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Henrik von Appen: Mehr als nur ein WM-Exot

Er ist Chiles einziger Starter im Ski-Weltcup. Im Interview mit LAOLA1 spricht er über seine Anfänge, Herausforderungen und ambitionierten Ziele.

Henrik von Appen: Mehr als nur ein WM-Exot Foto: © GEPA

Auf den ersten Blick wirkt der 27. November 2022 wie ein ganz gewöhnlicher Renntag.

Marco Odermatt setzte sich im kanadischen Lake Louise nach einer Machtdemonstration vor Aleksander Aamodt Kilde und Matthias Mayer durch und feierte den fünften Super-G-Sieg in seiner Karriere. Das ÖSV-Team präsentierte sich geschlossen stark, Vincent Kriechmayr wurde Vierter, Daniel Hemetsberger fuhr als Siebter ebenfalls in die Top-Ten.

Dass einige Läufer später aber Geschichte geschrieben wurde, haben nur noch die hartgesonnenen Ski-Fans mitbekommen. Mit Startnummer 41 fuhr der Chilene Henrik von Appen nämlich auf den 18. Platz vor – und sammelte damit als erster Skiläufer seines Heimatlandes Weltcuppunkte.

Hinter sich ließ er dabei mit Dominik Paris und Beat Feuz zwei der größten Speed-Fahrer aller Zeiten, auch Christof Innerhofer, Otmar Striedinger und Stefan Babinsky klassifizierten sich hinter dem "Ski-Exoten".

Zweieinhalb Jahre später ist von Appen 30 Jahre alt. Im alpinen Ski-Weltcup kann er bis dato mehr als 80 Starts vorweisen, acht Mal fuhr er dabei in die Punkte. Dazu ist der Chilene, der in Abfahrt und Super-G antritt, dreifacher Olympia- und fünffacher WM-Teilnehmer.

Im Dezember 2023 stoppte eine Verletzung seinen Aufwärtstrend. Bei einem Trainingslauf in Beaver Creek zog sich der Chilene einen Kreuzbandriss zu, fiel die gesamte Saison aus.

Nun ist er wieder zurück – und hat große Ziele.

Der Nomade

(Text wird unter dem Video fortgesetzt)

Nach dem Rennwochenende in Kitzbühel hat sich von Appen Zeit für ein Gespräch mit LAOLA1 genommen. Das Interview findet online statt, van Appen führt es von seinem Hotelzimmer aus.

Anders als viele seiner Kollegen, geht es für ihn nach den Rennen nämlich nicht nach Hause. Zu weit wäre der Weg nach Chile, weswegen er und sein Team während der Saison in Europa bleiben. In der vergangenen Saison bezog man eine Unterkunft in Innsbruck, heuer fiel die Wahl auf Bruneck in Südtirol.

In Kürze geht es für ihn nach Saalbach-Hinterglemm, wo von Appen an seiner sechsten Weltmeisterschaft teilnehmen wird. Bei den vergangenen Rennen in Kitzbühel schied der 30-Jährige zwei Mal aus, sein Resümee fällt dennoch positiv aus.

"Zwei DNF sind nicht ideal, aber ich bin trotzdem zufrieden. Meine Zwischenzeiten waren stark und ich hätte in die Top-25 fahren können", sagt er. "Ich fuhr am Limit und habe extrem gepusht – dadurch fiel ich schließlich aus. Aber durch diese Mentalität bin ich überhaupt da, wo ich heute bin", fügt er hinzu.

Schwerer Sturz in Beaver Creek

Dass er in Kitzbühel überhaupt an den Start gehen konnte, war nicht immer klar. Im Dezember 2023 stürzte er in Beaver Creek im Training, zog sich einen Kreuzbandriss und eine Verletzung am Meniskus zu. Das gesamte Jahr 2024 widmete er seinem Comeback, sieben Monate nach dem Sturz nahm er in seiner Heimat in Chile wieder das Training auf Skiern auf.

"Als wir aber intensiver trainiert haben, wurde es kompliziert. Ich hatte viele Schmerzen und konnte mein Bein nicht mehr richtig ausstrecken. Ende September fanden wir dann heraus, dass ich am 'Zyklops-Syndrom' laborierte", erklärt von Appen.

Die Verletzung – ein Narbengewebe, das nach einer Knieoperation auftreten kann – forderte schließlich eine zweite Operation im Oktober, der geplante Start in Beaver Creek fiel damit ins Wasser.

Im Training auf der "Birds of Prey" im Dezember 2023 kam er schwer zu Sturz.

Comeback in Gröden

Erst Mitte November konnte von Appen wieder auf die Piste zurückkehren, sein Comeback gab er schließlich im Dezember in Gröden.

"Der Zeitpunkt war eigentlich nicht ideal und vielleicht etwas früh. Ich fuhr davor kein Rennen und war nicht in Form", sagt von Appen. Allerdings sei der Bewerb für ihn "überraschend gut verlaufen", der Rückstand nicht zu groß gewesen. Bormio ließ der Chilene anschließend aus, das herausfordernde Streckenprofil war ihm so früh nach der Operation zu riskant.  

"Rückblickend war das mit Sicherheit eine gute Entscheidung, wenn man sich all die Verletzungen und Stürze ansieht, die sich heuer dort zugetragen haben", sagt von Appen, der bei seinem dritten Rennen in Wengen sogar zurück in die Punkte fuhr. Als 23. erreichte er dabei sein bestes Ergebnis in der Abfahrt überhaupt.

Schmerzen hat er inzwischen keine mehr, physisch als auch mental fühlt er sich fit. Bei der Weltmeisterschaft in Saalbach-Hinterglemm will der 30-Jährige überraschen und die chilenische Flagge auf die Ski-Landkarte bringen.

Erste Schritte in Chile

In unseren Gefilden gilt der Chilene als "Exot". Dass Skirennläufer aus Südamerika um Weltcup-Punkte mitfahren, ist eher Ausnahme als Normalität.

"Südamerika verbindet man im ersten Moment nicht mit Skifahren. Aber zumindest das Ausüben des Sports ist bei uns tatsächlich populärer als man denkt", sagt von Appen, der in der Landeshauptstadt Santiago de Chile aufgewachsen ist – nur 40 Minuten von zwei großen Skigebieten entfernt.

"Meine Eltern waren beide selbst Sportler. Meine Mutter spielte Tennis, mein Vater nahm bei den Olympischen Spielen als Segler teil. Als sie für mehrere Jahre in Europa gelebt haben, kamen sie auch mit dem Skifahren in Berührung. Zurück in Chile haben sie es meinem Bruder, meiner Schwester und mir auch beigebracht", erzählt der Chilene.

Alle drei zeigten Talent, wurden in einem Skiverein angemeldet und von ihren Eltern immer zu den Trainings gefahren. Schließlich schafften sie es ins chilenische Nationalteam, aktiv ist inzwischen nur noch Henrik von Appen. Sein jüngerer Bruder Sven fuhr ebenfalls im Weltcup, beendete seine Karriere aber im Mai 2024. Seine Schwester hörte schon im Teenageralter mit dem Skifahren auf.

Die Karriere verlief für Henrik rasant, schon im Alter von 19 Jahren gab er sein Weltcup-Debüt.

"Mein damaliger Trainer wollte, dass ich früh Erfahrungen sammle, weswegen ich 2013 in Lake Louise angetreten bin. Ich fuhr zwar nicht gut und wurde Letzter, konnte dadurch aber wichtige Schlüsse ziehen und mich weiterentwickeln", sagt von Appen.

"Außerdem lernte ich so alle Strecken kennen, inzwischen bin ich die meisten schon vier bis sieben Mal gefahren", sagt er.

Bei den Olympischen Spielen 2022 in Peking trug von Appen gemeinsam mit Ski-Freestylerin Dominique Ohaco die chilenische Fahne.
Foto: © getty

Trainierte er früher meist in Chile, verbringt er mittlerweile fünf bis sechs Monate im Jahr in Europa. Dabei ist von Appen seit drei Jahren Teil des italienischen Speed-Teams.

"Wir helfen uns untereinander. Sie mir hier in Europa und ich ihnen bei der Saisonvorbereitung in Chile", sagt von Appen.

Auch die Zusammenarbeit mit dem chilenischem Verband sei gut, er bekomme einen Trainer und finanzielle Unterstützung für die technische Ausstattung gestellt. Die anfallenden Kosten kann der 30-Jährige noch nicht vollumfänglich decken, manches muss er auch aus eigener Tasche zahlen. "Ich habe zwar schon ein paar Sponsoren gefunden, bin aber auf der Suche nach weiteren, um alle Kosten decken zu können", sagt der Athlet.

"Will Skisport in Südamerika bekannter machen"

Auf seine bisherige Karriere blickt er positiv, Höhepunkte gibt es für ihn viele. Nach längerem Überlegen antwortet er: "Ich fuhr im Super-G auf die Plätze 14 und 16, das war schon überwältigend. Natürlich sind auch Teilnahmen bei den Olympischen Winterspielen und den Weltmeisterschaften etwas Besonderes. In Peking durfte ich sogar die chilenische Fahne tragen", sagt der siebenfache südamerikanische Meister.

"Am meisten stolz bin ich aber darauf, die chilenische Flagge repräsentieren zu können und diese neben derer der anderen großen Skinationen wie Österreich, Schweiz oder Frankreich aufscheinen zu lassen", sagt er. Für die Zukunft hat er große Ziele, sein Traum wäre "eine olympische Medaille oder ein Podestplatz im Weltcup" - auch, um andere Südamerikaner zu motivieren, in einem so europäisch zentrierten Sport mitzumischen.

"In Österreich kennen Leute teilweise meinen Namen. In Chile kann ich ganz normal Skifahren, dort kennt mich niemand", sagt er. Die Rennen werden in seinem Heimatland nicht übertragen, auch durch die umgedrehten Jahreszeiten und die Zeitverschiebung sei das Interesse am Skisport in Chile gering. "Während ich Skifahre, liegen die meisten Chilenen bei 30 Grad am Strand oder schwimmen im Meer", sagt er.

"Ich hoffe aber, dass Skifahren in Zukunft bekannter wird. Das ist mein Ziel. Auch Lucas Pinheiro Braathen könnte ein Faktor sein, dass sich mehr Menschen aus Südamerika mit dem Sport befassen", hofft von Appen.

Über die Sicherheit des Sports

Auf die Frage, was seine Meinung zu der aktuellen Verletzungsmisere (Diese Ski-Stars verpassen die WM 2025 verletzt>>>) im Skiweltcup sowie den anhaltenden Diskussionen bezüglich der Sicherheit des Sports ist, antwortet der Chilene ausführlich.

"Es ist und war immer ein gefährlicher Sport. Darüber ist sich auch jeder Skifahrer bewusst und das wird auch so bleiben", sagt er.

Dafür ursächlich sei für ihn mitunter, dass das Spektrum an schnellen Athleten immer größer und die Abstände geringer werden würden. "Der Skisport wird immer schneller, auch weil die Konkurrenz zunimmt. Durch diesen Druck und diese Intensität ist man dazu gedrängt, immer ans Limit gehen zu müssen", sagt er.

"Plakativ gesagt: Du erwischt eine Kurve besser und gewinnst. Du erwischt diese Kurve deutlich schlechter, und niemand kennt dich", fügt er hinzu.

Davon abgesehen, gebe es für ihn aber durchaus Möglichkeiten, um das Risiko zu senken.

Von Appen verlor einst fast Mobilität in den Fingern

"Neuerungen wie der Airbag oder die Schnittschutzanzüge gehen in die richtige Richtung", sagt er. Er selbst hat sich in Bormio 2017 an der Hand verletzt, dadurch fast die Mobilität in den Fingern verloren. Heute zeugt eine Narbe von seinem Unfall.

"Ich würde ohne solch einen Anzug heute kein Rennen mehr bestreiten", sagt er.

Von Appen regt auch die Idee an, den Airbag bis zum Nacken zu erweitern – um den Kopf noch besser zu schützen.

"Es wird dich aber nichts jemals voll schützen. Jedes Mal wenn du an den Start gehst, musst du dir darüber im Klaren sein, dass der Sport gefährlich ist und dies akzeptieren", sagt der Chilene, der aufgrund von Verletzungen in seiner Karriere "zwei bis drei Jahre" verloren habe.

Über seine Zukunft hat er sich noch keine Gedanken gemacht, der werdende Vater möchte sich noch voll und ganz auf das Skifahren konzentrieren.

In Kürze wird er sich bei der Weltmeisterschaft in Saalbach-Hinterglemm mit den besten Athleten des Sports messen – und die chilenische Landesflagge ein weiteres Mal auf einer der größten Bühnen des Skisports repräsentieren.



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