"Der Schrecken der Streif, den ich die ersten Jahre hatte, der ist verflogen."
Daniel Hemetsberger hat sich schon bei der Anreise nach Kitzbühel Anfang der Woche wohl in der Gamsstadt gefühlt. Dieses Gefühl setzte sich auf der Strecke nur bedingt fort.
Nach einer Schrecksekunde in der Traverse belegte der Oberösterreicher in der ersten Abfahrt auf der Streif am Freitag nur Platz 33, 1,65 Sekunden hinter Teamkollege und Sieger Vincent Kriechmayr.
Hemetsberger drückte es in der Querfahrt gefährlich nach hinten, dabei verlor er die Ideallinie. "Da habe ich richtig Glück gehabt, dass ich jetzt da stehen kann. Und im Mittelteil habe ich einfach zu viel verloren", analysierte der Vorjahres-Dritte am Freitag sichtlich enttäuscht. "Das tut richtig weh."
Da wusste er noch nicht, dass er wenig später tatsächlich Schmerzen haben wird. Nach dem Zwischenfall in der Traverse schwoll das rechte Knie an.
"Ich habe fast gar nicht geschlafen"
Noch am Freitagabend wurde das Knie drei Stunden lang therapiert, Schmerzmittel brachten nicht den gewünschten Effekt. "Ich habe sehr schlecht, oder besser gesagt fast gar nicht geschlafen, weil mein Knie beim Liegen wehgetan hat", berichtet Hemetsberger nach der zweiten Abfahrt am Samstag.
Er habe zwar vom Team-Arzt und den Physiotherapeuten grünes Licht für ein neuerliches Antreten auf der Streif erhalten, aber "vor dem Start habe ich mich gefragt, ob das Knie hält", erzählt er.
"Ich hatte ca. zwei Meter Tape am Fuß, damit es auch für den Kopf Sicherheit gibt", sagt Hemetsberger. "Ich hätte es spätenstens nach der Mausefall im U-Hakerl gespürt, wenn das Knie nicht gehalten hätte. Von dort weg bin ich dann auch mit mehr Engagement gefahren, aber halt nicht mit vollem Risiko. Es war eine ansprechende Fahrt, angesichts der Umstände bin ich mehr als zufrieden", sagt Hemetsberger nach seinem achten Platz (Ergebnis der 2. Kitzbühel-Abfahrt).
Hemetsberger ist "ziemlich schmerzbefreit"
An Einsatz und Überwindung fehlt es bei Hemetsberger fast nie. Der Oberösterreicher ist selbst unter den mutigen Abfahrern ein "wilder Hund".
Tut er sich auf Strecken, wo Feingefühl gefragt ist, noch schwer, liegen ihm anspruchsvolle Pisten wie in Kitzbühel umso mehr.
"Ich kann mich sehr gut überwinden, wenn es wo richtig bergab geht, unruhig und eisig ist. Da bin ich in einer gewissen Wohlfühlzone", sagt Hemetsberger.
Schon in seiner Jugend ist er ein Draufgänger gewesen. Beim Skifahren im heimischen Oberösterreich hat er des Öfteren Bekanntschaft mit den Bäumen neben der Strecken gemacht.
"Ich war als Kind auch schon ziemlich schmerzbefreit", schmunzelt Hemetsberger und erzählt von Duellen mit seinem jüngeren Bruder. "Ich bin von Anfang an ein ziemliches Renn-Tier gewesen. Das hat mich sicher für die Welt als Profisportler gestärkt. Ich habe einen eisernen Willen, was das Gewinnen betrifft. Ich bin aber auch ein Spinner, wenn ich verliere."
Nach 4 Kreuzbandrissen: "Jetzt ist es auch schon egal"
Weit weg vom Gewinnen war Hemetsberger in seiner Karriere schon oft. Vier Mal hat sich der mittlerweile 31-Jährige bereits das Kreuzband gerissen. Das letzte Mal im Dezember 2018 bei einem Sturz in Bormio.
"Da habe ich wirklich die Nerven geschmissen. Da bin ich im Netz gesessen und habe gesagt: Es interessiert mich nicht mehr. Es geht mir auf die Nerven, dass ich mir gefühlt jedes Jahr wehtue", blickt Hemetsberger zurück.
Und doch rappelte er sich noch einmal auf und nahm das Comeback in Angriff. "Im Krankenhaus habe ich gesagt: Meine Knie sind eh schon kaputt, jetzt ist es auch schon egal, ich probiere es nochmal. Ich habe dann in der Reha nochmal alles reingehaut."
Die Mühen haben sich ausgezahlt. Im März 2020 holte Hemetsberger, der 2018 in Kitzbühel sein Weltcup-Debüt feierte, seine ersten Weltcup-Punkte. 2021 fuhr er auf der Streif erstmals in die Top Ten.
"Österreich und ich selbst haben einen höheren Anspruch"
Auch seine Podestpremiere fand in Kitzbühel statt, Hemetsberger heimste im Vorjahr als Dritter seine erste Gams ein. Zum Auftakt der aktuellen Saison fuhr der Oberösterreicher in Lake Louise auf Rang zwei, nur sechs Hundertstel fehlten ihm auf seinen ersten Weltcupsieg.
An dieses Ergebnis konnte Hemetsberger im Laufe des Winters nie mehr so richtig anschließen, zwei elfte Plätze waren (bis Kitz) das höchste der Gefühle.
"Die letzten Rennen waren nicht so der 'burner', damit bin ich auch nicht zufrieden. Ich bin jetzt in meiner zweiten guten Saison, da ist es immer schwierige, die Leistungen zu bestätigen. Ich habe an mich selbst hohe Erwartungen, das macht mich unentspannter, obwohl ich weiß, dass ich es kann. Das ist für mich gar nicht so eine leichte Situation. Österreich und ich selbst haben einen höheren Anspruch."
Leistungsträger? "Ich bin selbst noch grün hinter den Ohrwaschln"
Durch den Rücktritt von Matthias Mayer und einigen verletzungsbedingten Ausfällen ist Hemetsberger im ÖSV-Speed-Team abrupt zur Nummer zwei hinter Vincent Kriechmayr aufgestiegen.
"Ich sollte die zweite Kraft sein und würde gerne näher zum Vinc aufschließen. Wenn man einer der Leistungsträger sein soll, sollte man auch seine Leistung bringen", meint Hemetsberger selbstkritisch.
Der Oberösterreicher gibt aber auch zu, dass er in die Rolle des Leistungsträgers und Mentors für die jüngeren Läufer noch nicht ganz hineingewachsen ist. Schließlich habe er durch seine Verletzungen selbst noch nicht so viel Erfahrung.
"Wenn ich es ganz objektiv betrachte, ist es schon eine gewisse Überforderung. Ich bin ja selbt noch nicht so lange dabei. Ich habe es die letzten zwei, drei Jahre zum Glück geschafft, dass ich einen guten Schritt mache und jetzt die „Nummer 2“ im Team bin. Durch den Rücktritt vom Matthias ist das aber fast ein bisschen zu schnell gegangen", gibt Hemetsberger zu.
Er versuche den jüngeren Teammitgliedern zu helfen, wo immer es geht, "aber mir fehlt teilweise selbst noch die Erfahrung. Das macht es für mich schon auch schwierig. Ich würde gerne so eine richtige Leaderrolle übernehmen, aber ich bin selbst noch grün hinter den Ohrwaschln".
Einer der Teamleder zu sein und sich gleichzeitig darauf zu konzentrieren, "dass ich selber keinen Schas baue", sei nicht immer einfach. "Denn ich habe auch große Ziele", sagt Hemetsberger, "ich will aufs Podest und auch gewinnen".