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Drei Schwerverletzte in Wengen: Ist der Ski-Sport am Limit?

Die Lauberhorn-Rennen fordern drei Opfer. Fehlplanung, Berufsrisiko oder vermeidbarer Schaden für Athleten und den Sport? Eine Aufarbeitung der Geschehnisse:

Drei Schwerverletzte in Wengen: Ist der Ski-Sport am Limit? Foto: © GEPA

Eine traumhafte Kulisse, hervorragende Stimmung, eine legendäre Strecke - es war alles angerichtet für die 94. Lauberhorn-Rennen. 

Trotz eines überragenden Marco Odermatt, der ausgerechnet auf heimischem Boden am prestigeträchtigen Lauberhorn seine ersten beiden Weltcup-Siege in der Abfahrt holte, wurde die Ski-Party in der Schweiz enorm getrübt. 

Nach drei Speed-Rennen in Wengen hat der Ski-Weltcup drei Schwerverletzte zu beklagen - so die traurige Bilanz. 

Plötzlich wurde es mucksmäuschenstill

An jedem der bisherigen Wettkampftage hat es einen Rennläufer erwischt: Am Donnerstag zerstörte sich der Schweizer Marco Kohler das Knie, der 26-Jährige zog sich einen Riss des vorderen Kreuzbandes, des inneren Meniskus und eine Zerrung des Innenbandes im rechten Knie zu. 

Im Super-G am Freitag stürzte Alexis Pinturault folgenschwer, der Jung-Papa erlitt einen Riss des vorderen Kreuzbandes im linken Knie. 

Am Samstag forderte das Lauberhorn mit Aleksander Aamodt Kilde das nächste prominente Opfer. Der Norweger verlor am Ende der längsten Strecke im Ski-Weltcup die Kontrolle und krachte in der Zielkurve ins Sicherheitsnetz. Der Lauberhorn-Sieger von 2022 und 2023 dürfte sich eine schwere Beinverletzung zugezogen haben, laut ORF-Informationen einen offenen Unterschenkelbruch.

Vor allem Kildes Crash schockte die Ski-Welt, nach seinem Abflug wurde es im Zielraum plötzlich mucksmäuschenstill.

"Das ist auch heute wieder der fade Nachgeschmack bei diesem Sieg. Wenn ein Freund stürzt, ist das immer wirklich nicht schön", meinte Odermatt am Samstag. Der Schweizer Dominator litt bereits mit Kohler, einem seiner engsten Freunde im Schweizer Team, und auch mit Gesamtweltcup-Konkurrent Marco Schwarz nach dessen Kreuzbandriss Ende Dezember in Bormio mit. 

Sind drei Rennen in Wengen zu viel?

Unweigerlich kommen nach drei schweren Stürzen an einem Wochenende Diskussionen darüber auf, ob drei Rennen - plus Trainings - auf der längsten Strecke im Ski-Weltcup zu viel sind. Die verkürzte Abfahrt am Donnerstag war der Ersatz für eines der abgesagten Rennen in Beaver Creek

Während der TV-Übertragung wurden folgende Worte von Odermatt eingefangen: "Ich hoffe, das ist das letzte Mal, nie wieder drei Rennen hintereinander." Der Superstar ist einer von mehreren, die auf das dichte Programm in dem Schweizer Bergdorf hinwiesen. "Nicht mehr normal", urteilt der Franzose Cyprien Sarrazin.

"Sicher ist es viel. Es ist sehr kräfteraubend", sagt Routinier Dominik Paris im ORF-Interview. "Es ist vielleicht nicht ideal, aber irgendwo müssen sie die Rennen nachholen. Wir sind froh, dass wir Rennen fahren, aber man denkt sich schon auch: Muss es unbedingt sein, dass wir so viele Rennen an einem Wochenende fahren?", gibt Paris zu. 

4.270 Metern Länge, mehr als zweieinhalb Minuten Fahrzeit, Streckenabschnitte wie Hundschopf, Brüggli-S, Minschkante oder Ziel-S bilden am Lauberhorn eine in der Ski-Welt einzigartige Mischung bei gleichzeitig atemberaubendem Panorama. Wenn schon Rennen nachgetragen werden müssen, dann an Orten und auf Strecken wie diesen, denkt sich wohl die FIS. 

Zu hohe Belastung? Kriechmayr: "Das ist eine schwache Ausrede"

Die ÖSV-Athleten widersprechen hingegen dem Tenor, dem Terminkalender die Schuld zu geben. "Natürlich ist es eine hohe Belastung mit drei Rennen, aber wir trainieren den ganzen Sommer. Das ist eine schwache Ausrede", positioniert sich Vincent Kriechmayr klar. "Es ist einfach blöd hergegangen. Ich würde jetzt nicht sagen, dass zu hohe Belastungen sind. Wir sind froh, dass wir Rennen haben, wir sind auch froh, dass Wengen hier eingesprungen ist. Immerhin haben wir schon einige Rennen verloren."

Die Kalender-Planung ist die eine Sache, die individuelle Herangehensweise der Rennläufer die andere. 

Am Ende muss jeder selbst entscheiden, ob er fit genug für einen Start ist und wie viel Risiko er nimmt. Österreich hatte am Samstag nicht umsonst nur vier Läufer am Start >>>

Kilde kränkelte schon seit Tagen, wirkte gegen Ende seiner Fahrt vor dem Sturz mit den Kräften am Ende. Bei Pinturault resultierte sein Sturz aus einem Eigenfehler. 

"Es sind lange Tage, die Zeit zur Erholung ist sehr kurz. Die Stürze haben sich zwar aus Fahrfehlern ergeben, aber es waren wohl erzwungene Fahrfehler", meint etwa Niels Hintermann im SRF. Müdigkeit spielt laut dem Schweizer durchaus eine Rolle.

"Man sieht, was dieser Sport an Kräften abverlangt, mit diesem Programm. Ihm ist da wirklich die Kraft ausgegangen", bezieht sich ÖSV-Cheftrainer Marko Pfeifer auf Kilde.

Treibt Odermatt die Konkurrenz ans Limit?

"Wir bewegen uns alle am Limit", sagt Paris. "Die Piste verändert sich, es wird härter, eisiger, unruhiger. Dann kommt noch ein bisschen die Müdigkeit dazu. Dadurch, dass Odi (Odermatt, Anm.) das Niveau so hoch hält, bewegt sich jeder umso mehr am Limit, jeder will irgendwo dort hin."

Da reiche oft ein kleiner Schlag, ein kurzer Moment der Unkonzentriertheit, ein Sturz ist schnell passiert. Paris gibt jedoch auch zu bedenken: "Es kommt auch darauf an, wie du stürzt. Bei Aleks war der Hergang einfach so blöd, wenn man mit dem falschen Winkel ins Netz einschlägt, dann verletzt man sich schnell schwer. Da kommt es auch auf Glück oder Pech an."

Berufsrisiko sagen die einen, vermeidbarer Schaden für Sportler und den Sport im Allgemeinen die anderen. 

Jede Verletzung ist zweifelsohne eine zu viel. Dennoch sollte nach einem in dieser Hinsicht so verheerendem Wochenende nicht zur Tagesordnung übergegangen werden, findet etwa Odermatt:

"Das ist keine Kritik, aber hoffentlich eine Lehre für alle - Nicht nur hier, sondern für jeden Austragungsort, für die FIS, dass mehr nicht immer besser ist."

Zwischen Genie & Wahnsinn: Die Karriere von Kilde in Bildern

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