Wenn Daniel Tschofenigs bisherige Saison mit einem Wort beschrieben werden müsste, könnte dieses "Vierschanzentournee-Sieger" lauten.
Doch hinter dem Gesamtweltcup-Leader steckt viel mehr als nur der Goldene Adler, seine ungeheure Konstanz sticht besonders heraus. In 17 Einzel-Bewerben landete der ÖSV-Überflieger nur ein einziges Mal nicht in den Top 6, dafür satte elf Mal am Podest.
Anfang Dezember feierte der 22-Jährige in Wisla seinen langersehnten ersten Weltcup-Sieg, während der Tournee schlüpfte er ins Gelbe Trikot und nennt dieses seitdem sein Eigen.
Dem ehemaligen Junioren-Weltmeister ist 2024/25 der Schritt zum Weltklasse-Springer gelungen, der Villacher zählt bei der Nordischen Ski-WM in Trondheim (26. Februar bis 9. März) zu Österreichs heißesten Eisen.
Im LAOLA1-Interview spricht Tschofenig über die Zeit nach seinem Tournee-Sieg und erklärt, warum der im Sommer erlittene Adduktoreneinriss im Bein insgeheim sein Erfolgsgeheimnis sein kann.
LAOLA1: Wie lange hast du gebraucht, um zu realisieren, was während der Vierschanzentournee passiert ist?
Tschofenig: Tatsächlich ein paar Tage. Die ersten Tage wusste ich schon, was ich gewonnen habe - das ist cool und etwas Großes, aber ich habe nicht ganz verstanden, welche Wichtigkeit das hat. Ich glaube es war Samstag oder Sonntag, da habe ich es verstanden, aber auch von einer Sekunde auf die andere. Irgendwie ist es aufkommen, dann habe ich mir gedacht: Geil.
LAOLA1: Hat der Goldene Adler daheim schon einen Platz gefunden?
Tschofenig: Wir haben in der Wohnung ein Kastl rund um den Fernseher, da stehen die Tagestrophäen mit dem Goldenen Adler und dem Bären von Zakopane drauf.
LAOLA1: Kommen wieder Erinnerungen hoch, wenn du auf die Trophäen blickst?
Tschofenig: Es wird relativ schnell leider zur Normalität, dass ich vorbeigehe und denke: Cool, schau dir das an. Aber wenn ich auf der Couch liege und nicht wirklich etwas zu tun habe, schaue ich einmal rauf und Erinnerungen wie zum Beispiel, als ich die Trophäe von Ryoyu Kobayashi überreicht bekam, kommen wieder hoch. Das ist schon ziemlich cool.
LAOLA1: Wenige Tage nachdem du realisiert hattest, was dir überhaupt gelungen ist, ging es bereits nach Zakopane weiter. War es schwierig, sich wieder zu fokussieren?
Tschofenig: Ich muss sagen, wir haben mit dem Management gut zusammengearbeitet. Wir haben gesagt, bis Montag liegt der Fokus zum Großteil auf den Medien und danach herrscht wieder voller Fokus auf Skispringen. Da habe ich die Medienarbeit komplett abgeschlossen, habe in der Zeit auch keine Interviews mehr gegeben, weil ich gesagt habe, von dem Moment an geht es wieder um den Sport. Deswegen hatte ich auch keine Probleme, mich wieder zu fokussieren.
"Die Saison ist schon jetzt richtig genial, ich muss nicht noch etwas drauflegen, sondern kann locker drauf losspringen. Ich habe nichts mehr zu beweisen."
LAOLA1: Haben sich die ersten Trainingssprünge sofort wieder wie während der Tournee angefühlt?
Tschofenig: Ich habe schon gemerkt, dass durch die Tournee ein Druckabfall entstanden ist, weil die Tournee bei uns ein Riesenthema ist. Die ersten Sprünge danach waren mit weniger Stress verbunden, weil ich wusste, dass ich die Tournee schon gewonnen habe. Die Saison ist schon jetzt richtig genial, ich muss nicht noch etwas drauflegen, sondern kann locker drauf losspringen. Ich habe nichts mehr zu beweisen, bin sehr entspannt reingegangen und es hat sich gut angefühlt.
LAOLA1: Das heißt, du konntest die Welle weiterreiten?
Tschofenig: Ich tue mir extrem leicht auf der Schanze, wenn ich ein klares Konzept habe und weiß, was ich tun muss, damit ich gut springe. Da surft man auf dieser Welle dahin.
LAOLA1: Hat der erste Weltcup-Sieg in Wisla den Knoten bei dir gelöst?
Tschofenig: Der Sieg war sehr wichtig für die mentale Komponente. Ich war davor schon mehrmals knapp dran, aber es hat nie ganz gereicht. Das war die Bestätigung, dass ich nichts anders machen muss, sondern meine Sprünge machen und mit denen gewinnen kann.
LAOLA1: Seitdem sind vier weitere Weltcup-Siege hinzugekommen.
Tschofenig: Ich konnte davor ebenfalls echt gut springen, jetzt bringe ich auch die Konstanz rein. Dafür bin ich eigentlich bekannt, dass ich sehr konstant springen kann, aber dieses Mal auf einem hohen Niveau. Das, was ich oft schon in Trainings gezeigt habe, zeige ich jetzt im Wettkampf.
LAOLA1: Du hast im Sommer einen Adduktoreneinriss erlitten und konntest mehrere Wochen nicht trainieren. Was hat diese Zeit mit dir gemacht?
Tschofenig: Die Verletzung war in vielerlei Hinsicht gar nicht so schlecht. Ich hatte den Adduktoreneinriss rund um den 20. Juni, bin zwei Monate nicht gesprungen, weil es ein Stück länger gedauert hat als erwartet, aber es hat im Kopf viel bewirkt. Ich hatte Zeit für andere Dinge, die mir viel Spaß machen, die ich sonst vielleicht nicht machen kann. Ich habe eine andere Sicht auf das Skispringen bekommen, deswegen hat mir das brutal geholfen. Es hat mich nachher schon überrascht, dass es von Anfang an so gut hingehaut hat. Ich habe gemerkt, dass ich ziemlich lässig springe, aber ich konnte nicht wirklich einschätzen, wo das Team und ich stehen. Deswegen hat es mich überrascht, dass ich von Anfang an so stark bin - darüber habe ich mich auch nicht beschwert. (lacht)
"Ich könnte nie so springen wie Jan oder 'Krafti', und die beiden vermutlich nicht so wie ich."
LAOLA1: Lernt man in dieser Zeit, geduldig zu sein?
Tschofenig: Ja, schon. Was ich relativ gut gemacht habe, ist, mir ein Ziel zu setzen. Ich habe mich verletzt und relativ schnell gewusst, dass ich zu dem und dem Zeitpunkt wieder zurück auf die Schanze gehen will, was geholfen hat. Es ist nicht ganz so leicht, ich wurde aus meinem normalen Tagesschema rausgerissen, schaute den Kollegen auf der Schanze zu, wie sie trainieren und springen. Ich selbst sitze daheim und merke, es geht nicht bzw. ich kann nichts machen - das hat mich gestresst. Ich habe mich allerdings sehr schnell damit abgefunden, wusste, es ist jetzt so und ich kann nichts ändern. Ich kann stattdessen das Beste daraus machen und so stark wie möglich aus der Verletzung wieder zurückkommen. Der Blick nach vorne hat mir geholfen.
LAOLA1: Viele fragen sich, was dein Schlüssel zum Erfolg nun genau ist. War es insgeheim die Verletzung, weil du dir selbst den Druck nehmen konntest?
Tschofenig: Sagen wir es so, es hat definitiv nicht geschadet. Ich hatte durch die Verletzung eine andere Herangehensweise, mein Team und ich hatten extrem wenig Zeit. Ich bin erst Ende August zum ersten Mal wieder gesprungen und habe im Oktober nochmal eine dreiwöchige Sprungpause eingelegt. Deswegen wussten wir, dass wir heuer wenig Zeit haben, um etwas zu verbessern und hatten eine andere Strategie. Wir haben beim Material nur Kleinigkeiten getestet, die gut funktioniert haben. Wir haben geschaut, dass wir die Dinge, die sprungtechnisch vorhanden sind, effizient gestalten und ein Thema nach dem anderen angehen. Wir sind zuerst den Absprung angegangen, dann die Flugphase und kurz vor dem Weltcupstart haben wir die einzelnen Puzzleteile zusammengesteckt. Ich wusste, es passt noch nicht jedes Teil perfekt zusammen, aber es funktioniert schon und wenn es soweit ist, dann kann es richtig cool werden. Das hat mir viel Druck genommen und vielleicht war es auch diese Herangehensweise, die mich heuer so stark gemacht.
LAOLA1: Dein Sprungstil unterscheidet sich doch deutlich von jenem von Jan Hörl und Stefan Kraft. Während deine beiden Teamkollegen eher flach und mit hoher Geschwindigkeit über den Hang segeln, hast du eine höhere Flugkurve und büßt vielleicht etwas Geschwindigkeit ein, bist aber genauso erfolgreich. Wie entwickelt sich so ein Sprungstil?
Tschofenig: Es hat etwas damit zu tun, wie man als Kind angefangen hat. Den Sprungstil in unserem Alter gravierend umzustellen, ist extrem schwierig. Ich könnte nie so springen wie Jan oder 'Krafti', und die beiden vermutlich nicht so wie ich. Ich kann es heuer das erste Mal richtig gut umsetzen, dass ich die Flughöhe mitnehme, aber gleichzeitig nicht mehr so viel Speed verliere. Das war sonst immer ein Problem, vor allem auf größeren Schanzen.
LAOLA1: Hast du früher einmal einen anderen Sprungstil ausprobiert?
Tschofenig: Ja, aber immer wenn ich es versucht habe, habe ich gemerkt, dass es nicht zu mir passt. Ich nehme keine Höhe mehr mit und fliege auch nicht so gut wie die anderen, die es schon gewohnt sind, so flach zu sein.
LAOLA1: Hast du mit deinem Sprungstil den Vorteil, dass dieser weniger anfällig für den Wind ist?
Tschofenig: Ja, das ist schon ein großer Vorteil. Mehr Höhe schadet nie, deswegen ist es der etwas sicherere und stabilere Sprung, würde ich behaupten. Wenn etwas mehr Rückenwind ist, tue ich mir leichter damit umzugehen.
LAOLA1: Cheftrainer Andreas Widhölzl meinte während der Vierschanzentournee, dass du die stabilste Grundtechnik hättest und jeder Sprung von dir gleich aussehe. Fühlt sich jeder Sprung auch gleich an?
Tschofenig: Nein, absolut nicht. Die Sprünge schauen oft gleich aus, deshalb ist die Konstanz auch da. Für die Analyse ist das aber gar kein Vorteil. Wenn man einen großen Fehler sieht, tut man sich leichter zu verstehen, warum der eine Sprung funktioniert und der andere nicht. Wenn der Sprung wirklich ganz anders aussieht, funktioniert er auch nicht so gut.
LAOLA1: In weniger als einem Monat steht mit der Weltmeisterschaft in Trondheim bereits das nächste Saison-Highlight an. Kann euch dort ähnliches wie bei der Tournee gelingen?
Tschofenig: Ich hoffe, dass wir bis dahin alle noch so gut springen. Wir haben drei bis vier Athleten, bei denen wir wissen, dass sie um den Tagessieg mitspringen können. Man muss aber auch sagen, dass es bei einer WM schneller geht als bei einer Tournee. Wenn sich dort jemand gut auf die Schanze einspringt und den besten Tag seines Lebens hat, dann kannst du auch nichts machen.
LAOLA1: Was hat für dich mehr Wert: der Tourneesieg oder ein WM-Titel?
Tschofenig: Schwierige Frage - rein von den sportlichen Leistungen vermutlich der Tourneesieg. Du hast vier Springen, musst über alle vier Springen hinweg der Beste sein. Bei der WM hast du einen Wettkampf, wenn es dann auch noch windig ist, hat er wirklich wenig Aussagekraft. Auch im Herzen hat die Tournee mehr Wert für mich, sie hat mehr Tradition und ich bin ein großer Fan davon. Man muss trotzdem sagen, dass die WM ebenfalls extrem genial ist. Ich war vor zwei Jahren in Planica das erste Mal dabei, habe es sehr genossen. Trotzdem würde ich mich für den Tourneesieg entscheiden.
LAOLA1: Gegen einen WM-Titel hättest du trotzdem nichts einzuwenden.
Tschofenig: Logischerweise will ich beides gewinnen, das ist gar keine Frage.
LAOLA1: Ich bin etwas gemein: Wo reiht sich der Gesamtweltcup dann ein?
Tschofenig: Boah, das ist wirklich brutal. (lacht) Der Gesamtweltcup ist rein sportlich gesehen das tougheste zu gewinnen. Natürlich kann man fragen, warum? Olympia ist alle vier Jahre, den Gesamtweltcup kannst du jedes Jahr gewinnen. Doch du musst eine ganze Saison lang, über fünf, sechs Monate hinweg einfach sehr gut springen und konstant sein. Wenn du das gewinnst, dann wirklich allerhöchsten Respekt dafür. Deswegen ist der Gesamtweltcup sicher irgendwo ganz oben mit Olympia, der Vierschanzentournee und der WM.