Es war einmal eine Abfahrts-Nation, die hieß Österreich.
Die Älteren unter uns erinnern sich nur zu gerne an den legendären ÖSV-Neunfachsieg im Super-G am Patscherkofel 1998. Gut, das war eine Ausnahme. Aber auch abgesehen davon waren in der Vergangenheit Erfolge von Österreichs Speed-Fraktion so garantiert wie Schnee im Winter.
In den 90er- und frühen 2000er-Jahren sorgten Hermann Maier, Stephan Eberharter, Fritz Strobl, Michael Walchhofer, Hans Knauß und Co. für Siege und Podestplätze am Fließband. Sie wurden nach und nach von der Generation um Hannes Reichelt, Max Franz und nicht zuletzt Matthias Mayer abgelöst.
Hat einer einmal ausgelassen, ist immer ein anderer eingesprungen. Österreich fehlte es im Speed-Bereich in den vergangenen Jahrzehnten selten an Quantität noch an Qualität.
Es sind längst vergangene Zeiten. Mittlerweile wagt man von Neunfachsiegen gar nicht mehr zu träumen, heute hat der ÖSV nicht einmal mehr neun Läufer im Weltcup am Start.
Mayers Rücktritt und Verletzungen schmerzen doppelt
Mit dem überraschenden Rücktritt von Matthias Mayer Ende des Jahres verlor das ÖSV-Speed-Team nicht nur seinen Leader, sondern auch einen seinen ohnehin wenigen Siegfahrer.
Der letzte österreichische Sieger in einer Abfahrt oder einem Super-G im Weltcup, der nicht Matthias Mayer oder Vincent Kriechmayr hieß, war Max Franz. Der Kärntner gewann Ende 2018 eine Abfahrt in Lake Louise und einen Super-G in Beaver Creek.
Aktuell kämpft Franz nach seinem verheerenden Sturz in der Saisonvorbereitung, bei dem er sich beide Beine gebrochen hat, darum, überhaupt erst wieder gehen zu können. Ob und wann er wieder Skifahren kann, steht in den Sternen.
Franz ist nicht der einzige Ausfall im ÖSV: Daniel Danklmaier, Christian Walder und Christoph Krenn sind zum Zuschauen gezwungen, Christopher Neumayer musste zwischendurch auch pausieren.
So kam es, dass in Bormio nur fünf Österreicher am Start standen. Zuletzt in Wengen waren es mit Allrounder Marco Schwarz, der bei seinem Abfahrts-Debüt auf dem Lauberhorn sensationell Sechster wurde, sieben.
Pfeifers Befürchtungen wurden wahr
Dass es hinter dem Duo Mayer/Kriechmayr nicht ganz so rosig aussieht, bemerkte Cheftrainer Marko Pfeifer recht bald nach seinem Amtsantritt.
"Nach meinem Antritt im Frühjahr habe ich auf die Situation im Abfahrtsteam hingewiesen", erklärte der Kärntner in der "Krone". Das hätten jedoch ein paar nicht sehen wollen.
Pfeifer hingegen sah die Gefahr von Ausfällen durch Verletzungen, seine Befürchtungen haben sich leider bewahrheitet.
"Der ÖSV schafft es nicht, die zweite Garnitur näher heranzubringen."
Nun bekommt man die Rechnung dafür präsentiert, dass es jahrelang verabsäumt wurde, junge Läufer für den Weltcup aufzubauen und Athleten aus der zweiten Reihe zu Siegläufern oder zumindest Podestfahrern zu formen.
Das haben eigentlich nur Daniel Hemetsberger und ansatzweise Daniel Danklmaier, der aktuell am Comeback nach einem Kreuzbandriss arbeitet, geschafft. Talente sind die beiden mit ihren 31 bzw. 29 Jahren aber längst nicht mehr. Selbes gilt für Otmar Striedinger (32) und Christopher Neumayer (31). Letzterer stand vor der Saison schon vor der Ausmusterung und ist in seiner Karriere noch ohne Top-Ten-Platzierung.
Aktuell noch im Weltcup mit dabei sind Stefan Babinsky (26), dessen beste Platzierung bisher ein 7. Platz im Super-G (22. in Abfahrt) ist, sowie die zwei "Youngsters" Julian Schütter (24) und Andreas Ploier (25). Zukunftshoffnung Schütter hat in seiner ersten Weltcup-Saison bisher neun Einsätze zu Buche stehen, bei Ploier sind es gar erst drei.
Dass der zurückgetretene Matthias Mayer aktuell noch immer zweitbester Österreicher im Abfahrts-Weltcup ist, spricht für sich.
"Der ÖSV schafft es nicht, die zweite Garnitur näher heranzubringen. Vereinzelt funktioniert es, aber eigentlich müssten die noch härter andrücken", merkte Hans Knauß im LAOLA1-Interview zur aktuellen Situation im ÖSV-Team an. "Es wäre in Zukunft wichtig, die Läufer der zweiten und dritten Gruppe gemeinsam mit der Topgruppe nach oben zu bringen. Das fängt im Training an. Sich gegenseitig nach oben zu pushen, hat uns damals stark gemacht."
Der Umbruch im ÖSV-Speed-Team als Chance
Der Umbruch im ÖSV-Abfahrtsteam, er hat sich selbstständig in Gang gesetzt. Der ÖSV ist fast dazu gezwungen, junge Läufer einzusetzen, will man die zur Verfügung stehenden Startplätze nicht ungenutzt lassen.
In Kitzbühel kamen in den Trainings so einige Europacup-Fahrer wie Stefan Rieser (24), Felix Hacker (23) und Manuel Traninger (24) zu wichtigen Erfahrungen im Weltcup.
Es wird dauern, bis Österreich wieder ein schlagkräftiges Abfahrts-Team stellt. Spätestens bei der Heim-WM 2025 in Saalbach-Hinterglemm soll es ein Quartett mit Medaillenchancen geben – das ist das große Ziel von Cheftrainer Marko Pfeifer.
"Wir haben Vinc, der kann Rennen gewinnen. Wir haben Hemi, der kann, wenn es passt, Podium fahren. Und dann haben wir Oti, der fährt um Plätze. Punkt. Wir müssen das jetzt als Chance sehen, die jungen Leute einzusetzen, dass sie in zwei, drei Jahren, bestenfalls zur WM, sehr gute Erfahrungen haben", sagt Pfeifer in Kitzbühel.
Der Kärntner ist zufrieden, bei den bisherigen Einsätzen im Weltcup hätten sie sich "sehr brav angestellt", seien gute Teilabschnitte gefahren und hätten auch gepunktet.
"Wir werden in in zwei, drei Jahren wieder eine starke Abfahrts-Mannschaft haben"
"Es ist nicht so, dass wenn Topleute ausfallen gleich wieder Topleute da sind. Das geht nicht", gibt Pfeifer zu bedenken.
Rieser, der zuletzt zwei Europacup-Abfahrten gewonnen hat, wäre laut Live-Rechnung eigentlich auf der Streif schon startberechtigt, die FIS-Liste kommt aber nur alle drei, vier Wochen raus. "Es ist ein Wunsch von vielen, dass das geändert wird, dass man wie beim Tennis wöchentlich am Montag ein Update bekommen sollte. Und auch, dass man die Quotenplätze schneller anpasst, man Plätze verlieren oder gewinnen kann. Das wird uns heuer zum Verhängnis, wie verlieren in der Hochphase Startplätze aufgrund dieses Reglements", erklärt der Cheftrainer.
Jammern will Pfeifer aber nicht, er sieht die aktuelle Situation vielmehr als Chance. "Wir arbeiten alle zusammen, müssen es positiv sehen und verkaufen. Jetzt sind die Jungen da, und wir werden in zwei, drei Jahren wieder eine starke Abfahrts-Mannschaft haben."
Es ist ein ambitioniertes Vorhaben, bis zur Heim-WM in zwei Jahren ein Medaillen-Team zu formen. Aber die besten Geschichten beginnen oft mit: "Es war einmal...".