Wenn Markus Walder bei Ski-Übertragungen im Fernsehen zu sehen ist, heißt das meist nichts Gutes.
"Wenn sie die Läufer zeigen, läuft alles gut, wenn ich komme, brennt der Hut. Dann hat es einen Sturz gegeben oder es kann nicht gefahren werden", sagt der FIS-Renndirektor der Herren.
Auch bei der WM in Aare hatte der 54-jährige Südtiroler nach den wetterbedingten Verschiebungen schon mehr TV-Präsenz, als ihm lieb ist.
Warum es ihm nichts ausmacht, immer die schlechten Nachrichten überbringen zu müssen, erklärt Waldner im ausführlichen LAOLA1-Interview. Darin nimmt er auch zu der Kritik an der WM-Abfahrt Stellung und erklärt, warum sich einige Läufer mit ihren Aussagen ein Eigentor geschossen haben.
LAOLA1: Wie ist es, immer die schlechten Nachrichten überbringen zu müssen?
Markus Waldner: Das gehört zu meinem Job dazu. Man muss Antworten liefern, damit Missverständnisse und Fehlinterpretationen vermieden werden. Diejenigen, die im Ziel stehen, bekommen sehr viel nicht mit, was am Berg passiert. Dann muss man sich hinstellen und erklären, warum nicht gefahren werden kann. Man muss Infos geben, damit keine Gerüchte verbreitet werden, denn im Ski-Zirkus passiert das schnell. Alle wissen alles besser, kennen aber nicht die Fakten. Also muss man aufklären. Man muss transparent sein und Klartext reden, anstatt Märchen zu erzählen.
LAOLA1: Was ist die Hauptaufgabe in deiner Position als FIS-Renndirektor?
"Wie weit kann man gehen, um am Ende des Tages eine Ergebnisliste zu haben, mit der man leben kann? Das ist eine Gratwanderung, man braucht Mut."
Waldner: Wir stehen genau zwischen den Teams und Läufern und den Veranstaltern. Wir müssen eine Balance zwischen dem Sportlichen und dem Business finden. Man muss wissen, wie weit man gehen kann und wo das Limit ist. Das ist eine Gratwanderung und das Schwierigste an dem Job. Dass man es nicht allen recht machen kann, ist klar. Aber wie weit kann man gehen, um am Ende des Tages eine Ergebnisliste zu haben, mit der man leben kann? Da braucht es viel Gefühl und Erfahrung. Man muss die Umgebung kennen genauso wie die Läufer. Man muss wissen, was man ihnen zutrauen kann. Das ist eine sehr komplexe Sache, da braucht man auch Mut und Courage.
LAOLA1: Wie sieht ein Renntag für dich aus?
Waldner: Ich gehe in der Früh um fünf Uhr aus dem Haus und komme um 22 Uhr am Abend wieder heim. Aber am Renntag muss schon alles bereit sein, die Vorbereitung für ein Rennen ist enorm viel Arbeit. Am Tag nach der Herren-Abfahrt sind wir den ganzen Tag am Berg gewesen, um die Piste wieder herzurichten, weil sie ein Sauhaufen war. Wir sind jeden Tag auf Achse, ich habe den ganzen Winter keinen Tag frei. Der Rennkalender ist so dicht gedrängt, da kannst du nicht eine Woche Urlaub machen.
LAOLA1: Ist der Kalender zu dicht geplant?
Waldner: Es gibt viele Gründe, warum es nicht anders geht. Viele haben zum Beispiel gesagt, wir hätten in Garmisch am Wochenende vor der WM nicht fahren sollen, aber das ist das wichtigste Rennen in Deutschland, das kannst du nicht streichen. Im Endeffekt sind die Rennen leider wegen dem Wetter ausgefallen, aber Deutschland ist ein großer Markt.
LAOLA1: Nach der WM-Abfahrt haben unter anderem Christof Innerhofer und Beat Feuz Kritik geübt. Verstehst du die Aussagen mancher Läufer?
Waldner: Ich verstehe die emotionale Reaktion im Ziel. Die, die sich aufgeregt haben, haben sich eine Medaille ausgerechnet, sind aber leer ausgegangen. Es ist aber kein Wunschkonzert, es ist ein Freiluftsport. Dass es Skirennen auch bei Schneefall gibt, kommt vor, weil es Winter ist. Es war ein zaches Rennen, ja. Es war am Limit, teilweise vielleicht sogar ein bisschen über dem Limit, aber es war nicht gefährlich. Deshalb sind wir gefahren, aber nicht, weil wir Druck vom Veranstalter oder sonst wem hatten. Wir hatten Druck vom Wetter, die Prognose war schlecht. Aber es war nicht gefährlich, sonst hätte ich das Rennen sofort gestoppt. Wenn Beat Feuz zwei Zehntel schneller ist und aufs Podium fährt, würden die Schweizer nicht schimpfen. Dann würde vielleicht Vincent Kriechmayr schimpfen, weil er Vierter geworden wäre. Ein paar Läufer hatten einfach die Schnauze voll, weil sie nicht die Linie fahren konnten, die sie sich im Training ausgedacht haben. Die sind alle hier, um Medaillen zu machen.
LAOLA1: Die Läufer hätten ja theoretisch auch von sich aus sagen können, sie verzichten auf einen Start.
Waldner: Jeder Läufer kann selbst entscheiden, ob er fährt. Wir zwingen niemanden. Die Besten hatten am Samstag alle gleiche Bedingungen. Die Herren-Abfahrt war fairer als die Damen-Abfahrt. Bei den Herren war es von den Bedingungen her scheiße, aber für alle gleich scheiße. Wer allen gezeigt hat, was möglich war, ist Aksel Lund Svindal. Der fährt mit einem Haxn' - mit dem anderen kann er nämlich nicht mal auftreten - und gewinnt das Rennen fast, obwohl er die gleichen schlechten Bedingungen hatte. Er hat es ihnen allen gezeigt. Alle, die gejammert haben, hätten ihm stattdessen lieber Respekt zollen sollen. Das habe ich bei einigen Läufern vermisst. Es war der Tag von Aksel, sein Abschied, und ihm wurde nicht der Respekt entgegengebracht, den er sich verdient hat. Er ist ein wahrer Sportsmann, ein Gentleman. Alle, die gejammert haben, haben sich ein Eigentor geschossen und sich unsympathisch gemacht.
LAOLA1: Hast du Bedenken, dass der Sport schlecht dargestellt wird?
"Man kann schon schimpfen, aber jeder muss überlegen, was und wie er es sagt. Denn am Ende tut es unserem Sport nicht gut, wenn wir ihn selbst schlecht machen."
Waldner: Es sind immer Emotionen dabei, das ist ja auch gut so und menschlich. Man kann schon schimpfen, aber jeder muss überlegen, was und wie er es sagt. Denn am Ende tut es unserem Sport nicht gut, wenn wir ihn selbst schlecht machen. In der Vergangenheit gab es Leute wie Benni Raich oder Mario Matt, die haben auch gelitten, wenn es nicht gelaufen ist. Aber die haben nicht ein Mal ein negatives Wort gesagt. Die haben nie gejammert, obwohl sie in der Scheiße waren und von der Presse zur Sau gemacht wurden. Das sind Stars und Sportsmänner, da sieht man dann den Unterschied.
LAOLA1: In Aare wird am Mittwoch eine wichtige Entscheidung getroffen. Es geht um die Zukunft der Kombination.
Waldner: Was mit der Kombi passiert, entscheide nicht ich, es wird im FIS-Council abgestimmt. Wir müssen damit leben, was entschieden wird. Das ist eine heikle Geschichte, das ist so politisch. Klar hat die Kombination seit vielen Jahren Tradition, aber in Kitzbühel haben wir sie zum Beispiel auch gestrichen. Einfach weil es zu wenige Kombinierer gibt. Bei der WM-Kombi der Damen waren im Slalom im Endeffekt 25 Läuferinnen am Start, das ist lächerlich. Da haben auch die Verbände in die falsche Richtung gearbeitet, weil sehr viel spezialisiert wird, bereits im Jugendbereich. Der Aufwand, alle Disziplinen zu trainieren, ist enorm geworden. Deshalb bist du entweder ein Abfahrer oder Slalom-Fahrer, Kombinierer gibt es nicht mehr. Wenn du heute ein Spitzen-Abfahrer sein willst, musst du fast 100 Kilo haben, sonst bist du bei der Elite nicht dabei. Wie kann denn so einer Slalom fahren - das passt nicht mehr und schaut auch nicht gut aus. Das ist keine gute Werbung für unseren Sport. Umgekehrt muss man hingegen sagen, dass sich die Slalom-Fahrer wie Marco Schwarz in der Abfahrt sehr gut verkaufen. Es ist leichter, als Slalomläufer in der Abfahrt gut zu fahren, als umgekehrt.
LAOLA1: Viel diskutiert wird auch über die Parallel-Events. Als Fan verliert man den Überblick über die Formate und Regeln.
Waldner: Wir haben die Parallel-Bewerbe nicht erfunden, die hat es in Amerika schon vor 40 Jahren gegeben. Vor vier Jahren haben wir sie dann wieder in den Weltcup aufgenommen und es hat sich gut entwickelt. Dann sind aber die City-Events dazugekommen, die wieder andere Regeln haben und auch bei den Damen hat es andere Regeln gegeben. Daher wurde letztes Jahr im Sommer eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, um an einer Vereinheitlichung der Regeln zu arbeiten. Es muss vom FIS-Level bis zum Weltcup einheitliche Regeln geben.
LAOLA1: Und die wären?
Waldner: Die Grundidee ist ein Qualifikations-Lauf, in dem alle mitfahren müssen und niemand geschützt ist, auch die Topläufer nicht. Die 32 Schnellsten qualifizieren sich dann fürs Hauptrennen. Wie es dann weitergeht, wird noch diskutiert. Einige wollen das Format mit Run und ReRun vom Sechzehntel-Finale weg, so dauert das Rennen aber fast zwei Stunden. Es könnte also auch sein, dass man im Sechzehntel-Finale noch mit Run-ReRun fährt und erst ab dem Achtelfinale im K.o.-System. Diese zwei Varianten werden beim FIS-Exekutiv-Meeting in Aare nochmal diskutiert und der Council muss es dann absegnen. Es dauert alles sehr lange, weil das System ziemlich zähflüssig ist, da vergehen eben die Jahre. Jetzt ist der Punkt gekommen, dass wir den Bewerb auch bei der WM 2021 in Cortina machen wollen und da ist es wichtig, dass wir eine einheitliche Regel haben. Im Weltcup wollen wir mindestens vier Events haben, damit wir einen Kugel vergeben können.