Die Enttäuschung war größer, als er es vielleicht selbst zugeben wollte.
Die Rede ist nicht etwa davon, dass Stefan Kraft im letzten Jahr als glasklarer Favorit zur Vierschanzentournee fuhr und mit dem dritten Platz vorliebnehmen musste. Oder Teamkollege Daniel Huber ihm auf dem letzten Drücker die kleine Kristallkugel für den Skiflug-Weltcup aus den Händen riss.
Diese verpassten Erfolge sind lediglich eine Makulatur in einer sonst perfekten Saison gewesen, die kaum zu toppen sein wird.
Nein, der nicht gewonnene "NIKI", mit dem Österreichs Sportler:innen des Jahres ausgezeichnet werden - der dürfte den 31-jährigen Salzburger bestimmt gewurmt haben.
Obwohl Valentin Bontus diesen mit Olympia-Gold in Paris selbstverständlich absolut verdient hatte, war gleichzeitig das Unverständnis über die Entscheidung gegen den ÖSV-Überflieger groß.
Was sollte er denn noch tun, damit ihn Österreichs Sport-Journaille endlich adelt?
Auch 2017 wurde eine überragende Saison nicht gewürdigt
Kraft muss sich ins Jahr 2017 zurückversetzt gefühlt haben.
Seine damaligen Erfolge: Gesamtweltcup- und Skiflug-Weltcupsieger, zweifacher Weltmeister. Dazu WM-Silber (Mixed-Team) und -Bronze (Mannschaft), Raw-Air-Triumphator und neuer Skiflug-Weltrekordhalter.
Natürlich, ist man beinahe bemüßigt zu betonen, wurde Marcel Hirscher als Sportler des Jahres ausgezeichnet.
Immerhin ebenfalls Doppel-Weltmeister, zum sechsten Mal in Folge Gesamtweltcup-Sieger und so weiter, und so fort. Der nun für die Niederlande fahrende Superstar hatte damals ein Dauer-Abo auf den "NIKI".
Und in der öffentlichen Wahrnehmung scheint der Skisprung-Sport seit dem Ende der goldenen Generation um Thomas Morgenstern oder Gregor Schlierenzauer im Vergleich zu den alpinen Skifahrern ohnehin nur mehr der nervige Onkel, den niemand auf seiner Party haben will, zu sein.
Kraft benötigt den Siegrekord gar nicht
Apropos Schlierenzauer. Da war ja was - achja, dessen Siegrekord. Von dem "Krafti" stets meinte, dass er unerreichbar wäre. Doch ganz so unmöglich ist das gar nicht.
Dem dreifachen Inhaber der großen Kristallkugel fehlen nur mehr zehn Siege auf Schlierenzauer. In der Saison 2023/24 stand der Pongauer bei Weltcup-Bewerben 13-mal am obersten Stockerl. Eine einfache Rechnung also, und: Kraft ist erst 31 Jahre alt.
Dessen wurde er sich inzwischen bewusst. "Das wäre der absolute Wahnsinn, wenn es mir irgendwie gelingen würde. Ein paar Jahre möchte ich schon noch gerne springen und wenn hoffentlich ein paar Mal alles zusammenpasst, wer weiß, was geschieht", sagte er unlängst der "Kleinen Zeitung".
Der Rekord sei jedoch kein "Riesenziel" von ihm - er müsse passieren. Der ÖSV-Adler will es also nicht erzwingen. Das wäre im Skispringen ohnehin das falsche Mindset und eines, das in Krafts Kopf praktisch nie vorhanden ist. Sonst könnte er nicht mit dieser Lockerheit, die ihn auszeichnet, von Erfolg zu Erfolg fliegen.
Aber: Er braucht diesen Siegrekord gar nicht, damit er seinen Status als Skisprung-Legende einzementiert.
Superstar und Teamplayer zugleich
Mit seinen unzähligen Erfolgen steht Kraft schon längst Seite an Seite mit Matti Nykänen, Schlierenzauer oder Adam Malysz. Mit dem ewig jungen Simon Ammann teilt er sich sogar noch den Platz im Warteraum der Sprungschanzen dieser Welt.
Jedoch hat man gar nicht das Gefühl, dass Kraft DIESER Superstar ist. Wer den 31-Jährigen etwas näher verfolgt, der weiß, dass er keiner für das große Rampenlicht ist. Wie ein junges Reh wirkt Kraft auch heute manchmal noch, wenn er vor der TV-Kamera steht.
Doch das macht ihn gleichzeitig so sympathisch. Der Salzburger steht außerdem für klare Worte, und auch zu ihnen. Er verstellt sich für nichts und niemanden, genießt die eigenen emotionalen Momente ebenso sehr wie jene Augenblicke, in denen seine Landsmänner einmal einen Schritt höher als er selbst stehen.
Kraft überstrahlt niemanden im Team. Cheftrainer Andreas Widhölzl sagte unlängst: "Die haben nicht das Gefühl, sie stehen im Schatten. Kraft nimmt alle mit, ist ein Teamplayer - das zeichnet ihn extrem aus, dass er kein Egozentriker ist, sondern viel auf das Team auch schaut."
Braucht es Olympia-Einzel-Gold für die Adelung?
Viele Dinge gibt es nicht mehr, die Kraft nicht schon erreicht hätte.
Nur eine Medaille hängt noch nicht bei ihm zuhause: Olympia-Gold im Einzel. Schon in eineinhalb Jahren bietet sich dazu die Chance. Wer weiß, vielleicht geht der Salzburger auch 2030 in Frankreich noch auf die Jagd nach dem hochwertigsten Edelmetall.
Auszuschließen ist es nicht. Bis dahin sammelt Kraft noch einige Flugmeilen. Und Rekorde. Jener für die meisten Gesamtweltcup-Siege steht bei vier, Kraft hält bei drei. Folgt diese Bestmarke also nach dem Siegrekord?
Kann sein. Aber bitte, liebe Medienkollegen - schenken wir ihm dann auch endlich einmal einen "NIKI". Diesen hat er sich redlichst verdient.