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Stecher: "Teilweise könntest du da jeden disqualifizieren"

Der Sportliche Leiter des ÖSV in der Sparte Skisprung und Nordische Kombination wehrt sich bei LAOLA1 gegen die Vorwürfe aus der Schweiz.

Stecher: Foto: © GEPA

Am Freitag sorgte ein Schweizer Skispringer, der anonym bleiben möchte, mit einer "Anzug-Beichte" für jede Menge Aufsehen (alle Infos >>>).

Der Athlet behauptete, beim Skifliegen am Kulm mit einem zu großen Anzug gesprungen zu sein und dennoch problemlos durch die Anzugkontrolle gekommen zu sein.

"Es betrügen praktisch alle, da muss ich mitziehen, sonst habe ich keine Chance", so der Eidgenosse im Schweizer "Blick".

Angefangen damit habe das rot-weiß-rote Springerteam, wie Ex-Weltmeister Andreas Küttel im "Blick" behauptet. "Die Österreicher haben mit dem Material-Beschiss begonnen. Kurz darauf folgte die internationale Konkurrenz", sagt der Schweizer.

"Dafür gibt es ja Anzugkontrollerue"

Ein Aha-Erlebnis habe er 2005 in Lillehammer gehabt. Damals sei ÖSV-Chefcoach Alexander Pointner beim Frühstück auf ihn zugekommen und habe gefragt, ob er in beiden Durchgängen mit dem selben Anzug gesprungen sei. Küttel sagt, er habe dann verdutzt entgegnet, nur einen Anzug zu haben.

In diesem Moment sei ihm der Gedanke gekommen, dass die Top-Springer zwischen den Durchgängen die Anzüge tauschen würden. "Wenn du nach dem ersten Durchgang in die Kontrolle musstest, konntest du davon ausgehen, dass du nach dem zweiten Sprung verschont bleibst", schildert er aus seiner Sicht die Gründe dafür, dass die mutmaßliche Schummelei nicht aufgeflogen sei, da die Anzüge ja die gleiche Farbe gehabt hätten.

Das will der Sportliche Leiter der Sparte Skispringen und Nordische Kombination im ÖSV, Mario Stecher, gegenüber LAOLA1 so nicht stehen lassen.

"Tatsache ist: Wenn man jetzt sagt, man würde heutzutage betrügen bzw. man würde nicht regelkonforme Anzüge springen, dann muss ich dem ganz klar widersprechen. Denn dafür gibt es ja Anzugkontrolleure", so der 45-Jährige.

"Packelei" hinter verschlossenen Türen?

Genau jene sind es aber, die im Zentrum der Kritik von Andreas Küttel und dem anonymen Schweizer Springer stehen.

Küttel: "Das Problem ist, dass die Messungen hinter verschlossenen Türen stattfinden. Sobald die Türe zugeht, werden Deals gemacht." ÖSV-Herrencoach Andi Widhölzl meinte im Vorjahr dazu, dass man früher "leichter durchgerutscht" sei, wenn man "einen Namen hatte". 

Was auch die Aussage von Ex-Materialkontrolleur Sepp Gratzer bemerkenswert macht, der zum "Blick" sagte, man habe "nie Polizei spielen wollen und unbedingt jemanden erwischen".

"Ich kann nur sagen, man muss mit dem Kontrolleur irgendwo einen Konsens finden. Man muss sagen, was ist erlaubt und was ist nicht mehr erlaubt", hält Stecher dahingehend fest.

"Da ist das natürlich auch eine Frage der Athletinnen und Athleten, wie ich mich mit diesem Kontrolleur verständige, auch über die Saison hinweg und über die Jahre hinweg", sagt der ÖSV-Verantwortliche.

"Wenn man da ein gutes Einvernehmen hat und ich sage: Schau, ich mach meinen Anzug so in die Richtung - passt dir das, passt dir das nicht? Es gibt ja auch immer wieder Vor- und Zwischenkontrollen und wenn das dieser Anzugkontrolleur für gut befindet, hast du natürlich ein viel besseres Standing, als wenn du versuchst, gewisse Dinge immer noch mehr und mehr auszuloten", erklärt er auch die Bedeutung des Zwischenmenschlichen in der Sache.

Die Krux mit der Messmethode

Stecher stellt aber auch klar: "Wenn ein besserer Athlet oder eine Nation gegenüber den 'schwächeren' bevorzugt wird, ist das natürlich ein No-Go. Aber das ist definitiv nichts, was ich aus meiner Karriere behaupten kann."

In einer Sache sind sich Stecher und die beiden Schweizer Protagonisten aber einig: Die Mess-Methode sorgt für großen Diskussionsstoff. Denn es wird nach wie vor von Hand gemessen. Das gibt den Athleten einen gewissen Spielraum für Tricksereien. "Ich ziehe den Anzug nach oben, sodass an meinen Schultern vorübergehend deutlich mehr Stoff ist", erklärt etwa der anonyme Schweizer Athlet.

Stecher ist sich dieses Problems bewusst. Die Frage sei, "wie steht der Springer oder die Springerin da? Wenn ich den Anzug nach oben strecken 'darf' - sagen wir jetzt einmal so - dann habe ich natürlich wieder wesentlich mehr Möglichkeiten, in der Länge etwas zu kaschieren."

"Dann könntest du jeden disqualifizieren"

Auch FIS-Materialchef Christian Kathol weiß, dass händische Messungen "nicht immer zu 100 Prozent präzise" sein können. Dazu komme, dass man an einem Wettkampfwochenende nur 80 bis 85 Prozent der Springer:innen ausführlich überprüfen könne. "Für alle haben wir keine Zeit und zu wenig Kontrolleure", stellt er klar. 

Stecher unterstreicht: "Das ist hundertprozentig so. Wenn man etwas mit der Hand misst, wenn man an den Stoff denkt, der natürlich dehnbar ist und wenn man genau weiß, auch der Körper verändert sich von in der Früh bis am Abend, dann sind natürlich kleinere Veränderungen definitiv einfach da. Teilweise könntest du dann ja jeden in diesem Zirkus disqualifizieren", so der Ex-Kombinierer.

Dennoch sieht er die Lage zumindest aktuell noch stabil: "Da gehts oft einmal auch um ein gewisses Fingerspitzengefühl oder einfach darum, dass man sagt, okay man ist in diesem Rahmen drinnen und in diesem Rahmen scheinen sich im Augenblick sehr, sehr viele zu befinden, denn sonst würden wesentlich mehr (Athleten, Anm.) disqualifiziert werden."

ÖSV sieht sich "gut aufgestellt"

Stecher sieht auch Kathol und die FIS gefordert, hier für Abhilfe zu sorgen. Man müsse unbedingt "etwas finden, wie einen Scanner, ein 'Body-Measurement', das dann Hand und Fuß hat. Dann geht es um Millimeter und man sieht: Ist das richtig oder ist das falsch? Wenn ich mit Fingern messe, sind natürlich kleinere Unstimmigkeiten da", so der Eisenerzer.

Schweiz-Coach Martin Künzle meinte, man gehe bei den Anzügen mittlerweile "ans Limit und darüber hinaus, solange es durchgeht."

Stecher meint darauf angesprochen: "Ich kann nur sagen: Natürlich versuchen wir uns nach der Decke zu strecken und mit dem Trend einfach mitzugehen." Er glaube, "dass man im Moment sehr gut aufgestellt ist und das in Österreich auch gut funktioniert."

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