Dass ich jetzt zu diesen wenigen österreichischen Skifahrern gehöre, die einen eigenen, angepassten Rennanzug kriegen, bedeutet mir schon einiges. Ich kann mich noch erinnern, wie ich früher zu diesen Leuten aufgeschaut habe.

LAOLA1: Wolltest du schon immer Skirennfahrer werden?

Schütter: Ich habe schon seit meiner Kindheit davon geträumt. In der Volksschule wollte ich unbedingt in die Skihauptschule gehen, mit dem Ziel vor Augen, Skirennfahrer zu werden. Es war vielleicht lange nicht so konkret, aber mit der Zeit ist das immer realistischer geworden. Ich will so gut werden, wie ich kann. Ich will das Beste aus mir rausholen. Das ist mein Hauptziel.

LAOLA1: Du hast im vergangenen Winter fast mehr Schlagzeilen mit deinem Einsatz für den Klimaschutz geschrieben als mit dem Skifahren selbst. Hättest du mit so viel Aufmerksamkeit gerechnet?

Schütter: Ich habe es schon für möglich gehalten, dass meine Reichweite höher wird, weil ich mich für den Klimaschutz einsetze. So ist es auch gekommen. Ich war mit meinen sportlichen Leistungen zwar sehr zufrieden, aber normalerweise hat man mit solchen Leistungen jetzt nicht so die große mediale Aufmerksamkeit, wie ich sie hatte. Ich habe kein Problem damit, dass ich mehr als Klimaaktivist denn als Skifahrer bekannt bin. Ich arbeite aber weiterhin daran, dass ich auch als Skifahrer noch bekannter werde.

"Ich habe sehr mit mir selbst gekämpft, weil ich mein Lebensziel vor mir selbst nicht mehr rechtfertigen konnte. Ich war dann schon kurz davor, dass ich meine Karriere deswegen beende."

Schütter über sein beinahes Karriere-Ende

LAOLA1: Wann hast du angefangen, dich für den Klimaschutz einzusetzen? Hat es ein bestimmtes Ereignis gegeben oder ist es vielleicht auch ein bisschen das schlechte Gewissen wegen des Skifahrens?

Schütter: In meiner persönlichen Entwicklung ist mir das Thema Klimaschutz oft untergekommen. Als ich acht, neun Jahre alt war und wir mit dem lokalen Verein am Dachstein-Gletscher trainiert haben, hat mir mein Trainer erklärt, wie weit der Gletscher früher mal rauf gegangen ist und wie weit der Schnee bei den Betonfundamenten der Lifte gereicht hat. Ich habe mir damals schon gedacht, dass das irgendwie komisch ist, aber ich habe es halt noch nicht einordnen können und nicht gewusst, dass es der Klimawandel ist. Ich denke schon, dass mich das geprägt hat. Letzten Herbst wurden dort übrigens die Lifte abgebaut, weil der Gletscher mittlerweile zu klein für den Skibetrieb ist. Ich habe dann während der Schulzeit immer wieder darüber gelernt. Je mehr ich darüber erfahren habe, desto hilfloser habe ich mich gefühlt. Wenn es wirklich so schlimm ausschaut, wieso tut da niemand was? – habe ich mich gefragt. Im Herbst 2019 hat es einen Moment gegeben, in dem ich das auch emotional realisiert habe, was da eigentlich auf uns zukommt. Ich habe dann sehr mit mir selbst gekämpft, weil ich mein Lebensziel bzw. meinen eigenen ökologischen Fußabdruck vor mir selbst nicht mehr rechtfertigen konnte. Ich war dann schon kurz davor, dass ich meine Karriere deswegen beende.

LAOLA1: Warum hast du es nicht gemacht?

Schütter: Ich habe mit meiner Sport-Psychologin zusammen einen Weg aus der Situation gefunden, indem ich mir vorgenommen haben, gut im Skifahren zu werden, um dann meine Reichweite zu nutzen, um über das Thema Klimaschutz zu informieren. Das ist seit drei, vier Jahren mein täglicher Antrieb und meine Kernmotivation, ins Training zu gehen und im Skifahren besser zu werden. Damit ich mit meinem Aktivismus hoffentlich mehr gutmachen kann, als ich Schaden anrichte.

LAOLA1: Deine ÖSV-Kollegen sind gerade beim Trainingscamp in Südamerika, wo Ende Juli Hitzerekorde von über 30 Grad gemessen wurden, obwohl dort gerade Winter ist. Wie stehst du zu diesen Trainingscamps in Übersee?

Schütter: Wenn ich nicht verletzt wäre, wäre ich sicher mitgeflogen. Ich werfe dem Team überhaupt nichts vor. Diese Camps sind ein sehr wichtiger Bestandteil der Saisonvorbereitung. Dadurch, dass die Saison so früh anfängt, hat man keine Möglichkeit, die Trainingsqualität in Europa irgendwo hinzubekommen. Deswegen wäre es ein krasser Wettbewerbsnachteil, wenn man das Camp nicht machen würde.

LAOLA1: Muss man angesichts der immer schwierigeren Trainingsbedingungen im Sommer und Herbst die Ski-Saison zeitlich neu „vermessen“?

Schütter: Ja, das denke ich schon. Es wäre gescheiter, wenn man die Ski-Saison bzw. die Renn-Saison mal an die Jahreszeit anpassen würde. Der Weltcup-Auftakt in Sölden ist immer im Oktober, aber im Oktober war noch nie Winter. Die ersten Rennen Mitte, Ende November wären früh genug. Dadurch würde man auch ein bisschen den Druck nehmen, dass man sich in Übersee auf die Saison vorbereiten muss und somit würden sich auch die Emissionen des ganzen Skizirkus reduzieren.

"Viele fürchten sich vor negativen Konsequenzen seitens der Verbände oder Sponsoren. Viele fürchten sich sicher auch vor dem Vorwurf der Doppelmoral."

Schütter würde sich mehr Unterstützung von anderen Sportlern wünschen

LAOLA1: Hat dein offener Brief an die FIS etwas gebracht? Hast du das Gefühl, du wirst ernst genommen?

Schütter: Eine Forderung war ja, dass eine Nachhaltigkeits-Abteilung eingerichtet wird, weil es bis vor Kurzem dafür noch nicht mal eine Ansprechperson bei der FIS gegeben hat. Im Mai wurde Susanna Sieff als Nachhaltigkeits-Direktorin der FIS eingestellt. Das sehe ich schon als direkte Konsequenz aus dem offenen Brief. Sie wirkt mal motiviert und als würde sie wissen, wovon sie redet. Ich hoffe, dass sich dadurch die Nachhaltigkeitspolitik der FIS verändert.

LAOLA1: Hattest du schon mal persönlich Kontakt mit FIS-Präsident Johan Eliasch?

Schütter: Persönlich noch gar nicht, nein.

LAOLA1: Würdest du dir mehr Rückhalt aus der Ski-bzw. der Wintersport-Szene wünschen, dass andere auch mal laut werden?

Schütter: Bei dem Thema kann man gar nicht zu laut sein. Ich würde es sehr begrüßen, wenn da auch andere ihre Stimmen erheben würden.

LAOLA1: Warum passiert das nicht?

Schütter: Ich glaube, viele fürchten sich vor negativen Konsequenzen seitens der Verbände oder Sponsoren. Viele fürchten sich sicher auch vor dem Vorwurf der Doppelmoral. Die Kritik kriege ich ja auch zu hören, dass ich mich nicht zu dem Thema äußern sollte, solange ich noch als Skifahrer um die Welt reise. Ich glaube, damit hadern viele.

LAOLA1: Du machst vor, dass es trotzdem möglich ist.

Schütter: Es ist ja auch ein kompletter Denkfehler. Wieso sollte ich mich nicht für das Überleben meiner Sportart einsetzen dürfen? Generell wäre es ein Blödsinn, wenn nur jemand ein Thema ansprechen dürfte, der in dem Bereich schon perfekt ist. Niemand ist perfekt. Dann würde sich erst wieder nichts ändern, wenn nur die perfekten Leute  - die es nicht gibt – was sagen dürften.

"Es werden wahrscheinlich einzelne Strecken wegfallen, die einfach zu niedrig gelegen sind, um Schnee zu produzieren. Zum Beispiel Kitzbühel."

Julian Schütter über die Zukunft des Ski-Weltcups

LAOLA1: Ich habe gelesen, du bist sogar ein bisschen stolz darauf, dass du Hater hast. Warum?

Schütter: Unter Hater verstehe ich Menschen, die man in Kommentarspalten findet, die überhaupt nicht auf Argumente eingehen und nur mich als Person angreifen. Darin sehe ich eine Bestätigung, dass ich irgendetwas richtig mache. Würde es die nicht geben, würde mir keiner zuhören. Dann würde ich nichts bewirken. An den Hatern erkenne ich, dass ich doch hin und wieder einen Nerv treffe.

LAOLA1: Du bist jetzt 25, hättest als Abfahrer also noch einige gute Jahr vor dir. Wird es den Ski-Weltcup in der jetzigen Form in fünf oder zehn Jahren noch geben?

Schütter: Ich denke schon, ja. Prinzipiell wird‘s den Sport schon noch ein paar Jahrzehnte geben. Es werden wahrscheinlich einzelne Strecken wegfallen, die einfach zu niedrig gelegen sind, um Schnee zu produzieren. Da sind leider ein paar Klassiker dabei wie zum Beispiel Kitzbühel. Aber es wird auf jeden Fall möglich sein, den Sport weiterhin zu betreiben. Wir werden halt in höhere Lagen ausweichen müssen und ein bisschen kreativer werden, was Disziplinen und Wettkampfmodus angeht. Es wird vielleicht mehr Sprint-Abfahrten geben, weil die Strecken nicht mehr so lang sind. Die Frage ist aber eher: Können und wollen wir es uns dann überhaupt noch leisten, diesen Aufwand zu betreiben im Angesicht der großen Probleme, die da auf uns zukommen?

LAOLA1: An welches Szenario denkst du?

Schütter: Die Prognosen besagen, dass zwischen 2040 und 2050 die Zwei-Grad-Grenze bei der globalen Erhitzung überschritten wird. Die Wissenschaft sagt eindeutig, dass da unsere Anpassungskapazitäten nicht mehr ausreichen werden. Das bedeutet konkret, dass es Wassermangel und Hungersnöte geben wird, davor sind wir in Europa auch nicht gefeit. Wen interessiert’s während einer Hungersnot, wer Ski-Weltmeister wird? Niemanden.

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