Die echten Typen im Skisport, sie sind weitestgehend ausgestorben.
Einer, der definitiv in keine Schublade passt, ist Lucas Braathen.
Der 22-jährige Norweger fällt auf, egal wo er auftritt - sowohl mit seinen sportlichen Leistungen als auch mit seinem Erscheinungsbild.
Braathen hat im Ski-Zirkus den Ruf des "bunten Vogels" und des "Scheiß-mir-nix". Als er sich zwei Wochen vor WM-Beginn einer ungeplanten Blinddarm-Operation unterziehen muss, filmt er live mit, als ihm der Arzt die Fäden zieht.
Er lackiert sich die Fingernägel bunt, trägt Röcke, entwirft seine eigene Mode, spielt dafür gleich selbst Model und jettet um die Welt, wenn er gerade nicht skifährt. Man könnte fast sagen, er ist der Lewis Hamilton des Skisports.
Als Braathen aufhörte, sich anzupassen
Die einen finden ihn schräg, die anderen lieben ihn für seine authentische Art. Braathen zeigt sich so, wie er ist.
"Im Sport wächst du mit einem strikten System auf. Es ist nicht unbedingt die Kultur, in der solche Sachen willkommen sind. Ich habe einige Jahre gebraucht, um mich wirklich wohl zu fühlen, mich zu kleiden, wie ich will, Sachen zu machen, die ich möchte", sagt Braathen.
"Wahrscheinlich werden meine blauen Fingernägel nicht jedem Trainer gefallen, aber mein Weg zum Erfolg ist eben dieser. Meine Freunde und Familie erlauben mir, ich zu sein. Und das bin einfach ich."
Selbstsichere Worte eines 22-Jährigen. Dass er heute so zu sich stehen kann, war ein langer Weg.
Wie der Name Lucas Pinheiro Braathen erahnen lässt, ist er der Sohn eines Norwegers und einer Brasilianerin.
21 Mal ist er in seinem Leben schon umgezogen. Nach der Trennung seiner Eltern als er drei war lebte Braathen zuerst bei seiner Mutter in Brasilien, dann beim Vater in Norwegen. Dieser brachte ihn auch zum Skifahren. Zusammen reisten sie, lernten neue Orte kennen. Lange Zeit war es nur ein Hobby, vergleichsweise spät, mit neun Jahren, wurde die Rennfahrer-Karriere in Angriff genommen.
"Ich war als Kind völlig verunsichert, war überall, wo wir hinzogen, der Neue, der Schräge, der Außenseiter. Ich versuchte mich einzufügen, übernahm den Akzent, imitierte die Verhaltensweisen", erzählt Braathen im "Red Bulletin".
Es kam der Punkt, an dem er damit aufhörte, sich immer neu anzupassen. "So oft hatte ich meine Persönlichkeit, meinen Akzent, meine Interessen geändert – und immer nur verloren. Ich hörte damit auf. Und lernte stattdessen, ich selbst zu sein."
Braathen, der Ski-Star: Unbeschwert und explosiv
So kam es auch, dass der Junge, der vorgab als Halb-Brasilianer nicht für die Kälte gemacht zu sein, mittlerweile einer der besten Skifahrer der Gegenwart ist.
Seine Art: Unbeschwert. Sein Fahrstil: Explosiv.
Seit Braathen seine Kraft auf den Skiern kontrollieren kann, fährt er stabiler und damit schneller.
Im Slalom fuhr er in diesem Winter bisher zwei Siege und drei dritte Plätze ein, ein Mal wurde er Vierter, ein Mal schied er aus. Das Resultat daraus ist die Führung im Slalom-Weltcup.
Da kommt es schon mal vor, dass er in Schladming im Ziel zu Samba-Musik tanzt:
Auch im Riesentorlauf gehört Braathen mittlerweile zu den Besten. Ein erster Ausflug in den Super-G endete zu Beginn der Saison in Beaver Creek mit Platz sieben. Braathens Ziel über kurz oder lang ist klar: Der Gesamtweltcup.
Braathen möchte den Skisport verändern
Ein anderes großes, aber nicht ergebnisorientiertes Ziel hat Braathen noch.
"Ich möchte diesen Sport verändern – indem ich nur ich selbst bin. Ich will meine Persönlichkeit nicht einschränken müssen, nur weil das System es erwartet. Oder die Ski-Öffentlichkeit. Oder die norwegische Presse", sagt Braathen dem "Red Bulletin". "Ich will mir nicht diktieren lassen, wie ich mich als Skifahrer zu verhalten habe."
Braathen will, dass seine sportliche Leistung unabhängig von seinem Erscheinungsbild gesehen wird. Kritik und Hass-Kommentare muss er sich in den Sozialen Medien – er hat 115.000 Follower auf Instagram - genug gefallen lassen.
"Diesen Leuten will ich zeigen, dass sie falsch liegen. Dass es aus mir keinen schlechteren Skifahrer macht, weil ich mich so kleide und ausdrücke, wie ich möchte. Wenn es mir gelingt, ich selbst zu sein und trotzdem Erfolg zu haben – dann kann ich diesen Sport verändern."