news

Was ist der Unterschied zwischen Skispringen und Skifliegen?

Anlässlich der anstehenden Skiflug-Weltmeisterschaft beschäftigt sich LAOLA1 mit den Dingen, auf die es auf der größeren Schanze ankommt.

Was ist der Unterschied zwischen Skispringen und Skifliegen? Foto: © GEPA

Es ist wieder soweit: die Skiflug-Weltmeisterschaft steht bevor. Heuer sind die ÖSV-Adler am Kulm sogar im Heimvorteil.

Mit Stefan Kraft, der in der aktuellen Saison schon sieben Weltcup-Siege verbucht hat und zudem Weltrekordhalter im Skifliegen ist, haben die Österreicher einen der Favoriten in den eigenen Reihen.

Für manch einen stellt sich jetzt womöglich die Frage: Was ist eigentlich der Unterschied zwischen dem klassischen Skispringen und dem Skifliegen?

LAOLA1 hat sich dieser für euch angenommen und dabei auch Experten befragt.

Größere Schanzen – höhere Geschwindigkeit

Etwas, das wohl jedem, der schon mal einen Skisprung- und einen Skiflugbewerb im Fernsehen oder auch vor Ort verfolgt hat, aufgefallen ist, sind die größeren Schanzen beim Skifliegen.

Die Großschanze am Bergisel
Foto: © GEPA

Zum Vergleich: Bei der Bergiselschanze in Innsbruck liegt der K-Punkt bei 120 Metern, die Hillsize bei 128 Metern. Die Skiflugschanze am Kulm hat einen K-Punkt von 200 Metern, die Hillsize beträgt 235 Meter.

Die Skiflugschanze am Kulm
Foto: © GEPA

Hier wird bereits deutlich, dass man sich beim Fliegen in einer ganz anderen Dimension bewegt. 

Aus den deutlich größeren Schanzenanlagen resultiert der größte Unterschied zwischen den beiden Varianten: Die höhere Geschwindigkeit. "Beim Skifliegen geht alles viel schneller", erläutert Martin Koch, ehemaliger Skiflugweltmeister im Team. 

So hat man beim klassischen Skispringen Anlaufgeschwindigkeiten von bis zu 95 km/h, beim Skifliegen können es bis zu 105 km/h und mehr werden. Klingt erstmal gar nicht so extrem. 

Doch diese 10 km/h Unterschied machen bei dieser Sportart bereits viel aus, denn die Luftkräfte, die auf die Athleten einwirken, steigen zum Quadrat. Daher ist bereits ein geringer Geschwindigkeitsunterschied deutlich bemerkbar, es wirken viel stärkere Kräfte auf den Springer selbst, auf das System und seine Ski, wie Skisprung-Legende Andreas Goldberger erklärt.

Längere Luftfahrt - Abheben in der letzten Phase

Der Absprung ist zwar nicht unwichtig, aber auch nicht das A und O für einen guten Flug. Hat der Athlet ein gutes Gefühl in der Luft und kann die Spannung aufrechterhalten, kann dieser auch so viele Meter herausholen. Beim Skispringen hingegen bedeutet ein schwacher Absprung meist auch einen schwachen Sprung.

Während man bei einer normalen Schanze in der Regel bis zu fünf Sekunden in der Luft ist, werden es beim Skifliegen sieben oder mehr. Auch wenn sich zwei bis drei Sekunden nach nicht besonders viel anhören, macht es für den Sportler selbst einiges aus. Die Flugphase ist demnach viel intensiver, da die Spannung ja viel länger aufrechterhalten werden muss. 

Stefan Kraft nach dem Aufstellen des neuen Skiflug-Weltrekord, Vikersund, 2017
Foto: © GEPA

Beim Skifliegen ist die finale Phase der Luftfahrt ausschlaggebend. Die Flugkurve von Skispringern zeigt oft, dass sich dieser in den ersten beiden Dritteln des Fluges eher knapper über dem Boden fliegen und dann gegen Ende nochmal ordentlich abheben und so überhaupt Weiten von weit über 200 Meter erzielen. 253,5 Meter ist der Weltrekord – aufgestellt von Stefan Kraft in Vikersund 2017. 

Enorme psychische Belastung

Ein anderer, durchaus interessanter Aspekt ist die psychische Belastung für die Springer. Diese ist nochmals um einiges erheblicher als beim normalen Skispringen. Warum das so ist, erklärt Martin Koch: "Das Skifliegen ist für die Springer doch etwas herausfordernder, weil du es nicht trainieren kannst, du nur sehr wenige Skiflüge machst und das Gefahrenpotenzial dementsprechend höher ist."

Tatsächlich ist es Springern nicht möglich, dass Skifliegen zu trainieren. Das liegt daran, dass die Flugschanzen nur für offizielle Weltcup-Veranstaltungen geöffnet sind, ansonsten ist es nicht möglich, diese zu verwenden.

Deshalb absolvieren die Sportler nur wenige Skiflüge im Jahr, was natürlich auch mental belastend ist. Man weiß vor dem ersten Flug in der Saison nicht wirklich, wo man denn überhaupt steht – das weiß man erst, wenn der erste Sprung von einer Flugschanze absolviert ist.

"Es kommt natürlich darauf an, wie der Sprung ist. Wenn er nicht gut ist, dann ist es brutal, aber wenn er gut ist, dann fühlt es sich wirklich an wie Fliegen."

Martin Koch

Dazu kommt aber auch noch, dass das Gefahrenpotenzial in Rahmen eines Skifluges nochmal um einiges eklatanter ist als beim klassischen Skispringen. Das Skifliegen ist wahrhaftig ein Ritt auf Messers Schneide. Dies hängt vor allem mit den oben bereits erläuterten extremen Luftkräften zusammen, die auf den Athleten wirken. Hält man den Kräften nicht mehr Stand oder passiert ein Fehler, kann dies bereits schwerwiegende Folgen haben.

Lukas Müller sitzt seit seinem Sturz am Kulm im Rollstuhl
Foto: © GEPA

Immer wieder wird dies durch schwere Stürze bestätigt. Blicken wir zurück: 2016 löste sich im Rahmen der Skiflugweltmeisterschaft am Kulm der linke Ski von Vorspringer Lukas Müller kurz vor der Landung – bei einer Geschwindigkeit von mehr als 110 km/h war der damals 23-Jährige chancenlos, das Gleichgewicht zu halten. Müller stürzte schwer, ist seit dem tragischen Unfall querschnittsgelähmt.

Andre Tande bei seinem Sturz in Planica, 2021
Foto: © GEPA

Im März 2021 erwischte es einen bis heute aktiven Skispringer: Der Norweger Daniel Andre Tande verlor beim Saisonfinale auf der Flugschanze in Planica (Slowenien) in der ersten Flugphase die Kontrolle, vermutlich durch einen Luftstoß, der sein Flugsystem durcheinanderbrachte.

Der damals 27-Jährige überschlug sich mehrmals, musste mechanisch beatmet und sogar wiederbelebt werden, lag zudem im künstlichen Koma. Tande hatte Glück im Unglück und ist weiterhin im Weltcup aktiv. 

Der ständige Stress, die Angst, die Nervosität, die einen Springer an solch einem Wochenende begleiten, sind zermürbend. Das macht sich nicht nur mental, sondern auch physisch bemerkbar.

Die Gesundheit: Werte, die in den Bereich der Todesangst gehen

Beim Skifliegen wird ein extremes Ausmaß an Adrenalin ausgeschüttet. Wie groß diese Dimensionen sind, zeigt eine Studie aus dem Jahr 1998. 

Damals maß der Teamarzt der deutschen Springer bei der Skiflugweltmeisterschaft in Oberstdorf den Adrenalinspiegel von Martin Schmitt sowie Sven Hannawald, der damals übrigens Vizeweltmeister wurde. Die gemessenen Werte sind mit jenen von Menschen, die Todesangst verspüren, zu vergleichen. Der Wert ist außerdem bis zu 20-mal höher als im Normalzustand.

Dies stellte auch Peter Baumgartl, einstiger Arzt der österreichischen Springer, fest. Der Körper ist in permanenter Alarmbereitschaft, Ruhe ist an einem Flug-Wochenende eher Seltenheit. Durch diese durchgehende psychische Belastung kommt es zu körperlichen Konsequenzen. 

Ein kurzer Ausflug in die Biologie: Zu dem ganzen Stress kommt noch das oben erwähnte Adrenalin hinzu, welches den Abbau der Energiespeicher des Körpers, Fett und Glykogen ankurbelt. Sind diese Speicher erschöpft, greift der menschliche Körper dann auf die Reserve zurück: Die Proteine, oder einfacher ausgedrückt, die Muskeln.

Dass dies enorm kräftezehrend ist, muss man wohl nicht erklären. Der Körper wird müde, und am Ende des Wochenendes ist das Ergebnis meist folgendes: Die Athleten verzeichnen einen Substanzverlust und können mehrere Kilogramm an Gewicht verlieren. 

Martin Koch und das Skifliegen

Martin Koch, ehemaliger österreichischer Skispringer und heute Co-Kommentator beim "ORF", war in seiner aktiven Laufbahn vor allem bei den Skiflugbewerben erfolgreich.

Vier seiner fünf Einzelerfolge im Weltcup feierte er auf Flugschanzen, zudem gelang ihm bei der Weltmeisterschaft 2008 in Vikersund sein größter Erfolg: Silber im Einzel, der Titel im Teambewerb mit Thomas Morgenstern, Andreas Kofler und Gregor Schlierenzauer. Überhaupt wurde Koch drei Mal en suite Teamweltmeister im Skifliegen. 

Team Österreich bei der Skiflug-WM 2012
Foto: © GEPA

Auf die Frage, warum es ihm persönlich beim Fliegen besser ergangen ist als beim klassischen Springen, erklärt Martin Koch: "Je kleiner die Schanze ist, desto mehr muss man wegspringen. Je größer die Schanze ist, desto mehr kann man im Flug gutmachen, und das war einfach meine große Stärke. Ich habe in der Luft immer ein gutes Gefühl gehabt und konnte auch mit den Luftkräften ganz gut umgehen."

Überhaupt sei das Gefühl in der Luft anders. Theoretisch gesehen sei es zwar das Gleiche wie auf einer Großschanze, aber beim Fliegen laste viel mehr Druck auf den Skiern. Man merke die Geschwindigkeit, und vor allem die starken Luftkräfte deutlicher. "Dass da viel mehr Druck dahinter ist, dass es viel anstrengender ist die Spannung zu halten und im System zu bleiben. Das merkst du beim Skifliegen nochmal extrem", erzählt der 42-Jährige. 

Bei einem guten Sprung von einer Skiflugschanze verbringt der Sportler sieben und mehr Sekunden in der Luft. Natürlich fragt sich der außenstehende Zuschauer: "Fühlt es sich denn an wie Fliegen?"

Martin Koch berichtet: "Ja, schon. Es kommt natürlich darauf an, wie der Sprung ist. Wenn er nicht gut ist, dann ist es brutal, aber wenn er gut ist, dann fühlt es sich wirklich an wie Fliegen."

Skispringen oder Skifliegen? Was gefällt nun einem ehemaligen Springer besser, der sowohl zahlreiche Sprung- als auch Flugwettkämpfe bestritten hat? Kochs Antwort: "Ich glaube es ist der Traum eines jeden Kindes, das mit dem Skispringen anfängt, einmal zu fliegen und vor allem weit zu fliegen. Je weiter du fliegen kannst, desto schöner ist das Ganze natürlich auch. Das war auch in meinem Fall so, dass mir das am meisten getaugt hat. Je weiter der Sprung gegangen ist, desto besser hat es sich angefühlt."



Von Kraft bis Goldberger: Historie der Skiflug-Weltrekorde

Kommentare