Bei den Hahnenkamm-Rennen in Kitzbühel ist eines garantiert: Jede Menge spektakuläre Bilder!
Noch bevor sich der erste Rennläufer auf die herausfordernde Streif wagt, geht Joachim Puchner aus dem Starthaus. Der 34-jährige Salzburger ist seit der vergangenen Saison als ORF-Kamerafahrer und Nachfolger von Hans Knauß im Herren-Weltcup im Einsatz.
Nach seinem Rücktritt als aktiver Läufer 2017 aufgrund vieler Verletzungen (u.a. Trümmerbruch im Sprunggelenk) ist Puchner nun dafür verantwortlich, dem TV-Publikum die Rennstrecken dieser Welt aus Sicht der Athleten möglichst realistisch zu präsentieren.
"Ich habe das Privileg, dass ich da als Kamerafahrer runterfahren darf und deswegen sollte es so gut wie möglich sein, was ich mache", erklärt Puchner in Kitzbühel. "Mein Anspruch sind spektakuläre Bilder", meint der in Vöcklabruck (OÖ) geborene und im Salzburger Pongau aufgewachsene Ex-ÖSV-Athlet, der im Weltcup 19 Mal in die Top 10 fuhr, drei Podestplätze (einmal Abfahrt, zweimal Supr-G) erreichte, aber keinen Sieg feiern durfte.
Wie er es schafft, bei Geschwindigkeiten um die 140 km/h auf der berühmt-berüchtigten Streif "nebenbei" auch noch zu sprechen und wie intensiv er trainiert, um die spektakulären Aufnahmen liefern zu können, erzählt Puchner im LAOLA1-Interview. Außerdem spricht der Bruder von ÖSV-Speed-Dame Mirjam Puchner über die furchteinflößende Strecke in Kitzbühel, seine peniblen Analysen und das Feedback der Ski-Fans.
LAOLA1: Wie viel Überwindung kostet dich die Streif nach all den Jahren als aktiver Rennläufer nun als Kamerafahrer?
Joachim Puchner: Es ist definitiv immer eine Überwindung. Jedes Jahr aufs Neue ist der Blick aus dem Starthaus raus beeindruckend, aber auch furchteinflößend. Trotzdem ist es eine Freude, hier runter zu attackieren. Es gibt so lässige Passagen wie die Mausefalle, die mir einen Riesenspaß bereiten. Aber man muss vom ersten Training an konzentriert an die Sache rangehen, dementsprechend groß ist auch die Anspannung.
LAOLA1: Die Hahnenkamm-Rennen verfolgen über eine Million Zuschauer vor den TV-Geräten, in Pandemie-Zeiten wohl noch mehr. Verspürst du bei deinen Fahrten einen besonderen Druck?
"Grundsätzlich will ich es immer gleich gut machen, aber die Anspannung ist schon größer, wenn man weiß, dass ein Millionen-Publikum zuschaut. Es ist Kitzbühel, hier kann immer etwas Unerwartetes passieren."
Puchner: Grundsätzlich will ich es immer gleich gut machen, aber die Anspannung ist schon größer, wenn man weiß, dass ein Millionen-Publikum zuschaut. Es ist Kitzbühel, hier kann immer etwas Unerwartetes passieren. Da will man erst recht keine Fehler begehen und noch dazu eine perfekte Fahrt liefern. Man hat nur einen Lauf und keine Chance, das Ganze zu wiederholen. Du gehst aus dem Starthaus raus und dann muss die Fahrt in den nächsten zwei Minuten sitzen.
LAOLA1: Wie bereitest du dich auf eine Kamerafahrt vor?
Puchner: Es ist eine Mischung aus Vorbereitung und spontan auf die Situationen reagieren. Ich gehe den Text schon gedanklich durch, aber auch nur bedingt, weil während der Fahrt ja viel passieren kann. Es sollte so sein, dass ich das erzähle, was gerade passiert. Deswegen habe ich ein paar Eckpunkte, die ich vorbereite, aber sonst muss alles aus dem Geschehen heraus passieren. Ich muss natürlich die ganzen Passagen wissen, aber dadurch, dass ich sie oft genug gefahren bin, ist das kein Problem.
LAOLA1: Mit einer Geschwindigkeit von 140 km/h die Streif runterzubrettern und dabei noch zu sprechen, stelle ich mir trotzdem schwierig vor.
Puchner: Ich tue mir da nicht schwer, ich glaube, das liegt mir einfach. So etwas zu lernen, ist auch sehr schwierig. Man muss die Eindrücke so gut wie möglich spontan rüberbringen.
LAOLA1: Du hast deine aktive Karriere 2017 nach zahlreichen Verletzungen beendet. Wie fit muss du als Kamerafahrer körperlich sein?
Puchner: Meine Trainingskarriere habe ich noch nicht beendet, die ist fortschreitend (lacht). In diesem Umfang, wie es ein Rennläufer macht, brauche ich es nicht mehr, aber ich trainiere im Sommer schon sehr viel, sicher fünf, sechs Tage die Woche. Das Training war auch nach meinem Karriereende wichtig, weil für die Probleme, die ich habe, kontinuierliches Training das beste ist. Deshalb bin ich da drangeblieben. Ich schaue schon, dass ich auf einem gewissen Niveau bleibe. Mein Anspruch sind spektakuläre Bilder und die kannst du nur liefern, wenn auch die körperliche Fitness passt. Da gehe ich vielleicht ein bisschen einen extremeren Weg, als ich müsste, aber das ist mein Weg und da fühle ich mich auch wohl.
LAOLA1: Analysiert du deine Fahrten selbst auch?
Puchner: Ja, ich bin da sehr gewissenhaft und penibel. Ich schaue mir jede Fahrt an. Vor allem, was den Text angeht: Wo versteht man mich, wo versteht man mich nicht. Welche Sätze kann ich sagen und welche nicht. Es gibt in der Abfahrt oft Kurven, die sehr laut sind. Wenn ich da rede, versteht man mich nicht. Wenn ich mir das dann anschaue weiß ich, bei welchen Passagen ich vielleicht erst später zu reden beginnen darf. Ich schaue mir das sehr genau an und mache bei jedem Lauf eine kleine Analyse für mich selber, weil ich glaube, dass das der Anspruch sein sollte. Ich habe das Privileg, dass ich da als Kamerafahrer runterfahren darf und deswegen sollte es so gut wie möglich sein, was ich mache.
LAOLA1: Bekommst du von den Zuschauern viel Feedback zu deinen Fahrten und wenn ja, wie fallen die Rückmeldungen aus? Gibt es auch Kritik?
Pucher: Ich muss sagen, das Feedback ist grundsätzlich ganz gut, aber es gibt auch Leute, denen das vielleicht nicht so taugt. Es ist auch normal, dass es nicht immer allen taugt. Wichtig ist, dass es für die Masse passt und ich glaube, bei den Zuschauern kommt es gut an. Wenn jemand Anregungen hat, was ich besser machen könnte, dann bitte schreiben, ich bin offen dafür.
LAOLA1: Du bist immer einer der ersten, der rennmäßig über die Weltcup-Strecken gehen darf. Gibst du den ÖSV-Läufern nach deiner Fahrt noch Tipps oder hältst du dich da komplett raus?
Puchner: Ich halte mich da schon zurück. Es gib den einen oder anderen Eindruck, den man vermitteln kann, aber man muss das immer relativieren: Ich fahre ja mit Übergewand und nicht im Rennanzug, da hat man eine ganz andere Geschwindigkeit. Da besteht die Gefahr, dass wenn ich irgendwelche Informationen weitergebe, das ein Blödsinn ist. In der Abfahrt gibt es sowieso ein Training, da wissen die Läufer eh, was los ist. Im Super-G ist das ein bisschen anders, aber da sehen auch die Trainer bei mir und bei den Vorläufern, wenn es irgendwo Probleme gibt. Also generell halte ich mich sehr zurück, weil da genug Profis am Werk sind.
LAOLA1: Es ist jetzt deine zweite Saison als Kamerafahrer. Hast du dadurch nochmal einen anderen Blickwinkel auf den Ski-Weltcup bekommen?
Puchner: Es ist eine komplett andere Perspektive. Als Rennläufer hat man einen Tunnelblick, alles was nicht fürs Rennen relevant ist, schiebt man weg. Umso interessanter ist es, dass ich die andere Seite jetzt auch kennenlernen durfte, die der Medien und anderer Stakeholder, die zum Weltcup dazugehören. Das ist für mich schon eine enorme Wissenserweiterung.
LAOLA1: Du bist jetzt seit 2009 fast ununterbrochen im Weltcup dabei. Wie beurteilst du die allgemeine Entwicklung, aktuell wird ja viel über die Zukunft des Skisports diskutiert.
Puchner: Es ist sehr saisonabhängig. Es gibt Saisonen, da kommt viel zusammen und man denkt sich vielleicht: Ist das jetzt too much? Wie letztes Jahr in Kitzbühel zum Beispiel. Dann gibt es Saisonen, da passt alles und man sagt, man ist eh am richtigen Weg. Ich glaube, sehr wichtig ist, dass man nicht stehenbleiben darf. Die Läufer, das Material - alles entwickelt sich weiter. Da müssen sich alle Beteiligten fragen: Ist das noch vertretbar? Das Spektakuläre im Gegensatz zur Gefährlichkeit und den Verletzungen? Da ist es sehr wichtig, dass man enger zusammenarbeitet. Was noch extrem wichtig ist: Der Sport ist unglaublich spektakulär. Um das so gut wie möglich zu transportieren, können wir noch mehr tun.
LAOLA1: Was schwebt dir da vor? Kann sich der Skisport ein Beispiel am Biathlon oder der Formel 1 nehmen?
Puchner: Man muss da etwas differenzieren. Wenn man zum Beispiel Biathlon oder die Formel 1 hernimmt, dauern die Rennen im Schnitt über eine Stunde. Im Skisport habe ich pro Läufer ungefähr zwei Minuten. Wenn ich da so viele Informationen reinpacke, geht eventuell der Fokus auf den Läufer verloren. Es gehört vielleicht ein bisschen abgewechselt: Bei einem Läufer gibt es diese Informationen, beim nächsten Läufer andere. Da gibt es nach oben hin kaum Grenzen. Es gibt sicher Dinge, die man noch verbessern kann. Ich bin gespannt, was da in den nächsten Jahren noch kommt.
LAOLA1: Nach Kitzbühel steht mit den Olympischen Spielen gleich das nächste Highlight auf dem Programm. Wirst du auch im Peking im Einsatz sein?
Puchner: Ja, das ist der Plan. Ich war 2014 in Sotschi schon dabei, jetzt werden es die ersten Olympischen Spiele als Kamerafahrer. Und die ersten Spiele gemeinsam mit meiner Schwester Mirjam, die sollte ja auch dabei sein.
LAOLA1: Vielen Dank für das Gespräch!