Wenn jemand weiß, wie man in Cortina d'Ampezzo schnell Ski fährt, dann Renate Götschl.
Im aktuellen WM-Ort hat Österreichs ehemalige "Speed-Queen" zehn ihrer 46 Weltcupsiege gefeiert und 1993 - allerdings im Slalom - als 17-Jährige ihr Weltcupdebüt gefeiert. Über 50 Weltcuprennen hat Götschl dort insgesamt bestritten und 22 Podestplätze geholt.
Insgesamt hat sie mit der "Olympia delle Tofane" eine der klassischsten Weltcupstrecken 70 bis 80 Mal rennmäßig befahren. Nur Lindsey Vonn (12 Siege) überbot Götschls Cortina-Gewinnmarke.
"Cortina ist einfach lässig. Es ist Italien, alles sehr gemütlich, die Dolomitenlandschaft ist fantastisch, die Feiern in unserer Stammpizzeria waren stets großartig", erklärt Götschl, warum ihr all die Jahre bei der Ankunft in Cortina stets das Herz aufgegangen ist. "Cortina war quasi mein zweites Daham."
2005 gewann sie dort gleich drei von vier Rennen, verpasste als Zweite hinter Michaela Dorfmeister im vierten Rennen einen historischen "Ski-Grand-Slam" nur knapp. Ein Jahr später zog sie sich beim Riesentorlauf in Cortina eine Knieverletzung zu, die sich bis zu Olympia in Turin auswirkte.
Götschl: Das könnte für Lara Gut zum Problem werden
Götschl rechnet bei der zäh in die Gänge kommenden WM in Cortina mit würdigen Speed-Champions bei den Damen. "Das ist eine richtige WM-Strecke. Noch dazu eine, auf der man schon viele Rennen gefahren ist und wo sich sicher nur die Besten durchsetzen", sagt die 45-jährige Ex-Rennläuferin am Tag vor dem Super-G (ab 10:45 Uhr im LIVE-Ticker) und dem damit verspäteten WM-Auftakt in Italien.
Götschls Geheimtipp ist Tamara Tippler. Und das nicht deshalb, weil die einstige "Speed-Queen" ihrer steirischen Landsfrau hin und wieder mit Tipps zur Seite steht.
Tippler sei an einem Punkt angelangt, "an dem sie ihre Leistung konstant abrufen kann", erklärt Götschl im Gespräch mit der APA. "So etwas muss man sich erarbeiten, das dauert Jahre." Nach dem Aus für die Abfahrts-Topfavoritin Sofia Goggia sei Tippler deshalb neben Corinne Suter oder Breezy Johnson durchaus eine Mitfavoritin. "Und Ester Ledecka muss man bei Titelkämpfen sowieso immer auf der Rechnung haben."
Was die verletzte Seriensiegerin Goggia in der WM-Abfahrt gewesen wäre, ist nach vier Weltcupsiegen in Folge die Schweizerin Lara Gut-Behrami im Super-G. Götschl warnt aber: "Lara fährt derzeit auf einem sehr guten Level. In Cortina vertragen die Kurven das Driften aber nicht so gut, kommt es eher auf Zug an. Deshalb ist Laras Vorsprung hier meiner Meinung nach nicht ganz so groß wie auf anderen Strecken", analysiert die Österreicherin.
"Du musst eine kleine Wildsau sein, die Strecke verträgt das."
In der Abfahrt am Samstag, die im Gegensatz zur neuen WM-Strecke der Herren bestens bekannt ist, komme zudem eine deutlich höhere Geschwindigkeit hinzu. "Da musst du nicht nur technisch perfekt fahren, sondern auch das Herz in die Hand nehmen und die Strecke völlig ausreizen. Du musst eine kleine Wildsau sein, die Strecke verträgt das", ist Götschl überzeugt.
Götschl: "Hier wird nur die Kompletteste Weltmeisterin"
So gesehen war Götschl über die wetterbedingte Verschiebung des Super-G auf Donnerstag nicht unfroh, auch wenn es ihre derzeit auch vom täglichen Skitraining ihrer Töchter bestimmten Privatpläne durcheinandergebracht hat. "Es wäre vermutlich kein faires Rennen geworden." Außerdem sei ein Damen-Speedrennen in Cortina ohnehin nur ein "echtes", wenn es über den berühmten Tofana-Schuss gehe.
Dadurch, so Götschl, würde man nämlich mit wesentlich mehr Tempo zum Sprung und in die folgenden technischen Passagen kommen. "Aber man muss schon die hängenden Kurven vor dem Schuss gut fahren. Und nach dem Riesentorlauf-Teil unten entscheidet sich im Wellenteil vor der Liftkurve, wie viel Tempo du ins Finale mitnimmst", kennt Götschl die Geheimnisse der Strecke.
Es sei jedenfalls eine "richtige" WM-Strecke. Dass man hier schon so oft gefahren sei, mache vertretbar, die WM-Abfahrt auch mit nur einem Training durchzuführen. "Hier geht das. Diese Abfahrt wurde nicht extra für die WM gebaut. Bis auf die Jungen kennt sie fast jeder auswendig, das erleichtert vieles." Götschl ist überzeugt: "Hier wird nur die Kompletteste Weltmeisterin. Also eine, die technisch perfekt fährt, sich aber auch etwas traut." Genau das sei der Reiz von Cortina. "Hier musst du richtig Stoff geben."
Dass die Kombination ebenfalls verschoben wurde, bedauert Götschl ein wenig. Denn wetterbedingt hätte der Slalom nach einem kurzfristigen Tausch vor dem Super-G stattgefunden. Mit ähnlichem Hintergrund hatte die Speed-Spezialistin Götschl 1997 in Sestriere ihr erstes WM-Gold geholt. "Schade. Ramona Siebenhofer und Franzi Gritsch hätten im Slalom vordere Nummern gehabt", bedauert Götschl. "Ich hoffe, Ramona kann sich an ihre guten Rennen erinnern und traut sich, über ihren Schatten zu springen. Auch in der Kombi musst du alles riskieren."