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Felder: "Tournee-Sieg muss schon das Ziel sein"

Warum ÖSV-Adler hinterherspringen und Hoffnung bei Schlieri besteht. Cheftrainer Andreas Felder im Interview:

 Felder: Foto: © GEPA

"Entschuldigung, dass ich jetzt erst zurückrufe, aber wir waren gerade beim Pilates."

Als sich Andreas Felder am Freitag vor Beginn der Vierschanzen-Tournee bei LAOLA1 zum vereinbarten Interview-Termin meldet, wirkt er ruhig. Dabei hätte der ÖSV-Cheftrainer augrund der bisherigen Leistungen der heimischen Skispringer im WM-Winter viele Gründe, nervös zu sein. 

"Das sind Phasen, die jede Nation einmal durchlebt. Dann hat man halt einmal ein, zwei Jahre, in denen es schwieriger ist und man kleinere Brötchen backen muss. Solche Jahre wie jetzt gehören dazu, es werden sicher wieder bessere Zeiten kommen. Davon bin ich überzeugt", sagt der 56-jährige Tiroler. 

Im April 2018 übernahm der ehemalige Skispringer Felder, selbst Weltmeister und Gesamtweltcupsieger, das Zepter bei den ÖSV-Adlern. Es ist seine zweite Amtszeit bei den Skisprung-Herren nach jener von 1995 bis 1997.

Im ausführlichen LAOLA1-Interview erklärt der Tiroler, warum er den Posten erneut übernommen hat, die ÖSV-Adler derzeit hinterher springen, er Alexander Pointners Kritik zustimmt und die Hoffnung bei Gregor Schlierenzauer nicht aufgibt:

LAOLA1: Es ist Ihre zweite Amtszeit als Cheftrainer der ÖSV-Herren. Warum tun Sie sich diese Aufgabe nochmal an?

Andreas Felder: In erster Linie, weil ich aus meiner inneren Erzeugung heraus Trainer bin. Ich habe schon viele Stationen durchgemacht und hatte diese Position selbst gar nicht mehr so in meinem Kopf, bis man mir sie nahegelegt hat. Ich habe mir das schon gut überlegt, weil sehr viel Persönlichkeit dabei ist und das ist manchmal auch nicht so fein. Aber ich habe mir gedacht, dass ich mit meiner Erfahrung helfen könnte, speziell wenn das Werkl nicht so rennt, und die nötige Ruhe reinbringen könnte. Damit sich der Knoten vielleicht löst. 

LAOLA1: Hand aufs Herz: Hätten Sie sich den Job leichter vorgestellt?

Felder: Nein, ich habe schon gewusst, was auf mich zukommt. Es hat sich seit meiner letzten Amtszeit zwar sehr viel verändert -  es sind mittlerweile viel mehr Leute in die ganze Sache involviert und es gibt viel mehr Aufgaben - von der Arbeit her ist es aber das Gleiche. Die Leute müssen heute wie damals trainieren und bei der Sache sein und im entscheidenden Augenblick im Wettkampf die Leistung abrufen. Darauf müssen wir alle zusammen hinarbeiten. Das war vor 20 Jahren nicht anders als jetzt. 

LAOLA1: Man hört, Sie sind jemand, der Fehler klar und offen anspricht.

" Im Spitzensport ist es sehr wichtig, dass man nicht um den heißen Brei herumredet, sondern dass man dort anpackt, wo es fehlt. Das ist immer schon mein Weg gewesen - Ehrlichkeit und Bodenständigkeit."

Felder: Klar, man muss immer mit offenen Karten spielen. Im Spitzensport ist es sehr wichtig, dass man nicht um den heißen Brei herumredet, sondern dass man dort anpackt, wo es fehlt. Das ist oft nicht so leicht, weil jeder seine Eigenheiten hat und Dinge oft nicht sehen will, die für andere offensichtlich sind. Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, dass die Mannschaft offen miteinander kommuniziert. Das ist immer schon mein Weg gewesen - Ehrlichkeit und Bodenständigkeit. Das habe ich als Sportler praktiziert und mache ich als Trainer nicht anders. Man muss immer offen sein und sich selbst nichts vormachen. Im Spitzensport geht es schnell, dass man den Weg des geringsten Wiederstandes geht und sich gewisse Bequemlichkeiten einschleichen. Das sieht man als Außenstehender oft besser, aber man muss es auch ansprechen. Es ist wichtig, miteinander immer Klartext zu reden. Das erwarte ich mir auch von meinen Athleten, wenn ihnen etwas nicht passt. Das ist mein Weg. 

LAOLA1: Dann sprechen wir Klartext: Woran liegt es, dass die Österreicher derzeit hinterher springen?

Felder: Da gibt es viele Gründe. Hundertprozentig wissen tut man es ja nie, das weiß kein Mensch, warum etwas nicht funktioniert, was davor jahrelang gut funktioniert hat. Es gibt sehr viele Gründe, oft sind es Kleinigkeiten. Einerseits sind viele gute österreichische Trainer ins Ausland abgewandert und haben viel Know How mitgenommen. Das geht sicherlich ab. Andererseits hat man eine sehr erfolgreiche Zeit hinter sich mit einer goldenen Generation mit vier, fünf Siegspringern auf einem Haufen. Das hat man nur alle heiligen Zeiten. Wir waren vielleicht erfolgsverwöhnt und haben gedacht, das geht ewig so weiter. Da hat man vielleicht auch zu wenig darauf geachtet, sich weiterzuentwickeln und mit der Zeit zu gehen. Ein Generationswechsel geht nicht so nahtlos vonstatten. Das sind Phasen, die jede Nation einmal durchlebt. Dann hat man halt einmal ein, zwei Jahre, in denen es schwieriger ist und man kleinere Brötchen backen muss. Das sind alles Faktoren, die mitspielen. Ich bin aber zuversichtlich, denn es wird gut gearbeitet. Wir haben uns in Österreich einiges an Know How aufgebaut und haben gute Trainingsmöglichkeiten. Es werden wieder neue Talente kommen und irgendwann wird einer reif sein, um ein Siegspringer im Weltcup zu sein. Solche Jahre wie jetzt gehören dazu, es werden sicher auch wieder bessere Zeiten kommen. Davon bin ich überzeugt. 

VIDEO - ÖSV verpatzt Tournee-Generalprobe

(Interview wird unterhalb fortgesetzt)

LAOLA1: Wie lange könnte es dauern, bis es wieder eine ganze Generation von Siegspringern in Österreich gibt? 

Felder: Ich wäre ein Hellseher, wenn ich das jetzt wüsste. So etwas kann man nicht voraussagen. Man kann ja auch nicht sagen, ob wir in fünf Jahren eine starke Fußball-Nationalmannschaft haben werden. Das weiß kein Mensch. Wichtig ist, dass auf allen Ebenen kontinuierlich gut gearbeitet wird. Das ist das Um und Auf. Dann wird das ganze Werkl wieder ins Laufen kommen, das Selbstvertrauen kommt und alles geht viel leichter. Unsere Mannschaft hatte in den letzten beiden Saisonen, in denen Stefan Kraft eigentlich der einzige Siegspringer war, mit dem Selbstvertrauen zu kämpfen. Da haben auch routinierte Athleten, die schon viele Springen gewonnen haben, im Wettkampf nicht mehr die nötige Stabilität. Das geht oft schnell. Man ist sich seiner eigenen Stärken oft nicht mehr sicher und dann wird jeder Wettkampf zu einem Hoffen und Bangen. Da kommen innere Zweifel auf, die dann auch einen Seriensieger erwischen können. Ich habe das in meiner Karriere selbst erlebt.

LAOLA1: Trifft das aktuell auf Stefan Kraft zu? Die Sprungtechnik scheint bei ihm nicht unbedingt das Problem zu sein. 

Felder: Es ist sicherlich so, dass Stefan in diesem Winter schon gute Sprünge gezeigt hat, im Wettkampf ist ihm halt noch keiner gelungen. Das kann aber noch kommen, es ist nur eine Frage der Zeit. Der Knopf muss sich aber von selbst lösen, den kann man nicht mit Gewalt lösen. Da muss man auch die nötige Geduld haben. Es wäre natürlich leichter, wenn Stefan noch einen oder zwei Springer neben sich hätte, die die Kohlen aus dem Feuer holen. Wenn es mehrere Athleten gibt, die um das Podest mitspringen können, wird es für alle im Team leichter. Umgekehrt kann es sein, dass wenn es einmal nicht läuft, es das ganze Team wie ein Virus trifft. 

LAOLA1: Alexander Pointner hat zuletzt in einer Kolumne gemeint, dass den Österreichern der Killerinstinkt fehlt. Stimmen Sie zu?

Felder: Ja, da gebe ich ihm absolut recht. In so einer Phase ist es einfach sehr schwierig, einen Killerinstinkt aufzubauen, wenn man sich seiner Sache nicht sicher ist. Ich bin überzeugt davon, dass unsere Athleten den Killerinstinkt wieder bekommen können, wenn sie wieder ein bisschen Erfolgsluft schnuppern. Das kann schnell gehen. Ich glaube nicht, dass zum Beispiel Stefan Kraft seinen Killerinstinkt verloren hat, den wird er immer in sich haben, nur wird er nicht immer nach außen hin sichtbar sein. Aber wenn es mal nicht so läuft, fängt man natürlich an zu zweifeln. Da kann man auch gar nicht viel dagegen tun. Ich hatte selbst mal zwei Jahre, wo es überhaupt nicht gelaufen ist, ich kein Weltcup-Springen gewonnen oder einen Stockerlplatz zusammengebracht habe. Da hat sich mein Wesen auch ein bisschen verändert, aber irgendwann ist es dann wieder gekommen und es hat auf der Schanze wieder funktioniert. Im Skispringen geht das Gefühl schnell verloren. Ich versuche den Springern an allen Ecken und Enden zu helfen, aber im Endeffekt sitzt man als Athlet alleine am Balken oben und muss die Leistung bringen.

LAOLA1: In der Situation, in der die Österreicher gerade sind, kommt die Vierschanzen-Tournee nicht gerade gelegen, oder?

"Man muss schon mit dem Ziel hinfahren, die Tournee zu gewinnen. Es kann ja sehr viel passieren."

Felder: Die Wettkämpfe sind da, die Herausforderung müssen wir annehmen. Wir müssen das Beste daraus machen. Man muss aber schon mit dem Ziel hinfahren, die Tournee zu gewinnen. Es kann ja sehr viel passieren. Es kann sein, dass im ersten Training die Leichtigkeit wieder kommt. Die Einstellung muss man immer haben. Wir haben den einen oder anderen in der Mannschaft, der - wenn alles zusammenpasst - sich berechtigte Hoffnungen auf einen Spitzenplatz machen kann. Das Ziel darf man nie aus den Augen verlieren. Wir dürfen nicht daran denken, dass die Öffentlichkeit schlecht über uns denkt oder die Zeitungen kritisch schreiben, das können wir sowieso nicht beeinflussen - die eigene Leistung schon. Wir müssen in jedes Springen mit dem Ziel gehen, vorne mitzuspringen. Das Entscheidende ist, den Glauben an sich selbst nicht zu verlieren. 

LAOLA1: Daniel Huber hat in dieser Saison schon gezeigt, dass er das Potenzial hat, aufs Podest zu springen. Was fehlt ihm noch, um konstant an der absoluten Spitze mitzuspringen?

Felder: Bei Daniel ist die größte Herausforderung, dass er sich selbst so in Zaum hält, dass er nicht übers Ziel hinausschießt. Er ist ein wilder Hund, der wirklich bei jedem Wettkampf bis an den Anschlag geht und volle Pulle springt. Er erinnert mich da ein bisschen an Thomas Morgenstern. Er bewegt sich immer im Grenzbereich, das hat man in Engelberg gesehen, wo er aufs Podest gesprungen ist und sich am nächsten Tag nicht einmal qualifiziert hat. Diese Extreme gibt ihm einerseits die Möglichkeit zu guten Sprüngen, andererseits ist es für die Selbstsicherheit oft gefährlich, weil man leicht eine am Deckel bekommt. Das wird die Herausforderung sein, dass er weiter Vollgas gibt, aber kontrolliert. Das lernt er hoffentlich mit der Weltcup-Routine. Daniel ist zwar schon 25 Jahre alt, hat aber noch nicht so viel Erfahrung im Weltcup. Im Weltcup braucht man oft ein paar Saisonen, bis man richtig angekommen ist. 

VIDEO - Daniel Huber springt aufs Podest

(Interview wird unterhalb fortgesetzt)

LAOLA1: Gregor Schlierenzauer ist fürs Erste aus dem Weltcup ausgestiegen und stellt seine Technik komplett um. Lernt er das Skispringen quasi neu?

Felder: Nein, er lernt das Skispringen nicht neu. Dass er die Technik komplett umstellt klingt immer so extrem, es sind nur Kleinigkeiten, die Gregor korrigieren muss. Im Grunde genommen hat er schon einen sehr effektiven Sprung, der in seiner erfolgreichen Zeit aber unter anderen Voraussetzungen funktioniert hat. Da hatte er längere Ski, andere Sprunganzüge und war von der Athletik her noch nicht so ausgewachsen. Mit den Jahren verändert sich natürlich sehr viel für den Springer und da kann es passieren, dass die Technik, die jahrelang gut funktioniert hat, plötzlich nicht mehr reicht. Das Skispringen entwickelt sich stetig, es gibt immer wieder kleine Regeländerungen und der Springer hat die Aufgabe, sich daran anzupassen. Anfahrt, Absprung, Flug - Das passiert alles innerhalb von ein paar Zehntelsekunden. Kleine Veränderungen, die für einen Außenstehenden oft unscheinbar sind, können für die Gefühlswelt eines Skispringers eine große Bedeutung haben. Darum müssen wir schauen, dass wir Gregors alte Muster einmal aufbrechen. Das, was er bis jetzt gemacht hat, ist ja nicht schlecht, aber es funktioniert nicht mehr. 

LAOLA1: Wie geht Gregor mit dieser Situation um?

"Wir bauen immer noch auf Gregors Stärken. Wir wissen genau, dass er ein Skispringer ist, der zur absoluten Weltklasse zählt, aber in den letzten Jahren einfach den Faden verloren hat."

Felder: Er wollte es vielleicht eine Zeit lang nicht wahrhaben, dass es momentan nicht so funktioniert. Jetzt hat er gesehen, dass die Leistungen, die er zuletzt erbracht hat, einfach nicht zufriedenstellend waren. Deshalb haben wir gesagt, er soll erst einmal aus dem Weltcup aussteigen und haben ihm einen Trainer zur Verfügung gestellt. Diesen Weg versuchen wir jetzt einmal zu gehen. Ich glaube, dass das wirklich die einzige Möglichkeit ist, um ihn wieder dort hinzubringen, wo er eigentlich hingehört - an die Spitze. So eine Umstellung geht nicht von heute auf morgen, das braucht wirklich seine Zeit. Gregor hat es im Sommer schon versucht, ist aber immer wieder in die alten Muster zurückgerutscht. Das hat ihn dann im Wettkampf immer wieder eingeholt. Aber wir bauen immer noch auf Gregors Stärken. Wir wissen genau, dass er ein Skispringer ist, der zur absoluten Weltklasse zählt, aber in den letzten Jahren einfach den Faden verloren hat. Wenn er den wiederfindet, wird er auch wieder in der Lage sein, vorne mitzuspringen. Er hat alle Voraussetzungen, die man braucht. Gregor ist voll motiviert und ehrgeizig, sein Ziel ist die WM. Wenn du wie er 53 Weltcupsiege gefeiert hast willst du natürlich um den Sieg oder ums Stockerl mitspringen. Den unbedingten Willen dazu hat er. Ich hoffe, dass er der neuen Linie treu bleibt, dann ist es ihm zuzutrauen, dass er dort anschließen kann, wo er einmal war und wo er hingehört. Wir geben die Hoffnung nicht auf. 

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