"Das wäre übertrieben", sagt Mario Stecher auf die Frage, ob er aktuell mit einem Dauergrinser in die Arbeit geht.
Allen Grund zur Freude hat der Sportliche Leiter der Nordischen im ÖSV derzeit aber allemal. Bei den Skisprung-Damen gibt es Siege am laufenden Band, mit Chiara Hölzl und Stefan Kraft stellt Österreich aktuell beide Führenden im Gesamtweltcup.
Die Erfolge der Skispringerinnen haben alle Erwartungen übertroffen, dennoch müsse man laut Stecher "die Kirche im Dorf lassen, bei den Skispringern sind wir abgesehen von Stefan Kraft noch lange nicht soweit, dass wir zufrieden sind."
Im LAOLA1-Interview spricht Stecher über den zu hohen Druck für einige ÖSV-Adler, den Weg von Gregor Schlierenzauer, das Besondere im Team der Damen-Skispringerinnen und einen wahr gewordenen Traum.
LAOLA1: In Zeiten wie diesen, in denen Österreichs Skispringerinnen und Skispringer so erfolgreich sind, macht dein Job besonders Spaß, oder?
Mario Stecher: Natürlich bin ich froh, dass gerade die Skispringerinnen extrem gute Leistungen zeigen und als Team enorm stark auftreten. Auf der anderen Seite muss man die Kirche im Dorf lassen, bei den Skispringern sind wir abgesehen von Stefan Kraft noch lange nicht so weit, dass wir zufrieden sind.
LAOLA1: Die Damen haben die Erwartungen aber klar übertroffen.
"Wenn das vor der Saison jemand gesagt hätte, dass wir so gut dabei sind, dann hätte ich das als Traum abgetan. Der Traum ist jetzt einmal wahr geworden."
Stecher: Ja! Wenn das vor der Saison jemand gesagt hätte, dass wir so gut dabei sind, dann hätte ich das als Traum abgetan. Der Traum ist jetzt einmal wahr geworden. Mich freut es, dass wir in so einer Breite an der Spitze vertreten sind. Es können drei, vier Springerinnen ständig um den Sieg oder das Podest mitkämpfen.
LAOLA1: Woher kommt diese mannschaftliche Stärke?
Stecher: Das ist darauf zurückzuführen, dass wir am Anfang der Saison ganz klar gesagt haben: Jede einzelne muss den Teamkolleginnen den Erfolg gönnen, dann ist man selber auch einmal dran. Das setzen die Damen ganz gut um, das ist schön zu beobachten. Im Augenblick ziehen alle an einem Strang. Es ist ein sehr kleines, aber sehr gut arbeitendes Trainerteam. Im Augenblick sprechen alle dieselbe Sprache, darum funktioniert es so gut.
LAOLA1: Was für eine Rolle spielt das Material?
Stecher: Man muss sich ständig weiterentwickeln. Wir haben bei den Damen in Punkto Material investiert und versucht, an gewissen Schrauben zu drehen. Das hat wirklich Früchte getragen, sie sind materialtechnisch ganz vorne dabei. Wir haben auch im Servicebereich nachjustiert, haben jetzt teilweise einen zweiten Betreuer dabei. Auch bei den Anzügen haben wir ein bisschen was probiert. Insgesamt ist alles sehr positiv, aber es ist nichts, was andere Mannschaften nicht auch hätten.
LAOLA1: Chiara Hölzl hat in dieser Saison bisher sechs Springen gewonnen und war nur zwei Mal nicht am Podest. Woher kommt diese Konstanz?
Stecher: Chiara hat sich das über sehr viele Jahre erarbeitet. Sie war in den vergangenen Jahren im Training oft sehr gut, hat es dann im Wettkampf aber kaum umsetzen können. In dieser Saison beweist sie mentale Stärke, sie weiß genau, dass sie im Wettkampf nochmal zulegen kann. Man sieht es auch an ihrem Auftreten: Sie hat einfach eine richtig positive Stimmung, immer ein strahlendes Lächeln und das kommt dann auch bei den Leuten gut an. Es macht richtig Spaß, ihr zuzusehen.
LAOLA1: Der ÖSV hat Eva Pinkelnig nach ihren schweren Stürzen, als viele sie bereits abgeschrieben haben, das Vertrauen ausgesprochen. Das hätte wohl nicht jeder gemacht.
Stecher: Man hat ja vor den Stürzen schon gewusst, dass die Eva eine gute Skispringerin werden kann und absolutes Talent hat. Wenn man nach zwei so schweren Stürzen keine gute Betreuung bekommt, dann kann es mit der Karriere auch vorbei sein. Wir haben Eva nach den Stürzen die Möglichkeit gegeben, dass sie sich selbst ihr Team sucht, mit dem sie arbeiten will. Als sie dann wieder auf einem gewissen Level war, ist sie gut ins Team integriert worden. Sie hat auch jetzt noch die Möglichkeit, viel Individualität ins Training reinzubringen und das funktioniert wie man sieht gut.
LAOLA1: Chiara Hölzl führt aktuell den Gesamtweltcup an. Wie schätzt du die Chancen ein, dass das bis zum Ende der Saison so bleibt?
Stecher: Natürlich ist das Ziel, bis zum Schluss zumindest auf Augenhöhe mit Maren Lundby, der Dominatorin der letzten Jahre, zu sein. Wenn das gelingt und es dann schlussendlich nur – unter Anführungsstrichen - zum zweiten oder dritten Platz reicht, ist es auch eine absolute Topleistung und definitiv mehr, als wir vor der Saison erwartet hätten. Ich bin überzeugt davon, dass wir mit der Doppelspitze Hölzl und Pinkelnig in keiner schlechten Position sind. Als Team ist auch die Nationenwertung sehr wichtig, da sind wir aktuell erfreulicherweise sehr weit vorne.
LAOLA1: Bei den Damen gibt es mehrere Siegspringerinnen, bei den Herren kann aktuell nur Stefan Kraft ganz vorne mitspringen.
Stecher: Stefan Kraft springt auf einem sehr hohen Level. Alle anderen haben sicher noch Potenzial nach oben. Es ist ein guter Weg, den wir eingeschlagen haben, aber wir sind sicher noch nicht zufrieden.
LAOLA1: Philipp Aschenwald, Daniel Huber und Jan Hörl haben zu Saisonbeginn mit guten Leistungen aufgezeigt. In den letzten Wochen ist etwas der Faden gerissen, warum?
"Wir sind mit sehr guten Resultaten im Gepäck zur Vierschanzen-Tournee gefahren. Natürlich ist dann der Druck enorm gestiegen. Damit hatten sie zu kämpfen und sind nicht mehr ganz so gut gesprungen. Da haben wir mit dem Druck vielleicht nicht ganz so gut umgehen können."
Stecher: Wir sind mit sehr guten Resultaten im Gepäck zur Vierschanzen-Tournee gefahren. Natürlich ist dann der Druck, den sich die Athleten auch selbst gemacht haben, enorm gestiegen. Damit hatten sie dann teilweise zu kämpfen und sind nicht mehr ganz so gut gesprungen. Da haben wir mit dem Druck vielleicht nicht ganz so gut umgehen können. Mittlerweile ist das wieder vergessen. Sie wissen, an welchen Sachen sie arbeiten müssen. Philipp Aschenwald war bis zur Tournee im Topfeld, danach hatte er leider nur mehr vereinzelt richtig gute Sprünge. Michael Hayböck findet schon langsam zu seiner alten Stärke zurück. Jan Hörl ist wieder einigermaßen in Form, wenn sie ihn in Sapporo nicht disqualifiziert hätten, wäre er Fünfter geworden. Das darf natürlich nicht passieren, aber er hat zumindest gesehen, dass er wieder ganz vorne mitspringen kann.
LAOLA1: Also ist es eher eine Kopfsache als sprungtechnische Fehler?
Stecher: Absolut. Wenn der Kopf nicht ganz mitspielt, hat man auch andere Defizite, aber ich bin der Meinung, dass unsere Burschen auf höchstem Level springen können. Das muss einfach in die Köpfe rein: Wenn sie ihre Leistungen bringen, können sie mit den Besten mithalten. Wir brauchen nicht nach links oder rechts zu schauen, wir müssen uns auf uns konzentrieren. Dann sind wir als Mannschaft überall und jederzeit vorne dabei.
LAOLA1: Wie sinbist du mit den Leistungen von Gregor Schlierenzauer bisher zufrieden?
Stecher: Es war bis jetzt definitiv eine durchwachsene Saison. Er hat einige richtig gute Sprünge gehabt, andererseits musste er einige Niederlagen einstecken, wo man eigentlich geglaubt hat, er ist insgesamt schon weiter. Aber die Dichte im Skispringen ist einfach enorm hoch, da darf man sich keine groben Fehler erlauben. Gregor muss einfach für sich selbst den Weg finden, von dem er glaubt, es ist der richtige. Er muss an ihm selbst weiterarbeiten, dann hat er definitiv eine Chance.
LAOLA1: Stefan Kraft führt aktuell im Gesamtweltcup. Wie stehen die Chancen auf den Sieg?
Stecher: Momentan schaut es mal sehr gut aus. Er hat jetzt zwei Siege, aber auch viele zweite Plätze. Wenn man um den Gesamtweltcup mitkämpfen will, muss man ständig vorne dabei sein. Stefan hat das Potenzial dazu. Es ist ein ständiger Kampf auf Augenhöhe der Topathleten. Schlussendlich wird es um die Beständigkeit gehen: Derjenige, der am längsten durchhält und keine großen Einbrüche erlebt, wird Gesamtsieger sein.
LAOLA1: Für die Herren steht mit dem Skifliegen am Kulm ein Heimweltcup an. Gibt es eine Zielvorgabe und wenn ja, wie sieht sie aus?
Stecher: Unser Ziel ist natürlich, in jedem Springen um das Stockerl mitzukämpfen. Das muss einfach unser Anspruch sein. Im Augenblick gelingt das Stefan Kraft sehr gut, er ist seit sechs, sieben Jahren im Weltcupzirkus der mit Abstand beste Punktelieferant. Das ist wunderschön zu beobachten. Ich hoffe, dass der eine oder andere ums Podium mitmischen kann.
LAOLA1: Kommen wir noch zur Nordischen Kombination. Wie fällt die Saisonbilanz bisher aus?
Stecher: Wir haben uns von der ganzen Saison mehr erwartet. Wir konnten nach der letzten Saison mit einigem Selbstvertrauen in diesen Winter gehen, aber dann haben wir leider Mario Seidl mit einem Kreuzbandriss verloren. Dadurch fehlt auch ein wichtiger Gradmesser im Skispringen für Franz-Josef Rehrl, das interne Wetteifern auf hohem Niveau geht etwas ab. Auch Bernhard Gruber ist nicht dabei, er kämpft eigentlich seit Beginn der Saison mit Krankheiten. Dadurch ist vielleicht nicht ganz der Flow in der Mannschaft wie noch im Vorjahr. Für ganz vorne reicht es im Moment nicht. Dafür sind wir mit Lukas Greiderer sehr zufrieden, auch Martin Fritz liefert gute Ergebnisse. Richtig cool war auch, dass in Seefeld drei enorm junge Athleten dabei waren: Johannes Lamparter, Manuel Einkemmer und Stefan Rettenegger. Die haben positiv überrascht.
LAOLA1: Vielen Dank für das Gespräch!