news

Trainer-Export Thurnbichler: "Es ist ein Haifischbecken"

Bei seinem Abschied vom ÖSV gab es Misstöne. Jetzt trainiert Thomas Thurnbichler erfolgreich Polens Skispringer, steht aber auch ständig unter Druck. Interview:

Trainer-Export Thurnbichler:

Österreichische Skisprung-Trainer im Ausland gibt es viele. Seit diesem Jahr einen mehr: Thomas Thurnbichler. 

Der Tiroler kehrte dem ÖSV im Frühling den Rücken, um bei der großen Skisprung-Nation Polen erstmals als Cheftrainer anzuheuern - mit nur 33 Jahren. 

"Natürlich sind auch Zweifel dabei gewesen. In der vergangenen Saison sind in Polen die Wogen hochgegangen, es war eine Zerrüttung im Team da. Skispringen ist in Polen Nationalsport, in keinem anderen Land ist die Aufmerksamkeit auf den Sport so hoch. Das waren schon Faktoren, aufgrund derer ich mir das gut überlegen musste", sagt Thurnbichler gegenüber LAOLA1. 

Warum er schlussendlich dennoch zugesagt hat und wie der Abschied vom ÖSV wirklich ablief, erzählt Thurnbichler im Interview. 

Außerdem verrät er, warum er gerne mal mit Alex Pointner oder Toni Innauer telefoniert und warum Dawid Kubacki, der aktuell beste Skispringer im Weltcup, die Vierschanzen-Tournee gewinnen muss. Es wäre der fünfte Gesamtsieg in den jüngsten sieben Auflagen der Tournee für Polen. 

LAOLA1: Wie hast du dich in deiner Rolle als Cheftrainer in Polen eingelebt?

Thomas Thurnbichler: Ich glaube, dass wir über den Sommer hinweg schon sehr viel richtig gemacht haben. Wir haben versucht, das ganze polnische Skisprung-System in den Veränderungsprozess zu involvieren, angefangen vom Junioren-Kader über den Continental Cup bis zum Weltcup. Wir haben ein Stützpunkt-System etabliert und es geschafft, dass wir die erfolgreichsten Sportler von unseren Ideen begeistern konnten.

LAOLA1: Wie zufrieden bist du mit der bisherigen Saison?

Thurnbichler: Man muss schon dankbar sein, wenn man solche Erfolge feiern darf. Aber natürlich ist man nie ganz zufrieden. Wir haben vier Leader im Team: Unsere drei arrivierten Sportler Dawid Kubacki, Piotr Zyla und Kamil Stoch und mit Pawel Wasek einen Jungen, der sich super entwickelt hat. Dahinter merkt man allerdings schon, dass es noch viel zu tun gibt, um die Lücke zu schließen.

LAOLA1: Wie ist es eigentlich zu deinem Engagement in Polen gekommen?

Thurnbichler: Es wurden damals Gespräche mit Alex Pointner geführt, der den Cheftrainer-Posten in Polen übernehmen hätte sollen. Er hat mich dann gefragt, ob ich es mir vorstellen kann, sein Assistenz-Trainer zu werden und die Funktion des Junioren-Koordinators zu übernehmen. Nachdem die Gespräche zwischen Alex Pointner und der Verbandsführung dann nicht so erfolgreich verlaufen sind, ist Adam Malysz dann letztes Jahr in Vikersund an mich herangetreten und hat gefragt, ob ich es mir vorstellen könnte, Cheftrainer zu werden. So ist der ganze Entscheidungsprozess ins Laufen gekommen. Ich habe sehr viele Gespräche geführt und mir das sehr gut durch den Kopf gehen lassen, weil ich davor schon mit vollem Herzen in Österreich dabei und als Assistenztrainer im ÖSV glücklich war. Aber für mich war es schlussendlich dann schon der richtige Schritt, um mich als Mensch und Trainer weiterzuentwickeln. Wie oft bekommt man so eine Chance im Leben? Deshalb habe ich mir gedacht, ich riskiere das jetzt.

"Ich habe Mario Stecher den Handschlag darauf gegeben, das stimmt. Da hatte ich einen schwachen Moment, in dem Zweifel bezüglich dem Job in Polen hochgekommen sind. Das war sicher nicht die feine Art."

Thurnbichler über den Abschied vom ÖSV

LAOLA1: Es ist deine erste Station als Cheftrainer. Hattest du auch Zweifel, ob du der Aufgabe gewachsen bist, noch dazu gleich bei einer der Top-Nationen?

Thurnbichler: Natürlich sind auch Zweifel dabei gewesen. In der vergangenen Saison sind in Polen die Wogen hochgegangen, es war eine Zerrüttung im Team da. Skispringen ist in Polen Nationalsport, in keinem anderen Land ist die Aufmerksamkeit auf den Sport so hoch. Das waren schon Faktoren, aufgrund derer ich mir gut überlegen musste, ob ich mich in ein Haifischbecken reinsetze. Aber ich habe dann zum Glück ein erfahrenes Team mitnehmen können mit Marc Nölke, der unter Alex Pointner Assistenztrainer war und dort schon auf höchstem Niveau Erfahrungen gesammelt hat, sowie Mathias Hafele, der seit 15 Jahren im höchsten Bereich fürs Material zuständig ist. Da habe ich gewusst: Mit den beiden gemeinsam können wir das stemmen und es kann erfolgreich werden. Ich bin von meiner Grundpersönlichkeit her schon ein Mensch, der Risiken eingeht und aus seiner Komfortzone raus geht.

LAOLA1: Bei deinem Abschied vom ÖSV waren auch ein paar Misstöne dabei. Mario Stecher war von deinem Wechsel überrascht, nachdem du ihm per Handschlag zugesichert haben sollst, dass du beim ÖSV bleibst. Wie war das aus deiner Sicht?

Thurnbichler: Mario und ich haben das ausgesprochen, wir verstehen uns gut. Er hat mich immer als Trainer gefördert und als Assistenztrainer im ÖSV eingesetzt. Es war damals so, dass beim Weltcup-Finale in Planice die Euphorie da war, weil wir mit Österreich den Nationencup gewonnen haben. Mario und ich sind im Auslauf beisammen gestanden und ich habe ihm den Handschlag darauf gegeben, dass wir es im nächsten Jahr noch besser machen. Das stimmt. Da hatte ich einen schwachen Moment, in dem Zweifel bezüglich dem Job in Polen hochgekommen sind. Dann hat mir Adam Malysz aber alle Zweifel, die ich wegen der Situation im polnischen Team hatte, nehmen können und ich habe mich doch für Polen entschieden. Das war sicher nicht die feine Art, aber ich bin auch nur ein Mensch und bin da kurz schwach geworden.

LAOLA1: Wie intensiv ist die Zusammenarbeit mit Adam Malysz?

Thurnbichler: Ich habe mich am Anfang sehr viel mit Adam ausgetauscht und versucht, mir ein Bild zu machen. Dann habe ich gemeinsam mit meinem Team einen Plan entwickelt und seitdem lässt uns Adam freie Hand. Wir sind natürlich ständig im Austausch, aber als Präsident des polnischen Skiverbandes hat er jetzt auch nicht mehr die Zeit, dass er immer eng beim Team dabei ist. Das Vertrauen von seiner Seite ist aber voll da.

LAOLA1: Nach den gescheiterten Gesprächen mit Alex Pointner stand im Raum, dass er zumindest eine Berater-Funktion in Polen übernimmt. Ist es dazu gekommen?

Thurnbichler: Es war einmal angedacht, aber Alex ist in keiner offiziellen Berater-Funktion im polnischen Skiverband. Natürlich gibt es Verbindungen zu Alex, Marc (Nölke, Anm.) und Mathias (Hafele, Anm.) haben in der Vergangenheit ja auch mit ihm gearbeitet. Wir sind in Kontakt, genauso wie ich in den letzten Jahren viel mit Toni Innauer telefoniert habe. Das ist eine freundschaftliche Beratung, wenn man mal einen Rat braucht. Ich bin der Meinung, man sollte nicht stur sein Ding durchziehen sondern auch offen sein für Meinungen von außen.

Die Erwartung und der Druck von außen ist in Polen sehr hoch. Was man in Österreich vielleicht nur während der Tournee hat, erlebe ich das ganze Jahr über.

Thurnbichler über die hohe Erwarungshaltung in Polen

LAOLA1: Du musstest deine aktive Karriere früh beenden. War dir gleich klar, dass du Trainer werden willst?

Thurnbichler: Als ich damals meine aktive Karriere beendet habe, habe ich mich entschieden, das mit vollem Einsatz zu machen. Ich habe dann auch ein Studium in Sportwissenschaften gemacht. Mein Ziel war immer, als Trainer erfolgreich zu sein. Ich wollte mich immer entwickeln und wenn dann eine Cheftrainer-Position angeboten wird, ist das das Höchste, das du erreichen kannst und dann auch noch in einer der Top-5-Nationen.

LAOLA1: Was bist du für eine Art Trainer? Wie arbeitest du und worauf legst du besonders wert?

Thurnbichler: Ich verlange definitiv sehr viel von mir und von meinen Sportlern. Ich setze einen hohen Aufwand voraus, finde aber gleichzeitig auch eine gute Mischung und bin sehr nah an den Sportlern dran. Ich versuche auch eine gute Balance zu schaffen durch coole Aktionen. Zwischen den Bewerben in Titisee-Neustadt und Engelberg waren wir zum Beispiel alle zusammen Skifahren. Als junger Trainer bin ich eher innovativer und versuche, neue Wege zu gehen. Ich arbeite mehr mit Technologien wie vielleicht ein Trainer vom alten Schlag. Ich versuche, jeden in die Planung und die Arbeit zu integrieren.

LAOLA1: Du hast die hohe Erwartungshaltung in Polen angesprochen. Der Sieg bei der Vierschanzen-Tournee wird also vorausgesetzt?

Thurnbichler: Ja, definitiv. Jeder ist eingestellt auf einen Tournee-Sieg von Dawid Kubacki. Die Erwartung und der Druck von außen ist sehr hoch. Was man in Österreich vielleicht nur während der Tournee hat, erlebe ich das ganze Jahr über.

LAOLA1: Dawid Kubacki ist aktuell das Maß aller Dinge im Skispringen. Was macht ihn so stark?

Thurnbichler: Dawid springt momentan in der Form seines Lebens. Was ihn derzeit ausmacht, ist das Gesamtpaket. Er hat alles, was ein erfolgreicher Skispringer braucht: Die physischen Voraussetzungen, er ist sehr dynamisch und kraftvoll. Er bringt alles an Erfahrung mit, er hat schon viel gewonnen in seiner Karriere, aber auch schon sehr viel durchgemacht. Dadurch ist er sehr gefestigt, das macht ihn mental sehr stark. Er hat auch seinen Sprung weiterentwickelt. Dawid ist immer als „der Abspringer“ tituliert worden, wir haben viel am Übergang nach dem Absprung und dem Flugbereich sowie dem Telemark gearbeitet, was ihm noch ein bisschen gefehlt hat. Das hat er jetzt so gefestigt, das macht ihn sehr selbstsicher und stark. Er kann aktuell auch Fehler machen und ist trotzdem besser als die anderen. Wenn er seine besten Sprünge macht, ist er derzeit der Beste. Und das weiß er, das ist dann auch die letzte Selbstsicherheit, die einen Sportler dann nochmal eine Stufe höher steigen lässt.

LAOLA1: Wer sind die härtesten Konkurrenten von Dawid Kubacki bei der Tournee, die ja bekanntlich eigene Gesetze hat?

Thurnbichler: Für mich gibt es fünf bis sechs Topfavoriten. Es braucht für den Gesamtsieg extrem konstantes Skispringen, da darf man sich keine großen Fehler leisten. Neben Dawid hat das aktuell Stefan Kraft drauf, auch Anze Lanisek und Halvor Egner Granerud. Ich glaube auch, dass es ein Piotr Zyla drauf haben könnte und dann gibt’s auch noch Manuel Fettner. Wenn der „Fetti“ das, was er drauf hat, stabil durch vier Wettkämpfe durchbringt, hat er auch die Voraussetzungen, dass er sich mal abheben kann. Er hat einen extrem aggressiven Sprungstil am Limit, da kann natürlich immer was aufgehen.

LAOLA1: Neben der Tournee gibt es den Gesamtweltcup und WM-Medaillen zu gewinnen. Was hätte für dich persönlich den größten Stellenwert?

Thurnbichler: Für mich wäre es schön, wenn wir im Nationencup in den Top drei bleiben würden, das zeigt eine geschlossene Teamleistung. Aber es ist für uns schwierig, weil wir im Damen-Bereich schlechter aufgestellt sind und die Mixed-Team-Bewerbe fließen ja auch in die Nationenwertung mit ein. Prinzipiell wäre es wunderschön, mit einem Sportler den Gesamtweltcup zu gewinnen und ein bis zwei Medaillen bei der WM wären natürlich auch schön. Das sind alles sehr hohe Ziele, aber man muss die Ziele immer hoch stecken, damit man sie auch erreichen kann.

Kommentare