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Was sich bei einem Sturz auf der Streif abspielt

"Der menschliche Körper ist nicht für Stürze gemacht", sagt der Rennarzt der Streif. Wenn es doch passiert, müssen oft 150-Kilo-Muskelpakete gebändigt werden.

Was sich bei einem Sturz auf der Streif abspielt Foto: © GEPA

Der Mythos Streif – Er wurde über Jahrzehnte durch spektakuläre Rennen, aber auch fatale Stürze geformt.

Beim Gedanken an die schweren Unfälle von Daniel Albrecht (2009) und Hans Grugger (2011) zuckt man heute noch zusammen. Kreuzbandrisse sind mittlerweile Standard-Verletzungen. Die jüngsten beiden Opfer heißen Felix Hacker und Jacob Schramm

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Wenn Athleten wie Marionetten durch die Luft geschleudert werden und anschließend auf der pickelharten Piste aufschlagen, wenn Knochen brechen wie dünne Äste und Kreuzbänder schon ohne Sturz reißen, stellt man sich unweigerlich die Frage: Ist der menschliche Körper überhaupt dafür gemacht, mit 150 km/h auf Skiern einen Berg herunterzurasen?

"Er scheint offensichtlich dafür gemacht zu sein, zumindest bei den Ausnahme-Athleten. Wofür er sicher nicht gemacht ist, ist dabei zu Sturz zu kommen", sagt Dr. Helmuth Obermoser, der verantwortliche Rennarzt in Kitzbühel.

"Ein Sturz ist unphysiologisch. Es wirken enorme Kräfte, denen der Körper zum Teil nicht Stand hält. Es sind negative Beschleunigungskräfte, die in einer sehr kurzen Zeit passieren und dadurch am Gewebe des menschlichen Körpers Schäden verursachen, wenn sie nicht durch Protektoren abgefedert werden."

Selbst ein Helm schützt oft vor schweren Verletzungen nicht. "Der schützt zwar den Knochen, aber das Hirn bewegt sich innerhalb des Schädels enorm, was zu schweren Kopfverletzungen führen kann. Das gehört leider zur Realität eines jeden Skirennens", so der Mediziner.

"Es ist gar nicht so einfach, 150-Kilo-Muskelpakete in Zaum zu halten"

Obermoser ist wie einst sein Vater seit über zehn Jahren als Arzt auf der Streif im Einsatz.

Auf der über drei Kilometer langen Strecke sind an acht neuralgischen Stellen wie der Mausefalle, dem Steilhang oder der Hausbergkante insgesamt zehn Ärzte verteilt, unterstützt werden sie von der Bergrettung und der Pisten-Crew.

"Wenn es zu einem Unfall mit schweren Verletzungen kommt, steht nicht die Diagnosefindung im Vordergrund, wir sind an der Strecke Erstversorger. Es geht darum, dem Patienten seine Schmerzen zu nehmen und ihn für den Hubschrauber-Transport vorzubereiten", erklärt Obermoser.

Alle Verunfallten, die nicht selbst auf Skiern ins Tal fahren können, werden auf der Streif ausnahmslos mit dem Hubschrauber geborgen. Vom Sturz bis zum Abtransport mit dem Helikopter dauert es oft keine zehn Minuten, abhängig von der Schwere der Verletzung.

Mit das wichtigste für die Ärzte ist, den Unfallhergang zu beobachten. "Das stellt den Großteil unserer Informationen dar, bevor wir zum Athleten kommen."

Das Sturz-Opfer steht meist unter Schock. "Oft spürt der Läufer die Verletzung gar nicht, weil er so unter Adrenalin steht – schwere Verletzungen natürlich ausgenommen. Bei Gehirnerschütterungen reagieren die Sportler teilweise absurd, kennen sich nicht mehr aus und wollen unbedingt selbst ins Tal fahren. Oft ist es gar nicht so einfach, solche 150-Kilo-Muskelpakete in Zaum zu halten", berichtet Obermoser.

"Man weiß nicht, wann etwas passiert oder wen es trifft"

Auf der Streif ist die Anzahl der lebensbedrohlichen Verletzungen in den vergangenen Jahren zurückgegangen. Zum Großteil handelt es sich um Verletzungen der Extremitäten. Das hängt mitunter mit der "Entschärfung" einiger Streckenabschnitte zusammen.

Dr. Obermoser und sein Team treten dennoch jeden ihrer Dienste am Hahnenkamm in dem Wissen an, dass etwas passieren kann.

"Richtig angespannt ist aber niemand, man weiß ja nicht, wann etwas passiert oder wen es trifft. In den ersten Minuten nach einem Sturz läuft alles nach einem standardisierten Schema ab. Selbst die schweren Schädel-Hirn-Traumata laufen nach einem Schema ab, um zuerst die lebenswichtigen Funktionen aufrechtzuerhalten. Dann kümmert man sich der Wichtigkeit nach geordnet um die nächsten Anliegen. Es dauert ja nicht lange, bis der Helikopter kommt, bis dahin sollte man den Patienten so weit stabilisiert haben, dass er transportfähig ist", erklärt Dr. Obermoser.

Das Ärzte-Team der Streif erkundigt sich regelmäßig nach ihren Patienten. "Natürlich interessiert es uns, wie es weitergeht. Wir freuen uns, wenn es gut ausgegangen ist."

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