Fragt man Marco Büchel, was sein Highlight der Ski-Saison ist, kommt es wie aus der Pistole geschossen: Kitzbühel!
2008 gewann der Liechtensteiner den Super-G auf der Streif. Gefeiert wurde standesgemäß im Kult-Klub Londoner.
Warum Büchel in seiner aktiven Zeit immer ein Bier im Zielraum "versteckt" hatte, warum er ein Comeback ausschließt und was er im Skisport ändern würde, erzählt der 53-Jährige im Interview:
Frage: Für dich ist Kitzbühel DAS Highlight des Winters. Warum?
Marco Büchel: Kitzbühel ist – mit allem drum und dran – der Heilige Gral. Das ist das Wimbledon oder Monaco des Skisports. Ich liebe es. Natürlich freue ich mich auch auf die WM in Saalbach. Da schließt sich ein Kreis, ich war damals 1991 bei der WM in Saalbach dabei.
"Im Rückblick ist immer alles schöner gewesen, als es wirklich war. Ich will die Erinnerung nicht kaputt machen, weil ich weiß, wie hässlich es auch sein kann."
Frage: Du hast deine Ski-Karriere 2010 beendet. Comebacks sind aktuell im Trend – hast du nicht auch Lust?
Büchel: Ich habe das Kapitel mit meinem Rücktritt abgeschlossen. Die Herausforderung brauche ich nicht mehr. Im Rückblick ist immer alles schöner gewesen, als es wirklich war. Ich will die Erinnerung nicht kaputt machen, weil ich weiß, wie hässlich es auch sein kann. Es sollen die schönen Gedanken überwiegen.
Frage: Vermisst du den Adrenalin-Rausch gar nicht?
Büchel: Ich habe mich zwei Jahre nach meinem Rücktritt als Vorläufer in Wengen gemeldet. Ich wollte das Gefühl nochmal spüren. Ich habe zwei Fahrten gemacht und gedacht: Danke, das war‘s. Ich habe alles, was gefährlich ist, mit meinem Rücktritt aufgegeben. Ich war früher Fallschirmspringer, Basejumper und Abfahrer. Mit all dem hab‘ ich 2010 aufgehört. Ich fahre noch Motorrad, aber eher die langsame Sorte. Mein großes Hobby ist Tontaubenschießen. Das fasziniert mich und die Fotografie – alles altersadäquat (lacht).
Frage: Und du liebst Bier, wie man hört.
Büchel: Was die Wenigsten wissen: Als ich noch aktiv war, hatte ich im Zielraum in meinen Turnschuhen immer eine Dose Bier deponiert. Wenn ich nicht geführt habe und zum Leaderboard musste, bin ich ins Material-Kontrollzelt, wo man die Skischuhe auszieht, und habe in Ruhe meine Dose Bier getrunken. Ich liebe Bier, ich stehe dazu.
Frage: In der heutigen Zeit ist das für einen Sportler wohl undenkbar.
Büchel: Ich war auch damals schon die Ausnahme. Sorry, aber ich habe gerade mein Leben riskiert, ich hab‘ Feierabend, ich mag jetzt ein Bier. Ich habe es ja nicht vor der Kamera getrunken, sondern eher still und leise, aber ich habe mir das gegönnt.
Frage: Ging es im Skisport früher viel lockerer zu als jetzt?
Büchel: In der Zeit vor mir war es noch gelöster. Als ich in den Weltcup kam, gab es noch keine Handy-Kameras. Da konnten wir schon auch mal feiern und es gab keine "Beweise". Wenn du dich jetzt ein bisschen danebenbenimmst, geht es in die Welt hinaus. Von daher beneide ich die jetzige Generation nicht. Marco Odermatt und Cyprien Sarrazin haben in Kitzbühel im vergangenen Jahr trotzdem im Londoner gefeiert, das soll auch so sein.
"Was wir brauchen, sind Figuren, mit denen man sich identifizieren kann oder die polarisieren."
Frage: Du bist als Experte nahe dran am Ski-Weltcup. Was braucht der Sport, um auch in Zukunft noch interessant zu sein?
Büchel: Der Skirennsport gehört zur Unterhaltungsbranche. Wir unterhalten die Menschen im Ziel oder vor den Fernsehern. Wir unterhalten sie mit Emotionen. Was wir brauchen, sind Figuren, mit denen man sich identifizieren kann oder die polarisieren. Figuren, denen man die Daumen drückt oder denen man den Sieg gar nicht wünscht. Man braucht keine Athleten, die dauerhaft sagen: Schau‘ ma mal, dann werd‘ ma schon sehen, ich geb mein Bestes. Du brauchst Athleten, die auch mal frech sind, sich aus dem Fenster lehnen und sagen: Heute fahre ich aufs Podest. Manuel Feller, Marco Odermatt – das sind Charaktäre. Solche Menschen braucht der Sport. Das ist mal das eine.
Frage: Und das andere?
Büchel: Gewisse Formate sind seit der Gründung des Weltcups 1966 unverändert: Slalom, Riesentorlauf, Abfahrt. Ich denke, dass ein Facelift schon mal angebracht wäre. Nur mehr Ski-Fanatiker schauen um neun Uhr morgens den ersten Durchgang und um 13 Uhr den zweiten Lauf. In Deutschland wird der erste Lauf gar nicht mehr übertragen. Der 2. Lauf ist wiederum spannend, weil es in umgekehrter Reihenfolge geht. In der Abfahrt darf es nie passieren, dass die Startnummer 70 gewinnt. Sportlich gesehen ist es vielleicht eine traumhafte Geschichte, aber Fernseh-technisch ist das der Supergau. Es gibt schon Möglichkeiten, etwas zu ändern. Ich finde, es wäre an der Zeit.